Fest, Joachim: Nach dem Scheitern der Utopien
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Gesammelte Essays zu Politik und Geschichte
Rowohlt, 2007
Inhalt:
Bestseller-Autor Joachim Fest hat neben seinen erfolgreichen historischen Sachbüchern auch ein beeindruckendes essayistisches Werk hinterlassen. Seit den sechziger Jahren war er mit seinen Aufsätzen und Artikeln eine der einflussreichsten und originellsten Stimmen in der deutschen Öffentlichkeit: unangepasst, bisweilen streitbar, dabei stets elegant und mit Verve formulierend. Ein Jahr nach Fests Tod präsentiert dieser Band seine wichtigsten Beiträge, die über die Jahre an verschiedenen Orten erschienen und längst nicht mehr greifbar sind. Sie enthalten meisterhafte historische Betrachtungen und politische Kommentare, die Furore machten: über 1968 und die Folgen, den Umgang mit unserer Vergangenheit, die Ost-West-Konfrontation und den Zusammenbruch des Sozialismus. Fests Vermögen, die grundsätzliche Bedeutung eines konkreten Streitthemas aufzuzeigen, und seine einhellig gerühmte sprachliche Brillanz machen diese Texte zu einer spannenden Lektüre. Ein zweiter Band mit den schönsten Essays zu Literatur und Kunst ist für Herbst 2008 in Vorbereitung. (Pressetext)
Kurzkritik:
Fest hat sich ohne zu zögern zwischen alle Stühle gesetzt hat, wenn ihn seine Analysen dorthin führten. Und so sind die “Nach dem Scheitern der Utopien” gesammelten Essays als fundierte Anmerkungen zur deutschen und europäischen Geschichte zwischen 1974 und 2000 zu empfehlen – für Menschen jeglicher Gesinnung, welche es allerdings aushalten müssen, dass ihnen nicht nach dem Mund geredet wird.
Werner gibt (4,25 von 5 Eselsohren)
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Welthaltig
Als ich in diesem Buch zu lesen begann, habe ich augenblicklich den ehemaligen Herausgeber der Österreichischen Tageszeitung “Die Presse” vor mir gesehen, wie er sich, schon pensioniert, die Kultursekretärin ausborgt, um ihr aus dem Gedächtnis einen seitenlangen Kommentar zur Lage der Nation zu diktieren.
Nun sind Joachim Fest und Otto Schulmeister gewiss rechts der politischen Mitte anzusiedeln, allerdings mit unterschiedlichem Abstand. Was jedoch beide – in meinen Augen – eint, ist der Anspruch, Bescheid zu wissen, den LeserInnen die Welt erklären zu können, und ein gewählter Schreibstil, der manchmal ein wenig an die emphatisch deklamierenden Schauspiel-Größen am Wiener Burgtheater der Zwischenkriegszeit gemahnt.
Hitler-Biograf
So etwas ist man heute, Stichwort Infotainment, nicht mehr gewohnt. Aber es lohnt, sich einzulesen, auch – oder gerade – wenn man alsbald und des öfteren nicht einverstanden sein wird mit Herrn Fest. Das Erfreuliche daran: Es wird “Linken” wie “Rechten” so ergehen. Denn der langjährige Herausgeber der FAZ (und Hitler-Biograf) hielt zwar auf “Bürgerlichkeit als Lebensform”, aber gewiss nicht auf Bequemlichkeit, zumindest nicht, was das Denken anbelangt.
Das muffige Selbstbewusstsein der Machtträger
Und so zog er, um nur ein Beispiel herzunehmen, in seinem Essay “Das Dilemma des studentischen Romantizismus” 1968 nicht blindwütig über die aufrührerischen Studenten her, sondern kam eben zu dem Schluss, es hier mit Romantikern zu tun zu haben, und gleichzeitig betrachtete er die Proteste, die “das muffige Selbstbewusstsein der Machtträger erschüttert” hatten, als berechtigt.
Zwischen alle Stühle
Man sieht, dass sich Fest ohne zu zögern zwischen alle Stühle gesetzt hat, wenn ihn seine Analysen dorthin führten. (Das macht übrigens auch den Unterschied zu Herrn Schulmeister aus, dessen “Welthaltigkeit” doch eher einseitiger Natur gewesen ist.) Und so sind die “Nach dem Scheitern der Utopien” gesammelten Essays als fundierte Anmerkungen zur deutschen und europäischen Geschichte zwischen 1974 und 2000 zu empfehlen – für Menschen jeglicher Gesinnung, welche es allerdings aushalten müssen, dass ihnen nicht nach dem Mund geredet wird.
Von Werner Schuster
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Joachim Fest (1926 – 2006) war einer der bedeutendsten Autoren und Historiker der Bundesrepublik. Ab 1963 arbeitete er als Chefredakteur des NDR und von 1973 bis 1993 als Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Seine Hitler-Biographie wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Weitere Werke: «Speer» (1999), «Der Untergang» (2002), «Begegnungen» (2004), «Ich nicht» (2006), «Bürgerlichkeit als Lebensform» (2007).
Über Joachim Fest bei Wikipedia.
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