07/10/2013von 429 Views – 0 Kommentare

Ward, Jesmyn: Vor dem Sturm

Roman
Hardcover, E-Book
320 Seiten
Erschienen 2013 bei Kunstmann
Aus dem Englischen von Ulrike Becker
Originalausgabe: „Salvage the Bones”, 2011

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Inhalt:

Ein Hurrikan braut sich über dem Mississippi-Delta zusammen, aber Esch und ihre drei Brüder, die mit dem Vater in einer Hütte am Rande des Waldes leben, haben noch andere Sorgen. Und doch stehen die Geschwister, wortlos und mit kleinen Gesten, unverbrüchlich füreinander ein. (Pressetext)

Kurzkritik:

Naturkatastrophen sind ja schon schrecklich genug. Was ein Hurrikan für Arme (genauer: arme Schwarze) bedeutet, schildert Jesmyn Ward in ihrem fesselnden und bewegenden Roman.

Werner gibt  ★★★★½  (4,5 von 5 Eselsohren)

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Besprechung:

Kriechen lernen

Naturkatastrophen sind ja schon schrecklich genug. Was ein Hurrikan für Arme (genauer: arme Schwarze) bedeutet, schildert Jesmyn Ward in ihrem Roman „Vor dem Sturm“.

Die fünfzehnjährige Esch erzählt von sich und ihrer Familie. Die Mutter ist bei der Geburt ihres vierten Kindes gestorben, der Vater ist arbeitslos und alkoholkrank und lebt mit seinen Kindern in einer Hütte im Mississippi-Delta am Rande eines Waldes inmitten von Autowracks und Hühnern.

Der Umgangston ist roh, doch man ist für die Familie da. Man schlägt sich durch, kauft ein, wenn Geld da ist, und stiehlt, wenn‘s sein muss. Die Jugendlichen sind – gezwungenermaßen – frühreif, sie geben sich oder müssen sich erwachsener geben, als sie sind. Für Spielen ist da – außer für kleine Kinder – kein Platz. Eher trägt man Hundekämpfe aus.

Träume, Illusionen, Realitäten

Esch‘ Bruder Skeetah kümmert sich um seine Pitbull-Hündin China, mit der sich bei diesen Kämpfen Geld (fürs spätere College) machen lässt. Profit schlagen ließe sich auch mit ihren Welpen, die der Junge mit aller Macht durchbringen will – und mit viel Liebe.

Randall will Basketballprofi werden. Als sich Skeetah am Spielfeld wegen China mit anderen prügelt und er ausgeschlossen wird, ist seine Chance auf einen Gratisplatz in einem Trainingscamp dahin.

Auch in Frust und Zorn vergisst er nicht, sich – gemeinsam mit Esch – um seinen kleinen Bruder Junior kümmern, dem die Mutter vielleicht noch mehr fehlt als den anderen aus der Familie.

Damit nicht genug, bemerkt die promiskuitive Esch, dass sie schwanger ist – vom Randals bestem Freund, der mit einer anderen zusammenlebt.

Auf sich allein gestellt

Der Vater ist der einzige, der die Warnungen vor dem Hurrikan ernst nimmt. Beim Versuch, seinen Pick-Up flott zu machen, um nach dem Sturm bei den Aufräumarbeiten Geld zu verdienen, zerquetscht er sich die Hand.

Die Kinder sind also auf sich allein gestellt, als sie das Haus notdürftig gegen den Sturm absichern und noch rasch Lebensmittel einkaufen resp. klauen. Und dann kommt der Hurrikan mit unglaublicher Macht, das Wasser steigt und überflutete das Haus, und die Familie muss sich – über Bäume kletternd – auf das nahe, verlassene Haus der Großeltern retten, das glücklicherweise auf einem kleinen Hügel steht. Nur China schafft es (vermutlich) nicht.

Als der Hurrikan vorbeigezogen ist, helfen die, die noch zu essen und ein Dach überm Kopf haben, den Hungrigen und obdachlos Gewordenen.

Katrina ist die Mutter

Katrina hinterließ uns einen dunklen Golf und salzverbranntes Land. Sie ließ uns zurück, damit wir kriechen lernen. Sie ließ uns zurück, damit wir uns retten. Katrina ist die Mutter, an die wir uns erinnern werden, bis die nächste blutrünstige Mutter mit großen, erbarmungslosen Händen kommt.

„Vor dem Sturm“ ist ein unglaublich dichter Roman über Arme, über die eine Naturkatastrophe hereinbricht, während ihr Leben schon katastrophal genug ist. Dass die Armen Schwarze sind, muss einen nicht unbedingt auffallen. Doch es sind nur Schwarze.

Eine Botschaft?

In dieser völligen Isolation sieht Lena Bopp sieht (in der FAZ) auch „eine deutliche und absolut politisch zu verstehende Botschaft“, auch wenn in diesem Roman „nie explizit von Rassismus die Rede ist“. Ich will mich da jetzt aus keiner Rassismus-Debatte rauswinden, aber mir ist das ein bisschen zu subtil und von außen in den Roman hineininterpretiert. Denn Bopp weiß auch, dass Jesmyn Ward in „Vor dem Sturm“ Selbsterlebtes verarbeitet hat: Sie ist in einem Kaff in Mississippi aufgewachsen, war die einzige Schwarze unter lauter weißen Schülern und hat auch den Hurrikan „Katrina“ mit- resp. übererlebt.

Davon traumatisiert, konnte sie drei Jahre lang nicht schreiben (verriet Ward selbst in ihrem Blog „Jesmimi“). Meiner Meinung nach hat sie aus ihrer eigenen Geschichte eine allgemein gültige herausdestilliert, die nichts Autobiografisches an sich hat. „Vor dem Sturm“ ist fesselnd und bewegend, ob man den Roman nun (auch) politisch versteht oder nicht.

Von Werner Schuster

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Das meinen andere (Perlentaucher-Rezensionsnotizen).

Jesmyn Ward wuchs in DeLisle, Mississippi, auf. Nach einem Literaturstudium in Michigan war sie Stipendiatin in Stanford und Writer in Residence an der University of Mississippi und lehrt derzeit Creative Writing an der University of South Alabama. Ihr zweiter Roman Vor dem Sturm erhielt den National Book Award sowie mehrere weitere Auszeichnungen als bester Roman des Jahres 2011 und wurde in den USA zum Bestseller.

Mehr über Jesmyn Ward bei Wikipedia (Englisch).

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