08/05/2013von 715 Views – 0 Kommentare

Gaddis, William: Die Fälschung der Welt

Roman
Hardcover
1232 Seiten
Erschienen 2013 bei DVA
Aus dem amerikanischen Englisch von Marcus Ingendaay
Originalausgabe: „The Recognitions”, 1955

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Inhalt:

Wyatt Gwyon wächst als Priestersohn unter der rigiden Obhut seiner Tante in der Provinz Neuenglands auf und entwickelt ein zeichnerisches Talent. Schließlich landet er Ende der vierziger Jahre im New Yorker Greenwich Village, wo er aus Not zu einem genialen Kunstfälscher wird. Doch er kopiert nicht etwa die alten Meister, sondern erfindet neue „Originale“ und arbeitet damit korrupten Händlern und Hehlern in die Hände. Um ihn herum gibt es ein ganzes Heer an Künstlern, Kunstexperten, Schriftstellern, Geistlichen, Forschern und Politikern, die sich alle in einem Netz aus Lügen an der Fälschung der Welt beteiligen. (Pressetext)

Kurzkritik:

Dieses Buch gilt zu Recht als schwierig. Und vielleicht sollte man sich bei grundsätzlichem Interesse zuerst die Leseprobe ansehen, bevor man sich den über 1.200 Seiten dicke Wälzer zulegt. Dabei wird man merken, dass Gaddis weder unverständlich noch experimentell geschrieben hat. Vielleicht muss man sich daran gewöhnen, dass man nicht immer weiß, wer gerade spricht.

Schwierigkeiten mag man wohl auch damit haben, dass die Hauptfigur Wyatt Gwyon neben den vielen Nebenfiguren fast schon untergeht und dass diese Nebenfiguren oft nur mittelbar mit Wyatt zu tun haben. Außerdem ist der Kern der Geschichte rasch nachzuerzählen, die vielen zusätzlichen Handlungsstränge aber nur, wenn man sich laufend Notizen machen würde. Wobei man nie so recht sagen kann, was vom gerade Gelesenen wichtig ist oder nicht.

Ich konnte dem Werk in seiner Kunstfertigkeit jedenfalls nicht ganz folgen. Um der „Fälschung der Welt“ gerecht zu werden, müsste man sehr viel Zeit damit verbringen, den Roman wahrscheinlich mit Hilfe von Steven Moores – knapp 300 Seiten starkem – „Führer durch das Buch“ durchackern und dann schauen, ob man ihm bei nochmaliger Lektüre mehr abgewinnen kann.

Werner

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Besprechung:

Die Welt, wie sie einem Unbeteiligten erscheinen würde

Dieses Buch gilt zu Recht als schwierig. Und vielleicht sollte man sich bei grundsätzlichem Interesse zuerst die Leseprobe ansehen, bevor man sich den über 1.200 Seiten dicke Wälzer zulegt.

Dabei wird man merken, dass Gaddis weder unverständlich noch experimentell geschrieben hat. Vielleicht muss man sich daran gewöhnen, dass man nicht immer weiß, wer gerade spricht, und dass zur Auszeichnung von Dialogen keine An- und Abführungszeichen, sondern Geviertstriche (—) und Auslassungspunkte (…) verwendet werden. Und Gaddis hat viele Dialoge verwendet (allerdings nicht so viele wie in „J R“, welcher Roman fast ausschließlich daraus besteht).

Neben Wyatt

Schwierigkeiten mag man wohl auch damit haben, dass die Hauptfigur Wyatt Gwyon neben den vielen Nebenfiguren fast schon untergeht und dass diese Nebenfiguren oft nur mittelbar mit Wyatt zu tun haben. Außerdem ist der Kern der Geschichte relativ leicht nachzuerzählen, die vielen zusätzlichen Handlungsstränge aber nur, wenn man sich laufend Notizen machen würde. Wobei man nie so recht sagen kann, was vom gerade Gelesenen wichtig ist oder nicht. Doch davon später.

„Die Fälschung der Welt“ handelt, wie der Titel verrät, vom Fälschen. Wyatt Gwyon ist ein begnadeter Maler, der allerdings nicht zu seinem persönlichen Stil findet und schließlich beginnt, historische Bilder zu fälschen. Das stimmt so nicht: Er malt für den Sammler Recktall Brown neue Bilder im Stil von alten Malern (wie Hieronymous Bosch, Hugo van der Goes und Hans Memling), welche Brown als späte Entdeckungen verkauft. – Aus moralischen Gründen und weil das „echte Fälschen“ zu Nerven ausreibend ist, flüchtet er schließlich nach Europa, wo er als Restaurator arbeitet.

Mutters Grab

Der Roman spielt größtenteils in den USA und beginnt und endet in Europa. Wyatts Vater, ein Priester, hat seine auf einer gemeinsamen Reise verstorbene Frau in Spanien bestatten lassen. Wyatt hat in Deutschland Malerei studiert und später in Paris gelebt, wo er Esther kennenlernt und heiratet. Weil er ausschließlich für seine Kunst lebt und niemanden an sich heranlässt, wird sich Esther später, in New York, von ihm trennen.

Nun heißt es, dass alle Figuren in diesem Roman das Thema Fälschung variieren. Ich habe das nicht immer erkannt. Am ehesten noch bei Otto, einem erfolglosen Schriftsteller, der einen gebrochenen Arm vortäuscht, nachdem er angeblich an einer Revolution in Lateinamerika teilgenommen hat, und der dort ein Theaterstück geschrieben hat, das man in vielen Teilen für ein Plagiat hält.

Flunkern

Die drogensüchtige, von vielen begehrte Dichterin Esme kam mir nie falsch oder verlogen vor, auch nicht der – nicht mehr als üblich flunkernde – Freundeskreis rund um Otto. Allerdings leiden manche der Personen an psychischen Problemen: Esme zum Beispiel, die irgendwann von sich nur mehr in der dritten Person spricht (und gegen Ende in einem spanischen Kloster Nonne wird); oder Wyatts Vater, der von seinen theologischen Studien immer verwirrter wird, bis er schließlich in der Psychiatrie landet.

(Übrigens liegen in diesem Roman überall ausgefallene Bücher herum oder es wird über diese gesprochen, auch wenn nie jemand liest und sich die meiste Zeit auf Partys herumtreibt oder Geschäfte abwickelt. Diese „Wir sind sehr gebildet“-Attitüde scheint mir weniger mit dem Roman als mit dem Autor selbst zu tun zu haben.)

Dick aufgetragen

Gaddis hat meiner Meinung nach auch bei einigen Ereignissen zu dick aufgetragen (der tödliche Sturz der imposanten Figur Brown über eine Treppe – in einer Ritterrüstung; eine Fahrt durch Spanien mit einer Leiche, die in Madrid in ein Hotel gebracht wird, um später als gefälschte Mumie verkauft zu werden; …) und das steht im Widerspruch zu den ansonsten überaus realistisch geschilderten Szenen.

Ich habe weiter oben geschrieben, dass man bei diesen Szenen nie so recht sagen kann, was vom gerade Gelesenen wichtig ist oder nicht. Das hat vor allem damit zu tun, dass Gaddis durch seine Szenen streift, also den Fokus nicht ausschließlich auf das richtet, was für den Fortgang der Handlung wichtig ist. Viele Figuren tauchen immer wieder mal auf und setzen eine Handlung fort, die etliche Seiten (oder Szenen) zuvor begonnen hat.

Party-Dialoge

Am besten lässt sich dies vielleicht anhand der Party-Dialoge illustrieren: Man streift mit Gaddis gewissermaßen auf diesen Partys herum und schnappt Gesprächsfetzen auf, deren Sinn sich nicht immer erschließt. Manchmal bleibt Gaddis auch an einem kürzeren oder längeren Gespräch hängen. Das gibt sehr gut die Stimmung und die Bandbreite an Personen wieder, ergibt aber keine Szene, in welcher ein Autor eben entschieden hat, was wichtig ist und was nicht.

Das kann man auch auf Szenen- und Kapitelfolgen übertragen: Sie springen zwischen verschiedenen Personen hin und her, beleuchten verschiedene Handlungen (oder Dialoge), ohne dass man gleich (oder manchmal auch später) wüsste, worauf sie sich beziehen oder in welchem Zusammenhang sie stehen. Gaddis wusste das sicher, er wollte allerdings „die Welt“ nicht so wohlgefügt darstellen, wie dies in Romanen gemeinhin geschieht. Er hat, so glaube ich, einen (erfundenen) Ausschnitt dieser Welt so wiedergegeben, wie sie einem Unbeteiligten erscheinen würde. Wir haben es mit einem allwissenden Autor zu tun, der sein Wissen verschleiert.

Lesehilfe

Zumindest für mich stellt sich dieser Roman so dar. Und, wenn ich ehrlich bin, konnte ich ihm in seiner Kunstfertigkeit nicht ganz folgen. Um der „Fälschung der Welt“ gerecht zu werden, müsste man sehr viel Zeit damit verbringen, den Roman wahrscheinlich mit Hilfe von Steven Moores – knapp 300 Seiten starkem – Führer durch das Buch (den es auch online auf Englisch gibt) mit all den Quellen-Angaben durchackern, und dann schauen, ob man ihm bei nochmaliger Lektüre mehr abgewinnen kann.

Ich werde das nicht tun. Für mich gibt es genügend andere Bücher, die mich bei der ersten Lektüre weniger außen vor gelassen haben und in deren Kosmos ich lieber mehr eindringen würde. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass „Die Fälschung der Welt“ für andere genau so ein Werk ist.

Von Werner Schuster

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Infos:

Leseprobe

Die Fakten hinter der Fälschung. Ein Führer durch William Gaddis‘ Roman „Die Fälschung der Welt“ (gibt es auch online auf Englisch).

William Gaddis (1922-1998) zählt mit Don DeLillo, John Updike und Thomas Pynchon zu den bedeutendsten amerikanischen Schriftstellern unserer Tage. Seine Romane gelten als Meilensteine der zeitgenössischen Literatur. William Gaddis wurde zweimal mit dem National Book Award ausgezeichnet, erhielt den MacArthur Genius Grant und war Mitglied der American Academy of Arts and Letters. Die Fälschung der Welt ist sein Debütroman und erschien im Jahr 1955.

Mehr über William Gaddis bei Wikipedia.

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