Erpenbeck, Jenny: Aller Tage Abend
Roman
Hardcover
288 Seiten
Erschienen 2012 bei Knaus
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2012
Kurzkritik – Ausführliche Besprechung – Infos
Inhalt:
Wie lang wird das Leben des Kindes sein, das gerade geboren wird? Wer sind wir, wenn uns die Stunde schlägt? Wer wird um uns trauern? Jenny Erpenbeck nimmt uns mit auf ihrer Reise durch die vielen Leben, die in einem Leben enthalten sein können. Sie wirft einen scharfen Blick auf die Verzweigungen, an denen sich Grundlegendes entscheidet. Die Hauptfigur ihres Romans stirbt als Kind. Oder doch nicht? Stirbt als Liebende. Oder doch nicht? Stirbt als Verratene. Als Hochgeehrte. Als von allen Vergessene. Oder doch nicht? Erpenbeck erzählt, wie sich, was wir „Schicksal“ nennen, als ein unfassbares Zusammenspiel von Kultur- und Zeitgeschichte, von familiären und persönlichen Verstrickungen erweist. Der Zufall aber sitzt bei alldem „in seiner eisernen Stube und rechnet“. (Pressetext)
Kurzkritik:
Sooft Erpenbeck ihre Hauptfigur auch wieder zum Leben erweckt, für mich erwachte diese nie, blieb Figur in einer Art Schachspiel. Denn ich bin der Meinung, an diesem Romankonstrukt stimmt etwas grundsätzlich nicht: Wäre die Hauptfigur irgendwann tatsächlich gestorben, es hätte sich an ihrer Geschichte bis dahin nichts geändert. Wozu also muss sie dauernd das Zeitliche segnen? Einzig, damit die Autorin deren Leben nicht geradeheraus zu erzählen braucht?
Werner gibt (2,5 von 5 Eselsohren)
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Besprechung:
Man merkt die Absicht, und ist verstimmt
Anders als in „Heimsuchung“ wirkt die Anwendung dieser „Methode“ auf mich hier leider akademisch. Während sie die BewohnerInnen jenes Hauses anschaulich dargestellt hat, sind die Menschen in „Aller Tage Abend“ Figuren, für die ich wenig Empathie empfand.
Stirbt, lebt, stirbt, …
Zu Beginn stirbt ein Baby in der Wiege. Wir erfahren, welchen Schmerz dies in seinen Verwandten auslöst. Dann wird in einem Intermezzo ein Detail im bisher Geschriebenen verändert, und das Baby stirbt nicht. Im nächsten Kapitel ist eine 18-jährige Frau und verliebt; dann stirbt sie. Nach einem neuen Intermezzo lebt sie 37-jährig in Moskau, wohin sie, inzwischen Kommunistin, mit ihrem deutschen Mann geflüchtet ist. Sie stirbt, sie ist über 60 und lebt in Ost-Berlin, sie stirbt, sie ist 90 und erlebt die Wende. Sie stirbt.
Das Schachspiel
Erpenbeck schildert diese Lebensabschnitte im Prinzip großartig in verschiedenen Tempi und Rhythmen. Wieder erzählt sie deutsche Geschichte – diesmal anhand einer Biografie. Doch sooft sie diese Frau auch wieder zum Leben erweckt, für mich erwachte sie nie, blieb Figur in einer Art Schachspiel.
Die Schachspielerin
Vielleicht hätte die ungewöhnliche Roman-Architektur in einer „experimentelleren“ Erzählweise Ausdruck finden müssen, vielleicht hätte Erpenbeck nicht so tun sollen, als wäre das Ganze kein Konstrukt. Vielleicht hätte sie ihre Rolle als „Schachspielerin“ mehr herausstreichen sollen, sich also als Autorin einschalten: Ich gebe dir dein Leben, ich nehme es dir wieder, ich gebe es dir wieder usw.
Wozu?
Doch wahrscheinlich hätte auch das nichts genützt. Denn an Erpenbecks Konstrukt stimmt für mich etwas grundsätzlich nicht: Denn wäre die Hauptfigur irgendwann tatsächlich gestorben, es hätte sich an ihrer Geschichte bis dahin nichts geändert. Wozu also muss sie dauernd das Zeitliche segnen? Einzig, damit die Autorin deren Leben nicht geradeheraus zu erzählen braucht?
Wir können alle jederzeit sterben!
Und so bleibt (für mich) am Ende die nicht gerade neue Erkenntnis, dass wir alle jederzeit sterben können. Und eine Romanfigur, die mich vielleicht interessieren hätte können. Wie heißt es so schön bei Goethe? – „Man merkt die Absicht, und ist verstimmt.“
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Das meinen andere (Perlentaucher-Rezensionsnotizen).
Jenny Erpenbeck, geboren 1967, ist Regisseurin und vielfach preisgekrönte Schriftstellerin. Sie debütierte 1999 mit „Geschichte vom Alten Kind“. Zuletzt feierte sie mit „Heimsuchung“ einen großen, auch internationalen Erfolg bei Publikum und Kritik.
Mehr über Jenny Erpenbeck bei Wikipedia.
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