Hyvernaud, Georges: Zwei Romane
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
- Hardcover
- Erschienen 2007 und 2010 bei Suhrkamp
- Aus dem Französischen von Julia Schoch
- Originalausgaben: „La peau et les os“ (1949), „Le wagon à vaches“ (1953)
Inhalt:
„Statt der realistischen Erzählung eines Kriegsgefangenen ein sich an Episoden entlanghangelndes Nachdenken über das Leben als besiegter, gedemütigter Mensch“, schreibt Julia Schoch, die für die Übersetzung von „Haut und Knochen“ den André-Gide-Preis für deutsch-französische Literaturübersetzungen 2010 erhielt. – „Der Viehwaggon“ berichtet von der Zeit gleich nach dem Krieg, in Paris. Der Erzähler, den die Kriegsjahre mit einer „Krankheit des Blicks“ geschlagen haben, sieht zu klar. Er sieht, was mit den Menschen in seinem Viertel los ist, die sich nach der Befreiung geschäftig neu einrichten. (Pressetext)
Kurzkritik:
Warum war Hyvernaud als Schriftsteller zu Lebzeiten kein Erfolg beschieden, „obwohl der melodische Sarkasmus, die zynische Brillanz, die intelligente Bitterkeit seiner Sprache bestechend wirken“ (Ina Hartwig, Süddeutsche Zeitung)? Wahrscheinlich, weil „in diesem Roman – und das macht ihn so unbedingt lesenswert – schlichtweg das Positive fehlt, nach dem man doch gerade in den Zeiten des Neuanfangs lechzt“ (Jochen Schimmang, Frankfurter Allgemeine Zeitung).
Auch heute noch sind „Haut und Knochen“ (über (seine) Kiegsgefangenschaft) und „Der Viehwaggon“ (über das Nachkriegsleben) keine angenehme Lektüre. Hyvernauds Blick ist gnadenlos, sich selbst und anderen gegenüber. Manchmal möchte man glauben, er würde alles und jeden verachten, doch er verurteilt nicht, er gibt nur seine Beobachtungen wieder. Und diese sind durch seine existenzielle Erfahrung von fünf Jahren Kriegsgefangenschaft gefiltert.
Werner gibt (4,25 von 5 Eselsohren)
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Vor dem es die schönen Seelen so ekelt
Ein Franzose kehrt nach fünf Jahren Kriegsgefangenschaft 43-jährig in seine Heimat zurück, beginnt, wieder als Lehrer zu arbeiten und zu schreiben. Er schreibt über sein Leben als Gefangener, der Roman erscheint zwar, wird aber kaum wahrgenommen. Er schreibt einen zweiten Roman über sein Leben als Rückkehrer und als auch dieser unbeachtet bleibt, hört er zu schreiben auf.
Erst in den 1990er-Jahren wird Georges Hyvernaud wiederentdeckt und schließlich auch ins Deutsche übersetzt. „Ein Debüt von drastischer Deutlichkeit und enormer Kraft, ein universelles Heimkehrerdrama“, urteilt etwa Der Spiegel.
Zynische Brillanz
Warum war Hyvernaud als Schriftsteller zu Lebzeiten kein Erfolg beschieden, „obwohl der melodische Sarkasmus, die zynische Brillanz, die intelligente Bitterkeit seiner Sprache bestechend wirken“ (Ina Hartwig, Süddeutsche Zeitung)? Wahrscheinlich, weil „in diesem Roman – und das macht ihn so unbedingt lesenswert – schlichtweg das Positive fehlt, nach dem man doch gerade in den Zeiten des Neuanfangs lechzt“ (Jochen Schimmang, Frankfurter Allgemeine Zeitung).
Auch heute noch sind „Haut und Knochen“ (über (seine) Kiegsgefangenschaft) und „Der Viehwaggon“ (über das Nachkriegsleben) keine angenehme Lektüre. Es sind auch keine Romane, die persönlich Erlebtes als chronologische erzählte Geschichte wiedergeben. Vielmehr setzt Hyvernaud immer wieder an, um zu beschreiben, was die Kriegsgefangenschaft aus ihm, was der Krieg aus seinen Mitmenschen gemacht hat.
Gnadenlos
Sein Blick ist gnadenlos, sich selbst und anderen gegenüber. Manchmal möchte man glauben, Hyvernaud würde alles und jeden verachten, doch er verurteilt nicht, er gibt nur seine Beobachtungen wieder. Und diese sind durch seine existenzielle Erfahrung gefiltert.
Weiters reflektiert er in seinen Bücher das Schreiben selbst. In „Haut und Knochen“ heißt es, „wäre ich fähig, jenes unerbittliche und wahrhaftige Buch über die Welt der Gefangenen zu schreiben, hätte es Leser wie diese hier. Mit solchen Mienen, blind und verschlossen.“ – In „Der Viehwaggon“ denkt der Erzähler immer wieder darüber nach, wo sein Buch im Vergleich zu anderen und besonders zeitgenössischen Romanen stehen könnte – und kann es nirgendwo einordnen.
Eindringliche Tiraden
Der Erzähler? Spricht nicht Hyvernaud selbst? In „Haut und Knochen“ möchte man das noch annehmen, im „Viehwaggon“ beschreibt ein Angestellter in der Privatwirtschaft sich und seine Umwelt; nach seiner Freizeitbeschäftigung befragt, schützt er die Arbeit an einem Roman vor – dessen Titel „Der Viehwaggon“ lautet.
Das nimmt seinen Tiraden jedoch nichts an Eindringlichkeit und Schärfe:
In meinen philosophischen Momenten (nennen wir sie so) halte ich mich an den trivialen Aspekt des Problems des Viehwaggons. Will sagen: an die Erfahrung des Absurden, das die Durchschnittsindividuen auf der Stufe des alltäglichen Elends erleben. Innerhalb dieses Rahmens hab ich doch eine gewisse Kompetenz erlangt. Als Benutzer des Viehwaggons gehöre ich zur Normalausführung. Ganz ohne Zweifel. Ich brauche ja bloß mein Spiegelbild in den Schaufensterscheiben in der Rue Douillet anzusehen. (…) Wir sind Millionen absolut gleicher Passanten, Millionen und aber Millionen von Spiegelbildern. (…) Bloß Leute, die sich blind in den Windungen eines unförmigen Unglücks verfangen haben. Das genügt als Informationsmaterial. (…) Ich weiß, das Thema ist abgegriffen. Noch dazu führt es geradewegs zu einem wehleidigen Naturalismus, zu diesem faden, primitiven Gefühl der Bitterkeit, vor dem es die schönen Seelen so ekelt. (…) Es gibt in Ungnade gefallene Naturen, die die Dinge nie so sehen, wie es erforderlich wäre. Ich befürchte, zu denen gehöre auch ich.
Von Werner Schuster
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Das meinen andere zu „Haut und Knochen“ und „Der Viehwaggon“ (Perlentaucher-Rezensionsnotizen).
Georges Hyvernaud, geboren 1902 in der Charente, stirbt 1983 in Paris. 1939 wird er eingezogen und gerät im Mai 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er kommt in ein Lager in Pommern. 1945 kehrt Hyvernaud zurück. Er arbeitet in Paris als Lehrer, wie vor dem Krieg. 1949 erscheint sein erstes Buch „Haut und Knochen“, das trotz Unterstützung durch Jean-Paul Sartre u. a. fast unbeachtet bleibt. 1953 folgt „Der Viewaggon“ mit der Beschreibung eines „Nachkriegsgefangenen“ in Paris, ebenfalls fast ohne Resonanz. Der Autor verzichtet auf weitere Publikationen. Erst nach dem Tod wird sein Werk wirklich entdeckt.
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- von: Werner
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