15/07/2013von 708 Views – 0 Kommentare

Krumbholz, Martin: Eine kleine Passion

Roman
Hardcover
207 Seiten
Erschienen 2013 bei Ch. Schroer

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Inhalt:

Christof Rubart, 46, bald 47 Jahre alt, geschieden, Vater einer Tochter, ist ein Spätberufener: Seit einigen Jahren erst arbeitet er regelmäßig als Kustos in einem Museum für moderne Kunst. Doch seine Leidenschaft gilt nicht allein der Malerei: Rubart ist ein melancholischer Liebhaber des Schönen, und nicht zuletzt der Frauen. Wir folgen ihm durch einen Julitag des Jahres 2011 vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. (Pressetext)

Kurzkritik:

Man kann „Eine kleine Passion“ auf vielfältige Art und Weise lesen: Als Großstadtroman am Rhein im Stil von Woody Allens Film „Manhattan“, als Hommage an James Joyce‘ „Ulysses“. als Dreieckliebessgeschichte ähnlich Truffauts „Jules und Jim“ und x anderer, als eine moderne „Erziehung des Herzens“ nach Gustave Flaubert, als leicht neurotisches Psychogramm eines weißen heterosexuellen Mannes ähnlich Woody Allens „Stadtneurotiker“ und nicht zuletzt als Nacherzählung der biblischen Passionsgeschichte.

Daniel gibt  ★★★★½  (4,5 von 5 Eselsohren)

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Besprechung:

Für die Liebe gibt es keinen Masterplan

Martin Krumbholz schickt in seinem Debütroman „Eine kleine Passion“ einen Mittvierziger durch die Stadt Düsseldorf, die Gegenwart der Kunst, auf die Suche nach sich selbst und einer Theorie der Liebe.

Der Protagonist heißt Christof Rubart und ist Kustos im Düsseldorfer Museum für zeitgenössische Kunst. Wir schreiben den 7. Juli 2011 und es ist der Tag vor einer großen Ausstellungseröffnung mit dem noch großartigeren Titel: „DEUTSCHE MALKUNST 1990-2010“ und weil wir im place of the art Düsseldorf sind, werden dort in Bezug zu dieser Epoche mit den Namen Baselitz, Immendorff, Lüpertz, Polke, Richter, Kippenberger und Kollegen außerdem noch Bilder aus der Epoche Dürers und Cranachs gezeigt, wie sich das für eine große Show eben gehört.

Der Tag verläuft für Rubart arbeitstechnisch ruhig, die Ausstellung ist gehängt, der Katalog gedruckt, die Pressekonferenz gelaufen und lediglich eine Dienstbesprechung und ein Gang durch die Ausstellung mit einem total wichtigen Kritikergockel aus Berlin anberaumt. Ansonsten ist alles Müßiggang: Rubart trinkt mit seinem Museumsleiter Senzacolpa einen Kaffee, geht zum Frisör, besucht seinen Vater, anschließend eine Malerin in ihrem Atelier, geht mit zwei Freunden mittags im Restaurant essen, mit seiner Ex-Frau und seiner Tochter in eine Eisdiele, besucht seine Mutter auf dem Friedhof und landet schließlich auf einer Privatparty und im „Salon Des Amateurs“ unter der Kunsthalle.

Rubarts Liebesbeziehungen

Während dieser Zeit lässt er sich seine verschiedenen Liebesbeziehungen, die er in seinem Leben hatte, durch den Kopf gehen: Seine Teenagerliebe Meike (13), die ihm aufgrund seiner schüchternen Zurückhaltung komplett und zugunsten eines anderen, ihm zugriffsmäßig überlegenen, durch die Lappen ging, seine unerwiderte Liebe zu Amelie, seine Beziehung zur Rechtsanwältin Dr. Ruth Richter mitsamt der gemeinsam gezeugten Tochter Stella und die anschließende Beziehung zu Sophie, für die er sich von Ruth trennte, mit der es aber gerade auch nicht ganz so rund läuft.

Eine Liebesgeschichte lässt sich nicht konzipieren wie eine Ausstellung. Eine Ausstellung wird konzipiert und realisiert, Schwierigkeiten mag es geben, aber die lassen sich lösen. Eine Liebe erscheint auch heute noch, da es die Möglichkeit gäbe, sie per Internet rational zu planen und zu organisieren, wie eine Naturgewalt, die oft gerade dann ins Leben eindringt, wenn man sie gar nicht geplant hat. Weil es ja schon eine Fügung gibt, einen Plan, einen Rahmen, in dem das Leben steckt. Aber auch das Neue, das jetzt in Erscheinung tritt und den Rahmen zerbricht, könnte Teil irgendeines Plans sein. Und man wünscht sich plötzlich, es gäbe so einen Plan, den man nicht selbst geschmiedet hat, einen Masterplan. (S. 86)

Eine Kette von Verliebtheiten

Der Kustos und damit künstlerische Masterplaner Christof Rubart verzweifelt also gerade ein wenig daran, dass er die Passion der Liebe nicht per Masterplan schmieden kann, wie seine Ausstellungen. Deswegen versucht er, sich über seine Lieben im Nachhinein klar zu werden:

Das Leben ist eine Kette von Verliebtheiten, nur kurz abgerissen, jedes Glied anders geformt, kaum dass du von einer einzigen Episode sagen könntest, wie du hinein- und wieder hinausgeraten bist. (…) Es entsteht nach und nach ein Patchwork aus befriedigten und unbefriedigten Begierden. Und in diesem riesigen Patchwork von sich überlappenden Liebesbeziehungen zerfasert die Vorstellung davon, was „Liebe“ überhaupt ist. Ist sie ein romantisches Phantom, ist sie ein treuherziges Geben und Nehmen, ist sie ein kreatürlicher Vorgang, der ausschließlich im Ficken kulminieren kann? (S. 19)

Christof versucht außerdem, sich über sein Selbstverständnis als Mann klar zu werden:

Was macht einen Mann aus, was macht dich zu einem Mann? Doch nicht die banale Tatsache, dass du einen Schwanz hast. Auch nicht, dass der sich bemerkbar macht und sogar recht lästig werden kann. Nicht einmal der Umstand, dass du ihn eines Tages in die Möse einer Frau einführst, reicht dazu aus. Was dich zu einem Mann macht, ist erst der mit allen Konsequenzen gefasste Entschluss, diesen Schwanz zu mögen. (S. 38 f.)

Liebe und Rebellion

In beiden Fällen handelt es sich um zunächst sehr kreatürliche und teilweise chauvinistisch anmutende Überlegungen von Christof. Im weiteren Verlauf seiner Überlegungen zur Theorie der Liebe kommt er auf vielfältige Gedanken, inwieweit man sich beispielsweise im anderen in das eigene Spiegelbild verliebt, er entwirft eine Theorie der Verführung und kommt zum Zusammenhang von Liebe und Rebellion. Die Tatsache, dass Christof in seiner Umhängetasche das Bändchen „Monsieur Teste“ mit sich spazieren trägt rückt ihn in die geistige Nähe des Helden von Paul Valéry: „Der fremde Blick auf die Dinge, der Blick eines Menschen, der nicht versteht, der außerhalb dieser Welt steht, Auge an der Grenze zwischen Sein und Nichtsein – ist der des Denkers.“ (Paul Valéry)

In seiner Suche nach der Liebe begegnen ihm Menschen, die zahlreiche weitere Bezüge zur nichtbildenden Kunst herstellen: Da ist sein Vater, der Universitäts-Dozent und Shakespeare-Kenner, der aus dem Hamlet zitiert, die Freunde Roger Kuhlmann und Stefan Zinsmeister, mit denen er beim Mittagessen das Thema cineastisch von Gegenwartsfilmen bis hin zu Godard und Truffaut verhandelt, sowie die Begegnung mit bildenden Künstlern wie Hans Burmeister, der über Kunst und Eros referiert oder Simone Cerny, deren Bilder er in ihrem Atelier feinsinnig beschreibt. Gedanken zur verschiedenen Wirkung von Bilder, die einen mal direkt „anfallen“ oder mal ihre Wirkung auf den Betrachter erst subtil und geheimnisvoll mit der Zeit entfalten, runden den kunstlibidinösen Kosmos des Ästheten Christof Rubart zunehmend ab.

Stadtlandschaft Düsseldorf

Die Stadt Düsseldorf ist dabei als „Soziales Mosaik“ immer mit im Bild. Martin Krumbholz beschreibt detailliert und liebevoll das alternative Village Bilk, die zerknitterten Gehry-Bauten im neuen Hafen und den Jan-Wellem-Platz, den er als Baustelle des Düsseldorfer Homo Faber deutet, in „seiner Begierde, die Erde aufzureißen, alte Gemäuer einzureißen, um Neues zu bauen, eine noch glamourösere Stadt zu erfinden und sich selbst darin einen Thron zu errichten – als Weltenbürger, der wie Phönix aus der Asche aller Gegenwartskrisen steigt.“

Biblische Bezüge

Neben Zitaten aus Werken der bildenden Kunst im Zusammenhang mit der kurz bevorstehenden Ausstellungseröffnung, deutet Martin Krumbholz diese Bezüge zunächst während des Besuch Christofs bei seinem Vater zart an; im Seniorenheim gibt es an diesem Tag zum Mittagessen das rheinische Gericht „Himmel und Erde“, wie der Vater fälschlicherweise behauptet. Später wird die biblische Thematik konkreter, wenn Christof sich die Frage nach seiner Schuld gegenüber seiner Tochter Stella stellt, die offensichtlich darunter leidet, dass ihre Eltern aufgrund seiner Fremdverliebung in die Frau Sophia keine Familie mehr sind. In der Nachschau am Morgen des nächsten Tages kulminiert der Bezug in einer großartigen Wortkaskade mit biblischen Bezügen:

Er hat sich immer ein bisschen gewundert, dass die kleine Meike als Erwachsene so große Brüste hatte. War doch so ein zartes, kleines Mädchen. Mit ihrem Auftauchen einst fing alles an. Ursprung der Welt. Oder doch Beginn des Bewusstseins, ein männliches, begehrendes Wesen zu sein. Teenager. Opladi, Oplada. Das ist der Kelch meines Blutes, des neuen und ewigen Bundes, Geheimnis des Glaubens, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden, Amen. Wenn man gefickt hat, wird man nur noch geiler. Hier, beiß mal. Begehren, Scham, Eifersucht. Hier, beiß mal. Hier, beiß mal, Chris. In den grünen Apfel. Hier, knabber mal. Gesalzene Nüsse, gepfefferte Preise. Die Erste von ihnen und auch die erste, die er vermisst hat, war die Mutter. (S. 205 f.)

Durch den ganzen Roman ziehen sich immer wieder Anspielungen auf den (in Hinblick auf das Datum, an dem seine Geschichte spielt) gerade eben zuvor gestorbenen bildenden Künstler Cy Twombly. Es wäre ein spannendes wissenschaftliches Projekt, den Roman „Eine kleine Passion“ in seinen Bezügen zu Twomblys Werk sowie vor der Folie des abstrakten Expressionismus und anderer im Roman auftauchenden Kunstströmungen und Künstler zu untersuchen.

Sprachlicher Pointillismus der Gegenwart

Martin Krumbholz gelingt es in seinem fulminanten Romandebüt, die Geschichte seines Mittvierziger-Protagonisten auf dessen Suche nach einem roten Faden in seinem bisherigen Liebesleben gekonnt in eine alltägliche Handlung des Müßiggangs und zutiefst menschliche Begegnungen zu gießen, dezent theoretische Ansätze zur Liebe darin einzuflechten und durch Punkt-für-Punkt-genaue Bezüge zur bildenden Kunst, Literatur, Film und den christlichen Kontext das Thema auf pointillistische Art um vielfältige künstlerische Nuancen zu erweitern.

Man kann „Eine kleine Passion“ auf vielfältige Art und Weise lesen: Als Großstadtroman am Rhein im Stil von Woody Allens Film „Manhattan“, als Hommage an James Joyce‘ „Ulysses“. als Dreieckliebessgeschichte ähnlich Truffauts „Jules und Jim“ und x anderer, als eine moderne „Erziehung des Herzens“ nach Gustave Flaubert, als leicht neurotisches Psychogramm eines weißen heterosexuellen Mannes ähnlich Woody Allens „Stadtneurotiker“ und nicht zuletzt als Nacherzählung der biblischen Passionsgeschichte.

Poetische Wirkung

Der Bochumer Filmwissenschaftler Gunther Salje schrieb 1997: „Die poetische Wirkung ist die Fähigkeit eines Textes, eines Films, immer neue und andere Lesarten zu erzeugen, ohne sich jemals ganz zu verbrauchen. Poesie ist nur extremistisch möglich und in den einfachsten Formen, eine Kalkulation größtmöglicher Einfachheit, die Radikalität des Geistes, der Sprache, der Bilder und eine Zärtlichkeit, die niemals endet.“ (Salje 1997). Diese poetische Fähigkeit besitzt der Roman „Eine kleine Passion“ auf jeder seiner 207 Seiten. Gratulation an den Autor Martin Krumbholz zum gelungenen Debüt. Uneingeschränkte Leseempfehlung!

Von Daniel Kasselmann

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Infos:

Martin Krumbholz, 1954 in Wuppertal geboren, lebt in Düsseldorf. Er war lange Jahre vor allem als Literatur- und Theaterkritiker für namhafte Medien wie die „Süddeutsche Zeitung“, die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“ tätig. Im Frühherbst 2012 wurde am Staatstheater Darmstadt sein Stück „Grandhotel Bogotá“ uraufgeführt. „Eine kleine Passion“ ist sein erster Roman.

Mehr über Martin Krumbholz und über Cy Twombly bei Wikipedia.

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