07/10/2009von 514 Views – 0 Kommentare

Flieder, Paul: Der Barbier von Bagdad

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Buchcover Der Barbier von Bagdad
Sachbuch Politik
Erschienen 2009 bei Residenz
Inhalt:

Ist der Irak reif für den Frieden? Barack Obama muss ein Wahlversprechen einlösen und die US-Truppen aus dem Irak abziehen. Offizielle Berichte sagen, dass ein Leben in Normalität möglich ist. Doch sie basieren auf Informationen aus der Grünen Zone Bagdads, die aus Angst vor Selbstmordattentätern mit Mauern, Militär und Polizei vom wirklichen Leben abgeschirmt ist. Paul Flieder verließ die Grüne Zone und bereiste auf eigene Faust mit der Filmkamera den Irak. (Pressetext)

Kurzkritik:

„Der Barbier von Bagdad“ ist jedoch eine scheinbar zufällige Ansammlung von Momentaufnahmen. Und so weiß man nicht genau, was man mit den vielen Geschehnissen und Impressionen machen soll, über die Flieder erzählt. Jede ist für sich genommen gut und pointiert geschrieben, doch der Gesamteindruck bleibt vage. Je mehr ich las, desto mehr verschwammen die an sich klaren Bilder und Flieders Erlebnisse. Zurück blieb eine Art Fata Morgana mit allerdings entsetzlichem Inhalt.

Werner gibt  ★★★½☆  (3,5 von 5 Eselsohren)

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Besprechung:

Erschütternde Fata Morgana

Im Prinzip ist das ein wertvolles Buch für alle, die hinter die Kulissen der Medien-Berichterstattung schauen wollen: Paul Flieder zeigt, wie es im Irak derzeit wirklich aussieht. Denn wir bekommen in der Regel nur die sog. Grüne Zone von Bagdad zu sehen, jener vom amerikanischen Militär bewachte Sitz der Regierung sowie internationaler Vertretungen und Firmen, der komplett von hohen Betonmauern, T-Mauern und Stacheldrahtzaun umgeben ist.

Rundherum um die „Grüne Zone“: Keine Sicherheit, nirgends. Ständige Attentatsgefahr. Jede Familie hat Todesopfer zu beklagen. Verkrüppelte Kinder. Angst, in die Schule zu gehen. Verkrüppelte Erwachsene. Angst, den Beruf auszuüben. Wohnungsnot. Miserable Versorgung. Katastrophale Infrastruktur. Das einzige, was blüht und gedeiht, ist die Korruption. Und alles ein „trotzdem“. Trotzdem versuchen sie, weiterzuleben.

Wie jener Barbier, bei dem Flieder aus- und eingeht, denn „hier werden die Familien- und Weltprobleme besprochen“. Quasi von dort aus wagt sich Flieder – für TV-Reportagen – in ungeschütztes Terrain und bringt erschütternde Berichte mit.

Schreckliches fürs Herz

Aber. Flieder ist (eigentlich) Opernregisseur und Drehbuchautor. Von da her sollte er eigentlich wissen, das Informationen besser aufgenommen werden können, wenn sie strukturiert sind. „Der Barbier von Bagdad“ ist jedoch eine scheinbar zufällige Ansammlung von Momentaufnahmen.

Und so weiß man nicht genau, was man mit den vielen Geschehnissen und Impressionen machen soll, über die Flieder erzählt. Jede ist für sich genommen gut und pointiert geschrieben, doch der Gesamteindruck bleibt vage. Je mehr ich las, desto mehr verschwammen die an sich klaren Bilder und Flieders Erlebnisse. Zurück blieb eine Art Fata Morgana mit allerdings entsetzlichem Inhalt.

Wie war das jetzt mit dem Mädchen ohne Beine? Und wo steht das? – Und da war doch was mit alkoholisierten Jugendlichen – – Wo war das mit dem Kaffeehaus? War das der Besitzer oder der alte Fotografen, der fünf Kinder verloren hat? – Und wo steht nochmal das Schicksal des Barbiers beschrieben?

Wer wie wo wann was und ein bisschen warum

Wer das alles wissen will, wird es nur mehr schwer wiederfinden, nämlich indem er oder sie das ganze Buch mehrmals durchblättert.

Sagen wir so. Es ist ein Buch, das mehr die Herzen anspricht als die Gehirne. Und es hätte doch beides tun können. Damit man nicht bloß das Vorurteil bestätigt bekommt, dass es im Irak schrecklich zugeht, sondern weitererzählen, wie genau. Wer wie wo wann was und ein bisschen warum.

© Werner Schuster

P.S.: Ich kann nicht umhin mich zu wundern, dass ausgerechnet Heinz Sichrovsky von „News“ am Cover behaupten darf, „Von Peter Handke habe ich gelernt, dass die von Bulletins und Nachrichtenkonzernen verbreitete Weltmeinung nichts ist. Dass man an die Schauplätze gehen und mit den Menschen reden muss, denen sonst keiner zuhört.“ – Sichrovsky hat von Handke gelernt?!? Sichrovsky muss mit Menschen reden, denen sonst keiner zuhört?!? – Noch eine Fata Morgana –
(Siehe auch meine Sichrovsky-Glosse „Der Kultur-Kyniker“.)

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Infos:

Paul Flieder geboren 1953 in Wien, arbeitete als Opernregisseur und Drehbuchautor u.a. in Berlin, Hamburg, Novi Sad und Wien. In Athen inszenierte er mit “Der fliegende Holländer” die erste griechische Wagner-Aufführung, in Ulan Bator den ersten Mozart, “Don Giovanni”. 1997 wurde er als Konsulent des österreichischen Kulturministeriums in Tirana vom Bürgerkrieg überrascht und berichtete für den ORF. Seither dreht er auch Reportagen für ORF und Spiegel-TV auf dem Balkan, in der Mongolei, im Nahen und Mittleren Osten.

Über Paul Flieder bei Wikipedia.

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