Held, Annegret: Fliegende Koffer
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
Roman
Hardcover
Eichborn, 2009
Inhalt:
Annette ist eine Frau in den Vierzigern, die ihr Geld auf ungewöhnliche Weise verdient. Sie arbeitet im Sicherheitsbereich eines großen Flughafens. Wechselnde Arbeitszeiten mit langen Nachtschichten dominieren ein Leben, das sich an der Nähe zu den Passagieren schadlos hält – Annette und ihre Kollegen erfahren die Welt durch das Abtasten von Körpern, den Blick in Koffer und die Augen der Reisenden. Und immer wieder weicht die spontane Vertrautheit mit den Passagieren einer Paranoia, die sich aus der Angst vor dem Terror und dem einen Koffer speist, den es zu finden gilt – Tag für Tag, Nacht für Nacht. In einer dieser Nächte begegnet Annette zu ihrem Schrecken auch Simon, ihrer ehemals großen Liebe. (Pressetext)
Kurzkritik:
„Fliegende Koffer“ ist für mich ein poetisches, sehr privates Buch, so als dürfte ich eine Zeitlang im Kopf und Herzen von Anette sitzen und eine schwierige Phase ihres Lebens detailliert mit allen Gefühlen und Ängsten beobachten. Dennoch ließ mich dieses Buch nicht traurig, sondern mit dem Gefühl zurück, dass das Leben weitergeht – ich hätte übrigens gerne gewusst, wie es mit Anette weitergeht, wo wir uns doch so nahe gekommen sind.
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Sprengstoff, anmutig verpackt
„Magst du das Buch da lesen? Das ist so ein Frauenbeziehungskistenzeug, hat ganz gut angefangen, aber …“, fragte mich Werner. Ich hab nix gegen Frauenbeziehungskistenzeug, wenn es mich fesselt, also mochte ich – und las es von vorne bis hinten in einem durch, denn es hat nicht nur gut angefangen, es ist auch gut weitergegangen und war – als „Frauenbeziehungskistenzeug“ oder sonstwie betrachtet – alles andere als leichte Kost.
Anette kontrolliert Fluggäste im Sicherheitsbereich eines Flughafens, schlecht bezahlte, ermüdende Schichtarbeit, verbunden mit dem Stress, in Zeiten der Terrorbedrohung nur ja keine Waffe, keine Bombe, keine Chemikalie durch die Sperren schlüpfen zu lassen. Sie erlebt die erzwungene Intimität zu den zu Kontrollierenden auf ihre ganz eigene Weise, geht vorsichtig in Kontakt mit verschleierten Frauen, afrikanischen Männern oder gelifteten Amerikanerinnen, und es geht ihr an ihrem langen Arbeitstag sehr vieles durch den Kopf; sie wird überrascht, beglückt, gedemütigt, beschimpft, beschwindelt –. Mit ihren Kollegen verbindet sie die Erschöpfung, die gemeinsamen Rauch- und Kaffeepausen und die Tatsache, diesen Job aus Geldnot machen zu müssen. Alle kommen sie aus anderen Arbeitsbereichen und Ausbildungen, aus der Entwicklungshilfe, der Theologie, vom Militär, und alle gehen sie an diesen Job auf ihre ganz spezielle Weise heran.
Poetisch, sehr privat
Als Anette in einer Kaffeepause ihre große Liebe Simon nach zehn Jahren wieder über den Weg läuft, hat Werner zu lesen aufgehört. Hätte er weitergelesen, hätte ihn diese traurige, nüchtern und schlicht erzählte Liebesgeschichte sicher auch zu berühren vermocht. Simon und Anette versuchen einen Neuanfang, doch Anettes anfängliche Freude wandelt sich zunehmend in Ratlosigkeit und Verletztheit, denn Simon hat sich stark verändert. Manchmal nur ist er noch der alte, und Anette klammert sich an diese Momente mit aller Kraft. Die einzelnen Szenen sind so nachvollziehbar beschrieben, dass mir war, als könnte ich die Luft riechen, die sie umgab, den billigen Wein schmecken, den sie getrunken haben, die Traurigkeit fühlen, die nach und nach die Euphorie eines Wiedersehens verdrängte.
„Fliegende Koffer“ ist für mich ein poetisches, sehr privates Buch, so als dürfte ich eine Zeitlang im Kopf und Herzen von Anette sitzen und eine schwierige Phase ihres Lebens detailliert mit allen Gefühlen und Ängsten beobachten. Dennoch ließ mich dieses Buch nicht traurig, sondern mit dem Gefühl zurück, dass das Leben weitergeht (– ich hätte übrigens gerne gewusst, wie es mit Anette weitergeht, wo wir uns doch so nahe gekommen sind –).
Dieses Buch erweckt in mir den Wunsch, genauer zu beobachten, meine Vorurteile zu überdenken und das Leben mit mehr Humor zu betrachten. Frau Held muss die Menschen lieben, denn sonst könnte sie nicht so über sie schreiben.
Von Eva Schuster
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Über Annegret Held bei Wikipedia.
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