01/08/2013von 506 Views – 0 Kommentare

Henning, Peter: Ein deutscher Sommer

Roman
Hardcover
608 Seiten
Erschienen 2013 bei Aufbau

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Inhalt:

Im heißen Sommer 1988 hielten zwei Geiselnehmer aus Gladbeck die Republik in Atem. Peter Henning hat einen Roman über diese 54 Stunden geschrieben. Er präsentiert die ungeheuren Fakten jener Tage und legt einen erzählerischen Querschnitt durch die westdeutsche Gesellschaft am Vorabend einer Zeitenwende. (Pressetext)

Kurzkritik:

Vielleicht hätte Henning besser ein Tatsachenbericht verfasst. Vielleicht wären uns dann auch Sätze wie dieser erspart geblieben: „,Ja‘, antwortete sie, die, das konnte er nun, da er aufgestanden und einen Schritt auf sie zugegangen war, sehen, in einem Rollstuhl saß.“

Werner gibt  ★☆☆☆☆  (1 von 5 Eselsohren)

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Besprechung:

„… auf sie zugegangen war, sehen, in einem Rollstuhl saß.“

Vier Jahre hat Peter Henning für diesen Roman recherchiert. Vielleicht hätte er besser einen Tatsachenbericht geschrieben.

„Ein deutscher Sommer“ ist leider ein entsetzlicher Roman geworden. Peter Henning schreibt nicht nur in einem pedantisch-holprigem Stil, er verweigert auch, die inhaltliche, dramaturgische und dramatische Spreu vom Weizen zu trennen.

Zum Stil:

Zögerlich drückte er den ebenfalls roten Klingelknopf, trat einen Schritt zurück und lauschte. Nach ein paar Sekunden sprang die Tür auf, und eine mit grünem Kittel und einer ebenfalls grünen Hose bekleidete Frau, deren brünette Locken unter einem engmaschigen Haarnetz verstaut waren, sagt: „Ja, bitte?“

Man sieht: Henning liebt detaillierte, umständliche und eigentlich unnötige Beschreibungen. Er erzählt so viel wie nur möglich, überlässt nichts der Phantasie der LeserInnen – und bleibt dennoch an der Oberfläche der Geschehnisse und der Figuren.

Die Fakten

Am 16. August 1988 hatten zwei Kriminelle die Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck überfallen. Als die Polizei anrückte, nahmen sie die Bankangestellten als Geiseln. Schließlich flüchteten sie mit 300.000 DM in einem zur Verfügung gestellten Auto. Später kaperten sie einen Linienbus mitsamt den Fahrgästen und erschossen ein Mädchen.

Der Einsatzleiter traute sich nicht, die Bank oder die Fluchtautos stürmen zu lassen und die Geiseln zu befreien. Er untersagte auch den Medien nicht, sich den Geiselnehmern zu nähern. Den Fluchtautos folgte stets ein Tross von Journalisten und Fotografen. Zwischendurch gaben die Geiselnehmer Interviews. Die Geiselnahme endete am 18. August 1988 in einer umstrittenen Polizeiaktion auf der Autobahn, bei der eine weitere Geisel ums Leben kam.

Das Verhalten der Medien entfachte eine intensive öffentliche Debatte über Verantwortung und Grenzen des Journalismus.

Das Unwichtige zuerst

Diesen Fakten fügt Henning nichts Wesentliches hinzu, obwohl er vier Jahre für sein Buch recherchiert hat. Weil er nicht unterscheiden kann, was wichtig ist und was nicht, zieht sich seine Darstellung in die Länge. Und weil er anscheinend nur das berichtet, was er für gesichert hält, streift er wichtige Ereignisse nur knapp, über die man dann wieder gern mehr erfahren hätte. Die abschließende Polizeiaktion etwa.

Henning schreibt ausführlich über Personen, die vorderhand mit dem Geiseldrama nichts zu tun haben: eine Taxifahrerin, einen Fotografen, einen Busfahrer etwa. Letzterer wird sich später bereit erklären, den entführten Bus zu lenken. Der Fotograf wird im Auto der Entführer mitfahren und für die Entführer den Polizeiboten spielen. Die Taxifahrerin wird mit einem Journalisten hinter den Entführern herfahren. Dabei wird ihr auf sie geschossen werden.

Faction

Das mag sich alles so zugetragen haben. Aber haben sich ausgerechnet diese Taxifahrerin und dieser Busfahrer wirklich kennengelernt und ineinander verliebt, kurz bevor sie mit dem Geiseldrama zu tun bekommen haben? Oder wollte Henning da sein Buch bloß mit einer Liebesgeschichte anreichern?

Haben wir es nun mit einem Tatsachenroman zu tun oder mit Faction (wo Fakten und Dichtung miteinander vermischt werden)? Das geht leider nicht klar hervor.

Es wird überhaupt sehr wenig klar. Henning schreibt in jeweils kurzen Abschnitten über seine Nebenfiguren und wirft zwischendurch ein Schlaglicht auf das Geiseldrama. Die relevanten Geschehnisse werden hinter einem Wust an Zusatzinformation quasi „versteckt“. Diese Infos sollen die Charaktere und Motivationen der Personen beleuchten. Da erweist sich Henning an Hobby-Psychologe, der alles aus der Vergangenheit heraus erklären möchte. Außerdem spielen die Figuren in allen möglichen und unmöglichen Momenten Musik. Damit soll wohl die Zeit eingefangen werde; sonstiges Zeitgeschehen kommt in „Ein deutscher Sommer“ nicht vor.

Klischeehaft

In Summe ergibt das leider sehr wenig. Um sich über den Ablauf des Geiseldramas zu informieren, muss man andere Quellen heranziehen. Von den Geiselnehmern erfährt man, dass einer eine schlimme Kindheit hatte. Und die anderen Personen bleiben klischeehaft, obwohl sie mit so ausführlich beschrieben werden.

Oder unglaubwürdig: Der RTL-Reporter kann am Ort der Geiselnahme anscheinend auftauchen, wann es ihm passt. Zwischendurch taucht er einfach mal unter, um sich zu fragen, was aus seinem Beruf geworden ist. Damit nicht genug, ist er auch noch Vater eines Frühchens, an dessen Krankenhaus-Bett er seine Frau unterstützt, wenn er nicht gerade einen Seitensprung unternimmt oder doch kurz mal seinem Beruf nachgeht.

Überfordert

Nun kann es sein, dass Henning die Sequenzen seines Buches so oft umgeordnet hat, bis er sich damit selbst nicht mehr ausgekannt hat. Dafür würde sprechen, dass die Pressemeldungen, welche vor jedem Kapitel stehen, mit diesem oft nicht unmittelbar zu tun haben: Meist passen sie zeitlich nicht zum Folgenden, sondern beschreiben etwas, das im Buch schon längst geschehen ist.

Doch das sind Spekulationen. Generell hatte ich den Eindruck, dass Henning mit seinem Stoff schlichtweg überfordert gewesen ist. Vielleicht hätte er besser ein Tatsachenbericht verfasst und sich auf die Geiselnahme konzentriert – mit Stellungnahmen der Beteiligten und der Augenzeugen. Vielleicht wäre dann der „Sündenfall des Journalismus“ und der „Offenbarungseid der Polizei“ besser zur Geltung gekommen, über den Henning ja angeblich schreiben wollte.

Und vielleicht wären uns dann auch Sätze wie dieser erspart geblieben:

„Ja“, antwortete sie, die, das konnte er nun, da er aufgestanden und einen Schritt auf sie zugegangen war, sehen, in einem Rollstuhl saß.

Von Werner Schuster

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Infos:

Peter Henning, geb. 1959 in Hanau, arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist. Er hat Romane und Erzählungen publiziert, die sowohl ausgezeichnet worden sind als auch von der Kritik viel Lob ernteten. 2009 erschien »Die Ängstlichen« (atb 2681-9), »Der Roman zur Zeit«, so Der Spiegel. Jetzt als Taschenbuch: »Tod eines Eisvogels« (atb 2741-0).

Mehr über Peter Henning und über die Geiselnahme von Gladbeck bei Wikipedia.

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