18/02/2013von 369 Views – 0 Kommentare

Amazon: Weitere Kündigung und offener Brief

News- & Story-Esel

Nachdem der Berliner Schroer Verlag bereits seinen Vertrag mit dem Onlinehändler gekündigt hatte, folgt nun Verleger André Thiele aus Mainz. In einem offenen Brief auf Facebook und der Verlagswebsite erläutert der Verleger, warum er seine Kooperation mit Amazon nun vollständig beendet.


Mainz, den 18. Februar 2013
Sehr geehrter Herr Bezos,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe mir ein paar Tage Zeit gelassen, um meinen Entschluss nach dem Bekanntwerden dessen, was mittlerweile wohl tatsächlich »der« Amazon-Skandal geworden ist, gründlich zu überdenken.

Mein Verlag ist kein Verlag für »Nein-Sager«. Billige Werbeeffekte, Boykotte, triumphierende Wichtigtuerei, all das liegt mir fern.

Trotzdem muss ich nun »Nein« sagen: Nein zu unserer weiteren Zusammenarbeit.

Ich kündige hiermit den zwischen Ihnen und mir 2008 geschlossenen Kooperationsvertrag für den VAT Verlag André Thiele zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Dabei will ich nicht so tun, als geschähe dies allein aufgrund der allerdings erheblichen Empörung über die unglaublichen Bedingungen, mit denen Sie dem bekannten ARD-Bericht zufolge ihre Mitarbeiter behandeln.

Seit 2008 habe ich die katastrophal schlechten Konditionen, die Sie mir als Kleinverleger gewährten, »geschluckt«. Der Kollege Christopher Schroer aus Berlin hat diese in seiner Pressemitteilung vom 15. Februar zusammengefasst, ich ergänze um ein paar Punkte:

50 % Rabatt, zzgl. 5 % Lagermiete, zzgl. Alleintragung aller Portokosten, zzgl. Jahresmitgliedsgebühr, zzgl. nahezu jedesmal für mich nicht nachvollziehbare zusätzliche Abzüge bei den verbleibenden Summen.

De facto dürfte sich allein hieraus ein »Rabatt« zu Ihren Gunsten von über 65 % ergeben. Von den verbleibenden 35 % – wenn es denn bei denen bliebe! – soll ich den Druck und die Autoren bezahlen? Träumen Sie?

Das alles vor dem Hintergrund, dass wir selbst die monatliche Rechnung mühsam ausstellen und zusenden müssen. Schon geringste Fehler in dieser wurden von Ihrer Rechnungsabteilung als Vorwand benutzt, wiederum erst etliche Wochen später auszuzahlen, obwohl Sie sowieso schon sehr spät auszahlen.

Wir müssen alle unsere Produkte in Ihrem Warenwirtschaftssystem selbst einpflegen, Fehler werden nur mit extremer Zeitverzögerung korrigiert und dann meist wiederum falsch. Sie senden Bücher ohne Lieferschein und Begründung zurück – und bestellen oftmals am selben Tag dieselben Bücher erneut, was vollkommen unnötigen Portoaufwand bedeutet.

Ihre Mitarbeiter am Telefon wechseln ständig, sind oft des Deutschen kaum mächtig, reden in Standardformeln und lösen die Probleme, die üblicherweise Sie verursacht haben, in der Mehrzahl der Fälle nicht.

Seit 2008 habe ich Sie immer wieder auf diesen Wahnsinn aufmerksam gemacht und Ihnen gesagt, dass ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass am Ende eine der beiden Partner Verluste macht, nicht funktionieren kann. Es hat sich nichts geändert. – So viel zu Ihrer Anpassungsfähigkeit.

Mag sein, dass Sie großen und etablierten Verlagen andere Konditionen bieten, man hört da so einiges. Und von denen hört man wiederum auch jetzt, nach dem Skandal, nichts Negatives über Amazon, was darauf schließen lässt, dass sie fröhlich und zufrieden sind. Das freut mich!

Wir jedenfalls werden nie ein solcher großer und etablierter Verlag, wenn wir uns auf Konditionen einlassen, wie wir sie uns von Ihnen haben aufzwingen lassen.

Nun ist aber der Mensch in nahezu beliebigem Umfang zur Sebsttäuschung fähig. Und so habe ich mich immer wieder selbst mit verschiedenen Argumenten überzeugt, dass es doch wichtig sei, mit einem zukunftsträchtigen Unternehmen wie dem Ihren zusammen zu arbeiten.

Aber der Punkt ist ja – und das ist es, was der ARD-Bericht zutage gebracht hat –, dass Sie keine Zukunft haben.

Ein Geschäftsmodell im Vertrieb, das weder den Lieferanten noch den eigenen Mitarbeitern die Luft zum Atmen lässt, hat keine Zukunft.

Wer soll denn meine Bücher kaufen? Ihre misshandelten Leiharbeiter etwa? Da lachen ja die Hühner. Und die Nazi-Schläger, die Sie laut ARD eingesetzt haben, lesen, fürchte ich, meine Bücher auch nicht.

Eines aber muss ich Ihnen lassen: Ihr System funktioniert prima! Zwanglos herumstöbern, ein Buch aussuchen, bestellen, es in einem oder zwei Tagen portofrei in Händen halten – großartig!

Leider sind Sie damit nicht allein auf weiter Flur. Wir haben dieses System in Deutschland schon seit langem, bis hinein ins kleinste Dorf. Es nennt sich: der Buchhandel.

Dort arbeiten kompetente Menschen mit Herz und Verstand daran, unsere anspruchsvollen Bücher einem interessierten Publikum nahe zu bringen. Hier begegnen wir als Kleinverlag, wenn wir denn gut genug sind, auch großen und etablierten Verlagen auf Augenhöhe.

Auch im Buchhandel werden keine riesigen Gehälter gezahlt, aber doch welche, von denen man leben kann. Und keiner muss sich vor Nazi-Schlägern fürchten, weil er nicht spurt.

Und im Buchhandel bekommt man noch etwas, was man bei Ihnen ganz sicher nicht bekommt: kompetente und individuelle Beratung. Diese mögen Ihre Algorithmen nachäffen, so viel sie wollen, sie können sie nicht ersetzen.

Ich und meine Mitarbeiter werden die Zeit und die Mühe, die wir bisher mit der Pflege Ihres schrecklichen Warenwirtschaftssystems verschwendet haben, dafür einsetzen, unser Angebot für den Buchhandel attraktiver zu machen – und für unsere Leser.

Bitte bestätigen Sie mir den Erhalt der Kündigung schriftlich.

Mit freundlichen Grüßen,

André Thiele
VAT Verlag André Thiele
www.vat-mainz.de

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