07/05/2011von 548 Views – 0 Kommentare

„Das Bildnis des Dorian Gray“, unzensiert

Bevor Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ erstmals in Buchform erschienen ist, hat der Schriftsteller die „anstößigsten“ Passagen entfernt. Nun hat die Havard University Press mit „Picture of Dorian Gray: An Annotated, Uncensored Edition“ eine kommentierte und der ursprünglichen Version entsprechende Fassung herausgegeben.

(orf.at) Wildes einziger Roman, der bis heute ein viel rezipiertes Werk ist, wurde in seiner Urfassung 1890 im „Lippincott’s Monthly Magazine“ abgedruckt und wurde umgehend von der Presse verrissen. Man bescheinigte dem Schriftsteller nicht nur einen langatmigen Stil, sondern kritisierte vor allem die Handlung, die als „schmutzig“, „unmoralisch“ und „giftig“ empfunden wurde.

Vor allem die eindeutig als solche zu erkennende homosexuelle Beziehung zwischen dem Künstler Hallward und dem Jüngling Dorian Gray war den prüden Briten im 19. Jahrhundert zu viel. Trotz der niederschmetternden Reaktionen fand Wilde mit Lock, Ward and Co. einen Verlag, der bereit war, „Das Bildnis des Dorian Gray“ zu veröffentlichen. Unter einer Bedingung: Der Schriftsteller sollte vor allem homoerotische Passagen entschärfen.

Wilde hat homoerotische Passagen entschärft

Wilde gestaltete wichtig erscheinende Aspekte der Handlung etwas weiter aus, legte mehr Augenmerk auf die geistreichen Konversationen, Grays Charakter und seine dekadenten Ausschweifungen. Die Beziehung zwischen den Männern tritt in der überarbeiteten Fassung in den Hintergrund.

Tatsächlich stieß die neue Version bei ihrem Erscheinen auf viel weniger Kritik, namhafte Zeitgenossen wie Arthur Conan Doyle, William Butler Yeats und später auch James Joyce fanden anerkennende Worte für das Werk.

Gesellschaftlich geächtet

Wilde war lange Jahre seines Lebens Anfeindungen ausgesetzt. Wegen seiner Beziehung zu Männern wurde ihm 1895 Unzuchtsprozess gemacht und er verbrachte zwei Jahre bei schwerer körperlicher Arbeit im Gefängnis. Danach galt er als gesellschaftlich geächtet und floh nach Paris, wo er drei Jahre später mittellos und einsam in einem Hotelzimmer verstarb.

Nach seinem Tod wurde Wilde zu einer Schwulenikone. Seine letzte Ruhestätte auf dem Pariser Friedhof Pere Lachaise wird bis heute von Fans aus aller Welt mit Blumen überhäuft, der Grabstein mit unzähligen Abdrücken von Kussmündern verziert.

Postum nicht begnadigt

Trotzdem wurde Wilde nicht postum begnadigt. Der ehemalige britische Innenminister Michael Howard schrieb 1994 an eine Homosexuellen-Organisation, dass „es keinen Grund zu der Annahme gibt, dass Oscar Wilde entgegen den in seiner Zeit geltenden Gesetzen verurteilt wurde“. Deshalb könne er nicht postum begnadigt werden. Die Homosexuellen-Organisation „Outrage“ hatte Königin Eizabeth II. gebeten, Wilde anlässlich des 100. Jahrestages seiner Verurteilung zu begnadigen.


Mehr Infos:

„Telegraph“-Artikel

„Guardian“-Artikel

Über Oscar Wilde und über „Das Bildnis des Dorian Gray“ bei Wikipedia


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