Bachmann, Ingeborg: Anrufung des großen Bären
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Gedichte
Piper
(1957)
Inhalt:
Ingeborg Bachmanns Gedichte der Jahre 1954 bis 1956, erstmals 1956 in einem Band veröffentlicht. Zusammen mit “Die gestundete Zeit” bilden sie den Kern ihres lyrischen Werkes. (Pressetext)
Hinweis:
In der Ausgabe der “Anrufung des großen Bären” aus dem Jahr 1962 ist folgende Besprechung des Verlegers Siegfried Unseld abgedruckt, die wir niemandem vorenthalten möchten.
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Nichts Schönres unter der Sonne
In der Ausgabe der “Anrufung des großen Bären” aus dem Jahr 1962 ist folgende Besprechung des Verlegers Siegfried Unseld abgedruckt, die ich niemandem vorenthalten möchte:
Dieser Gedichtband trägt nicht nur dazu bei, die These der “zertrümmerten” Literatur zu widerlegen, er gestattet Beobachtungen, die für unsere Lyrik grundsätzlich wichtig sind. Dichtung war ursprünglich Gesang, auch Epik und Drama. Für die Lyrik aber ist die Bindung an die Musik Urtatsache. Wie sehr ist sie verleugnet worden, wie wesentlich ist sie! Man höre die hier zitierten Verse auf ihre Musikalität hin ab oder lausche dem melodischen Rhythmus der Zeile “Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion”.
Da ist der Hymnus “An die Sonne”, das schönste Gedicht der Sammlung und wohl eines der großen und bleibenden Gedichte der modernen Lyrik überhaupt. Die Gliederung der 29 Verszeilen entspricht einer auf den Grundton zu- und von ihm weglaufenden Tonfolge (fünf Verse, vier, drei, zwei, ein Vers, zwei, drei, vier, fünf Verse). Das Gedicht ist, mit Absicht, gewagt, ja auf dieses Wagnis hin pointiert, ganz auf eine einzige Fugenzeile gebaut: “Nichts Schönres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein …”. Die erstaunliche Einprägsamkeit dieser Verse, ihre Wirkung, beruht auf der suggestiven, evozierenden Macht des klanggebundenen Wortes. Es ist die hohe Musikalität, die die optische Intensität und die subtile Differenziertheit des Gefühls, die Eindruck und Ausdruck in Eins verschmelzen lassen.
Ein Zweites: Die Gedichte sind einfach in der Wahl ihrer Worte und Bilder. Freilich, diese Einfachheit hat hinter sich Gründe und Abgründe hoher Bewusstheit, so wie auch der scheinbar so einfach melodischen Zeile ein raffiniertes unterirdisches Vokalmuster zugrunde liegt. Das Wort sei, so heißt es einmal, “freisinnig, deutlich, schön”. Viele der Gedichte wirken wie Lieder, unmittelbar gesprochen. “Nichts Schönres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein …” In ihren besten Gedichten gelang ihr fast das Unmögliche, die Spontanität des Aussage bewahren bei gleichzeitiger Erhöhung und Schwingung des Tons.
Ein Drittes: Bachmanns Gedichte verzichten auf bloß modische lyrische Mätzchen; keine Kleinschreibung, keine Interpunktionslosigkeit; kein Überhandnehmen der Mittel, kein Labor. Die Vielfalt der Motive schützt sie auch davor, Epigonin ihrer selbst zu sein. Ihre Gedichte sind nicht modisch neu, sie verleugnen nicht die Tradition, sind weder Bewusstseinslyrik noch Naturlyrik, sondern reine, große Poesie. Sie sind Übersetzungen des Sprachlosen in Sprache, und die Übersetzung geschieht durch primäre lyrische Setzung, durch Verwandlung. Der Leser aber wird in faszinierender Weise in diesen Verwandlungsprozess miteinbezogen, er produziert ihn produktiv mit und erlebt mit Staunen sein Leben und seine Welt nochmals neu und ungewöhnlich.
© FAZ/Siegfried Unseld
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Ingeborg Bachmann, Lyrikerin und Schriftstellerin (*1926 Klagenfurt, †1973 Rom). Mit ihrer intellektuell-abstrakten Gedankenlyrik wurde Ingeborg Bachmann Anfang der 1950er Jahre bekannt. In ihrem vielseitigen Werk verbindet sie meisterhaft sprachliche Präzision und bildschöpferische Intensität. Nach ihrem Tod wurde sie als Vorläuferin und Klassikerin einer “écriture féminine” neu entdeckt. Die Lehrerstochter, aufgewachsen in Kärnten, schloss ihr Philosophiestudium in Innsbruck, Graz und Wien mit einer Dissertation über die Existenzphilosophie von Martin RHeidegger ab. Der Preis der “Gruppe 47” (1953) begründete Bachmanns frühen Ruhm. Sie zog nach Rom und arbeitete als freie Schriftstellerin, u.a. in Paris, München und Berlin. Nebenbei war sie für Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen tätig. Ihre Beziehungen zu dem Dichter Paul RCelan und dem Schriftsteller Max RFrisch spiegeln sich in ihrem Werk. Sie schrieb Gedichte, Romane, Erzählungen, Hörspiele, Libretti und Essays. 1959/60 war sie erste Gastdozentin für Poetik an der Universität Frankfurt/M. Für ihr Werk erhielt sie 1964 den Georg-Büchner-Preis.
Über Ingeborg Bachmann bei Wikipedia.
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Das Buch mit der Gedichtesammlung von Ingeborg Bachmann hat mich, als ich es vor einigen Jahren das erste Mal gelesen hatte, sehr beeindruckt und noch mehr berührt.Ausser den ganz grossen bekannten Gedichten wie “Die gestundete Zeit”, “Freies Geleit” fand ich dort auch nochmal an besonderer Stelle das unvergleichlich und unvergesslich wirkende “Dunkles zu sagen” und zB. das für mich weniger beleuchtet scheinende Gedicht “Abends frag ich meine Mutter”,das so poetisch und vielseitig zu lesen und zu betrachten ist.Nicht aber nur der vielen verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten ,sondern schon der
liedhaft wirkenden Schönheit seines Klanges wegen, vor allem, was die letzte Strophe angeht, kann es mehr als nur “bezaubern”.
Sein glanzvoller Sprachrhythmus und die kaum
nachzuahmende Wortauswahl, der Vergleich mit musikalischen Begriffen macht es zu einem ganz besonderen “Lied” der Frau, die so gern
wie “Orpheus singen und spielen” wollte und konnte. Ebenso wohl auch neu zu bewundern das zunächst schwierig und etwas undurchsichtig, dann aber so klar erscheinende Gedicht “Es kommen härtere Tage” mit der wohl immer gültigen Aufforderung an den Freund, den Vertrauten,
auch letztendlich den Leser?
Für mich war und ist dieses Buch ein ganz besonderes geworden, durch welches man mehr
oder nun neu und richtig Ingeborg Bachmann kennenlernt , ob sie dort “wie Orpheus” vom
Nebelland singt, dass sie gesehen hat oder
von der ewigen Schönheit der Erde mit ihrer Natur und ihren Bewohnern.
Dass noch “Tausend und ein Morgen wird”…!
danke für Ihre beeindruckenden Anmerkungen.
Mit unglaublicher Freude konnte ich nun im Nachhinein noch einmal richtig feststellen, dass die Bemerkungen Unselds über die wohl “königlichen “Gedichte von Frau Bachmann wie ” An die Sonne” genauso von der Musikalität der Verse sprechen und schwärmen wie ich ausser über dieses Gedicht- es wollte über ” ABENDS frag ich meine Mutter” und über als grosses Beispiel
” DUNKLES ZU SAGEN”, so deutlich hatte ich es vorher noch nicht lesen können , wie hier vorher.