27/04/2012von 671 Views – 0 Kommentare

Claassen, Utz: Atomblut

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Buchcover Claassen Atomblut
  • Wirtschaftskrimi
  • Broschiert
  • 384 Seiten
  • Erschienen 2012 bei Econ

Inhalt:

Herbst 2011. Es ist die Zeit der Energiewende, nach den Ereignissen von Fukushima. Fabienne Felsenstein, neue Vorstandsvorsitzende bei einem großen deutschen Energiekonzern, will den Konzern radikal umbauen. Es ist eine Operation am offenen Herzen der Industriegesellschaft. Fabienne merkt schnell, dass es um weit mehr geht als um ökonomischen Erfolg. Bei den richtig großen Deals sind die Grenzen der Legalität bedeutungslos. Bald muss sie feststellen, dass sie selbst in die krummen Deals verwickelt wird. Wird sie ihre Integrität bewahren? (Pressetext)

Kurzkritik:

Ich frage mich: Wollte Utz Claassen mit „Atomblut“ einen realitätsnahen Wirtschaftskrimi schreiben oder einen reißerischen Thriller? Hätte ihm wenigstens eines dieser Vorhaben gelingen können? Wird unser Wirtschaftssystem tatsächlich von Hollywood-Film-Bösewichten beherrscht? Und müssen wir uns das allen Ernstes von einem Wirtschaftsexperten sagen lassen?

Werner gibt  ★½☆☆☆  (1,5 von 5 Eselsohren)

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Besprechung:

Real und unwahrscheinlich

Utz Claassen ist an seinem ersten Kriminalroman gescheitert, weil er sich einfach zu viel vorgenommen hat. Einerseits wollte er einen realistischen Wirtschaftskrimi schreiben, wozu er als Top-Manager, Unternehmer, Unternehmensberater etc. vom Insider-Wissen her theoretisch bestimmt befähigt gewesen wäre. Wem bisher nicht klar war, wofür ein Vorstand und ein Aufsichtsrat eigentlich gut sind, – in „Atomblut“ erfährt man es anschaulich.

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Ausgerechnet eine Frau, noch dazu eine relativ junge, wird an die Spitze eines großes Energiekonzerns gehievt – von ihrem Mentor, dem Machtmenschen Justus Kohlmeier, der dem Aufsichtsrat vorsitzt. Fabienne Felsenstein hat sich einen Namen gemacht als eiskalte Saniererin, und eine Sanierung hat die „RuhrSTROM Energiewirtschafts AG“ dringend nötig, zumal man – angesichts des deutschen Ausstiegs aus der Atomwirtschaft nach dem Reaktorunfall in Fukushima – mit schwerwiegenden Marktproblemen zu kämpfen hat.

Die Profi-Frau hat keine Ahnung

Frau Felsenstein will den Konzern total umkrempeln, doch obwohl sie ein Profi ist, scheint sie keine Ahnung davon zu haben, dass man gerade in ihrer Branche mit Überzeugungsarbeit allein wenig erreichen kann, und vor allem, dass es doch tatsächlich Menschen in leitenden Positionen gibt, die sich nicht nur gegen Veränderungen wehren, sondern auch doppelte Spiele spielen.

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Mit glaubwürdiger Fiktion angereichert, hätte aus dieser Konstellation ein durchaus spannendes Buch werden können. Schwer zu sagen, ob Claassens Talent dazu gereicht hätte, denn der wollte daraus unbedingt auch einen reißerischen Thriller machen.

Die Katastrophe von Malakka

Das funktioniert bei ihm schon deshalb nicht, weil er reale Ereignisse (wie Fukushima) gleichberechtigt neben fiktionale stellt (etwa ein infernales Flüssiggas-Tanker-Unglück in der Straße von Malakka mit 215 toten Seeleuten, 16 verlorenen Schiffen und Schäden in Milliardenhöhe), was verwirrend ist.

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Außerdem ist das Fiktionale an „Atomblut“ ziemlich hanebüchen: Claassen beschreibt uns die mächtigen Menschen in Führungspositionen (meistens sehr klischeehaft) privat und beim Ränkeschmieden, und plötzlich stellt sich einer davon als Oberschurke heraus, der zwar seine Seilschaften hegt und pflegt, nur seinen großen Coup hat er ganz im Alleingang geplant und durchgeführt.

Manager leben gefährlich

Damit der Böse seiner gerechten Strafe zugeführt wird, begeht ein Vorstandsmitglied – ebenfalls aus persönlichen Gründen – einen läppischen Mord, der leicht hätte scheitern können. (Der Autor scheint sich außerdem keine Gedanken darüber gemacht zu haben, dass bei diesem Attentat auch Unschuldige ums Leben hätten kommen können; seiner Figur traut man dies zumindest nicht zu.)

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Weil er das Ende ja schlecht vorwegnehmen kann, sorgt Claassen bis dahin für Spannung, indem er den Beruf eines Top-Managers als lebensgefährlich hinstellt (wenn das stimmen würde, wären zumindest die hohen Gehälter erklärt): Auf Frau Felsenstein wurden schon in ihren früheren Jobs diverse Anschläge verübt und auch während ihres RuhrSTROM-Jobs gibt man ihr etwa mittels anonymer Anrufe zu verstehen, dass sie sich in ständiger Gefahr befindet. – Weil aber nichts wirklich Gravierendes passiert, glaubt man mit der Zeit immer weniger daran.

Selbstlernende Energiesysteme

Weiters braucht Claassen für seine Story auch noch ein sehr großes Personal, von dem nur wenige Personen die Handlung antreibende Funktionen haben, sondern mehr ausschmückende, Gesellschafs-Schichten beschreibende. Auch das macht die Sache natürlich nicht spannender.

Und schließlich will uns der Autor nicht nur die Struktur eines Energiekonzern nahebringen, sondern auch die Zukunft der Energiewirtschaft. Dass er sich dafür ausgerechnet Frau Felsenstein ausgesucht hat, macht aus der gefürchteten Saniererin unvermittelt eine – auch von ihren KollegInnen – belächelte Träumerin. Denn die setzt sich bei RuhrSTROM nicht nur für eine Weiterentwicklung erneuerbarer Energien ein, sie möchte sogar in Richtung dezentrale Energieversorgung und selbstlernender Energiesysteme gehen.

Film-Bösewicht

Doch das alles läuft ohnedies ins Leere, als sich der Oberschurke am Schluss outet. Das Roman-Konstrukt zerbröckelt angesichts eines Menschen, der unvermittelt seine Allmachts-Phantasien auslebt und damit den Aufsichtsrat, den Vorstand und die LeserInnen verblüfft und fassungslos zurücklässt. Man fragt sich: Wird unser Wirtschaftssystem tatsächlich von Hollywood-Film-Bösewichten beherrscht? Und müssen wir uns das allen Ernstes von einem Wirtschaftsexperten sagen lassen?

Von Werner Schuster

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Infos:

Utz Claassen (48) ist ein Überflieger. Mit 17 Abitur, mit 22 Diplom, mit 24 Berater bei McKinsey, mit 31 Finanzvorstand im VW-Konzern. 2003–2007 Vorstandsvorsitzender bei EnBW. Von Januar bis März 2010 Vorstandsvorsitzender bei Solar Millenium, wo er unerwartet schnell ausschied. Das juristische Nachspiel dauert an.

Mehr über Utz Claassen bei Wikipedia.

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