14/02/2011von 829 Views – 0 Kommentare

Velmar-Janković, Svetlana: Lagum

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Buchcover Lagum

  • Hardcover
  • Erschienen 2003 bei Büchergilde, Neuauflage 2011
  • Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann
  • Originalausgabe: „Lagum“, 1990


Inhalt:

Milica und Dušan hätten unbeschwert und glücklich leben können. Sie gehören zum gehobenen Bürgertum, führen ein unbeschwertes, komfortables Leben mit ihren kleinen Kindern im Herzen Belgrads, widmen ihr Leben geistigen Werten: sie unterrichtet, er ist ein anerkannter Kunstkritiker. Man verkehrt mit Maler- und Schriftstellerfreunden, freundlichen Nachbarn. Die intellektuelle Oberschicht lebt sorglos und frei. Dann kommt der Krieg … (Pressetext)

Kurzkritik:

Dieses Buch handelt vor allem davon, wie grundlegend Menschen sich verändern können, vor allem in finsteren Zeiten. „Mehr als einmal“, erzählte Velmar-Janković in einem Interview, „war ich voller Erschütterung Zeuge davon, dass sich ein mir gut bekannter Mensch in ein mir unbekanntes, fremdes, anderes Wesen verwandelte. Die Menschen veränderten sich zusehends, manchmal von einem Tag auf den anderen, sie begannen auf eine andere Art und in einer anderen Sprache zu reden, sagten sich von ihren bisherigen Gedanken und Überzeugungen, Verwandten und Freunden los.“

Für „Lagum“ muss man Zeit und Ruhe haben. In einer wortmächtigen Sprache mit vielen Schachtelsätzen lässt Velmar-Janković die Protagonistin Milica all die privaten und gesellschaftlichen Veränderungen in Rückblenden und Erinnerungen beschreiben. Man lernt den zweiten Weltkrieg aus Sicht eines anderen Volkes als des eigenen kennen – und die Gründe für den Zerfall Jugoslawiens nach 1991 ein bisschen besser verstehen. Vor allem aber liest man ein dichtes, genaues, poetisches Buch über Menschen im Krieg.

Werner gibt  ★★★★¼  (4,25 von 5 Eselsohren)

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Besprechung:

Menschen im Krieg

„Lagum ist ein Wort türkischen Ursprungs für einen dunklen unterirdischen Gang, einen Tunnel ohne Licht“, erläutert Velmar-Janković die Bedeutung des Buchtitels in einem Vorwort.

Der Roman spielt in Belgrad im Jahr 1984. Die achtzigjährige Milica Pavlovic erinnert sich, wie der Zweite Weltkrieg ihr unbeschwertes Leben von einst zerstörte. Als Milicas Mann Dušan, ein anerkannter Kunstkritiker, entgegen seiner politischen Überzeugung für das unter deutschem Einfluss stehenden Regime zusammenarbeitet, um Serben aus den Lagern im Unabhängigen Staat Kroatien herüberzuholen, lebt sich das Paar immer mehr auseinander. Titos Sieg am Kriegsende besiegelt das Schicksal der Familie: Dušan wird wegen angeblicher Kollaboration hingerichtet, die Wohnung wird von Nachbarn, die sich in eifrige Dienstboten des neuen Regimes verwandelt haben, geplündert und Milica wird von Personen, denen sie Jahre zuvor das Leben gerettet hat, als Verräterin behandelt.

Unbekannte, fremde Wesen

Das Buch handelt vor allem davon, wie grundlegend Menschen sich verändern können, vor allem in finsteren Zeiten. „Mehr als einmal“, erzählte Velmar-Janković in einem Interview, „war ich voller Erschütterung Zeuge davon, dass sich ein mir gut bekannter Mensch in ein mir unbekanntes, fremdes, anderes Wesen verwandelte. Die Menschen veränderten sich zusehends, manchmal von einem Tag auf den anderen, sie begannen auf eine andere Art und in einer anderen Sprache zu reden, sagten sich von ihren bisherigen Gedanken und Überzeugungen, Verwandten und Freunden los.“

Zivilcourage

In „Lagum“ geht es auch um Zivilcourage: Während Dušan für die serbischen Kollaborationsregierung arbeitet, versteckt Milica einen kommunistischen Widerstandskämpfer. Das hilft ihr in der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien ab 1945 nicht, da sie als Bürgerliche und als Gattin eines Kollaborateurs von den neuen Machthabern verachtet wird.

Eines der Hauptmotive ist das Ölbild „Beim Baden“ von Sava Šumanovic, bei dessen Entstehung Milica anwesend ist. Šumanovic schenkt es ihr später, die Kommunisten nehmen es ihr weg: Ausgerechnet jener von ihr versteckte Widerstandskämpfer bringt es in seinen Besitz.

Der Major im Ruhestand

Für „Lagum“ muss man Zeit und Ruhe haben. In einer wortmächtigen Sprache mit vielen Schachtelsätzen lässt Velmar-Janković die Protagonistin Milica all die privaten und gesellschaftlichen Veränderungen in Rückblenden und Erinnerungen beschreiben. Nicht immer weiß man, von welchem Jahr gerade erzählt wird, auch wenn Velmar-Janković oftmals erklärt, in welchem „Jetzt“ man sich gerade befindet. Doch das fällt nicht weiter ins Gewicht.

Milica hat ihre Aufzeichnungen einem ehemaligen Ladenbesitzer vermacht, der sie während des Krieges als Angehöriger der kommunistischen Volksfront schikanierte. Diesen „Major im Ruhestand“ lässt Velmar-Janković manchmal Anmerkungen in die Aufzeichnungen einfügen.

Über den Tod hinaus

Dass Milica ihre Erinnerungen über ihren Tod hinaus erzählt, ist nicht nur dramaturgisch schwach: Anstatt mit einem kräftigen Schlussbild entlassen, bleibt man für einen Augenblick verwirrt zurück: Hat Velmar-Janković nun Milicas ihre Erinnerungen schreiben lassen oder nicht?

Doch dieser Moment vergeht. Man hat den zweiten Weltkrieg aus Sicht eines anderen Volkes als des eigenen kennengelernt – und versteht die Gründe für den Zerfall Jugoslawiens nach 1991 ein bisschen besser. Vor allem aber hat man ein dichtes, genaues, poetisches Buch über Menschen im Krieg gelesen.

Von Werner Schuster

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Infos:

Ein Interview mit Svetlana Velmar-Janković

Svetlana Velmar-Janković, geboren in Belgrad, arbeitete lange Jahre als Lektorin und Herausgeberin, hat mehrere Romane und Erzählungen, ein Theaterstück und ein Kinderbuch veröffentlicht. Mit „Lagum“ feierte sie in ihrer Heimat und in Frankreich große Erfolge.

Mehr über Svetlana Velmar-Janković bei Wikipedia.

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Literaturmagazin Eselsohren – 

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