29/08/2009von 264 Views – 0 Kommentare

Zum Beispiel Ringelnatz #2

Als ich noch zu haben war, war der Ringelnatz-Satz „Ich habe dich so lieb, ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken“ eine Art Test. Sah mich die Frau daraufhin ungläubig und/oder verwirrt an, wusste ich: Wir passen nicht zusammen.

Natürlich ist das ein bisschen übertrieben. Das Gedicht geht jedenfalls so:

Ich habe dich so lieb

Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei – verjährt –
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.

Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich habe dich so lieb.

Da haben wir ihn. Den Poeten, der das „Wahrhaftige“ mit dem Lächerlichen und/oder Absurden in leicht irritierender und doch anheimelnder Lyrik verschmelzen konnte.

ringelnatz-portrat

Oder Goethe persiflieren (wenn‘s denn eine Persiflage ist):

Drüben am Walde
Kängt ein Guruh –
Warte nur, balde
Kängurst auch du.

Dieser Ringelnatz hat jedoch nicht bloß die paar Gedichte geschrieben, die man halt so kennt, sondern außer jeder Menge Lyrik auch (weniger gute) Theaterstücke sowie Kinderbücher und Prosa.

Wegen „…liner Roma…“ (das für [Ber]liner Roma[ne] steht) kann Ringelnatz als avantgardistisch bezeichnet werden, präsentiert er doch hier nicht nur die Großstadt als Hauptperson (und zwar vor Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“), sondern arbeitet auch mit Montage-Technik (d.i. das Zusammenfügen unterschiedlicher Texte oder Textteile mit unterschiedlichen Sprachebenen und -stilen bzw. Inhalten).

„Das ganze Buch ist wie der Titel nur ein Ausschnitt, da ein Ganzes nicht mehr darstellbar ist“ (Wikipedia) und kann beim „Projekt Gutenberg“ gelesen werden (nämlich hier).

Anbei sind zehn Bilder. Die Bilder sind von Ringelnatz. Der war nämlich auch Maler.

© Werner Schuster

Zum Beispiel Ringelnatz #1 – sein abenteuerliches Leben
Zum Beispiel Ringelnatz #3 – seine Turn-, Seefahrer- und Kindergedichte
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