23/02/2013von 431 Views – 0 Kommentare

Kreative Spielwiese Facebook

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Es gibt ja viele Romane, in denen das Phänomen Facebook eine Rolle spielt, aber wohl nur einen, der die Möglichkeiten nutzt, die dieses Social Network bietet. Wir haben den „Zwirbler“-Autor TG zum Interview gebeten.



Seit 2,5 Jahren schreibt „TG“ an seinem Facebook-Roman – auf Facebook. Der Roman trägt den Titel „Zwirbler“ – und die User schreiben mit. Das ist nicht korrekt formuliert: Die User kommentieren die einzelnen Statusmeldungen und bringen ihre Ideen ein, und TG baut diese Ideen in seinen Text ein.

Dies lässt sich anhand folgender Passage leicht überprüfen:

Zwirbler macht einen Schritt zurück, als müsste er Distanz gewinnen, um sie besser zu verstehen. Er mustert ihre Augen, ihre Lippen – ihre Gegenwart ist ein dünner Faden, den er nicht unter Kontrolle hat.
Er sehnt sich nach Sonne, Licht und Wind; nach einem Ort, wo er an einem friedfertigen Rausch arbeiten kann. Hinweise für seine Suche indes wird ihm dieses unterirdische Labor geben … und Ivan, der aus dem Dunklen auftaucht.

Ivan ist also ein Navi?

User 1: Ivan – woran erinnerte ihn bloß Ivan an diesem schrecklichen Ort? Natürlich – Ivan ist ein Palindrom. Er würde ihm den richtigen Weg weisen. Er musste nur herausfinden, wie.
User 2: Ivan ist also ein Navi? Gute Idee!
User 3: Ist Ivan etwa der Schattenstalker? Wenn ja, warum gibt er sich dann zu erkennen? Wo ist die lange dolchähnlich Waffe, die bei dem Schattenmann zu sehen war?
Wenn Ivan nicht der Schattenmann ist, müsste sich noch eine vierte Person in dem Tunnel befinden! Oder wird Ivan Zwirbler und Inge zu dem unterirdischen Labor führen? Weiß Ivan mehr als alle zusammen?

Die nächste Statusmeldung lautete dann:

Zwirbler fragt sich, was es mit Ivan auf sich hat. Oben im Gang war er knapp hinter ihnen. Wenn Ivan nicht der Schattenmann, sondern nur kurz real pinkeln war, muss noch jemand im Tunnel sein.
Ivan rückwärts … ein Palindrom mit funkelnden Augen, mehr wissend, als denkend. Ein Navi denkt nicht, weist nur den richtigen Weg: Ivan hebt die Hand, zeigt auf das Zitat an der Wand: „Hic locus est ubi mors gaudet succurrere vitae.“

Zwirblers Schwester

Eigentlich bestimmen die User den Inhalt sogar sehr: Dass Zwirbler eine Schwester hat, stammt von ihnen. TG hätte das lieber nicht verwendet, weil er selbst eine Schwester hat. Die echte hat sich jedenfalls keinem Fruchtbarkeitsexperiment unterzogen. Sie ist auch nicht in Lebensgefahr und untergetaucht wie Danni aus dem Roman, in dem Zwirbler sie zu finden versucht und etliche Abenteuer zu bestehen hat.

Die Inspiration zu „Zwirbler“ kam von TGs Tochter, die ihn fragte, ob es bei Facebook eigentlich auch Geschichten gebe. „Es lag nahe, zwei meiner Tätigkeiten zu verbinden: Schreiben und das Medium Facebook. Und ich wollte auch der Oberflächlichkeit von Facebook etwas entgegensetzen”, so der Autor.

Schreibt, gründet, unterrichtet

Dieser schreibt unter dem Pseudonym TG, nicht weil er anonym bleiben möchte, sondern aufgrund seines unaussprechlichen Namens, Gergely Teglasy. Er wurde 1970 in Budapest geboren, lebt und arbeitet als Autor, Kommunikationsfachmann und Mediengestalter in Österreich und Ungarn und unterrichtet u.a. am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft. TG studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien, übersetzte Thomas Bernhards „Ein Kind“ ins Ungarische, schrieb Theaterstücke und auch Drehbücher. Außerdem gründete er das Merlin International Theater, den Abovo Verlag in Budapest, die Frames Filmproduktion und Werbeagentur, die Agentur vision|works und das Medienunternehmen medscreen.

Misserfolge

Kurz gefasst: „Mich hat immer das Neue gereizt.“ Und mit Zwirbler ist er davon überzeugt, „dass man aus seinen Misserfolgen wesentlich mehr lernt, als aus Erfolgen.“ (Das ist übrigens auch der erste Satz aus dem Facebook-Roman.)

Misserfolg? Für TG sind die 2,5 Jahre mit „Zwirbler“ „eine wahnsinnige Bereicherung. Der Roman ist eine kreative Spielwiese, die ich so nicht gehabt hätte.“ TG sieht es als seine Aufgabe an, „die verschiedenen Inputs zu ordnen, in eine stringente Geschichte zu verpacken und dem Ganzen meinen Stil zu geben.“ Es gab die Einwände, ob er die User nicht be- oder ausnutze, aber zum einen machen diese ja freiwillig mit und zum anderen wäre es „viel leichter, alleine zu schreiben.“

Beschränkung

Schwierigkeiten bereitet ihm auch Facebook selbst, an dessen optische und technische Veränderungen er den „Zwirbler“ immer wieder anpassen muss. Und „man weiß ja nicht, was denen noch alles einfällt; vielleicht wird man für ,Zwirbler‘ demnächst zahlen müssen …“ – Die 420 Anschläge, die man 2010 pro Statusmeldung noch zur Verfügung hatte, hat er allerdings beibehalten: „Ich kämpfe zwar um jedes Satzzeichen, aber diese Beschränkung fördert die Kreativität.“

Wann „Zwirbler“ zu einem Ende kommt, kann er nicht sagen. Erst dann wird es wahrscheinlich ein Buch davon geben. (Als Podcast werden die Episoden – gesprochen von Axel Grunt – alle zwei Wochen veröffentlicht.) Das Interesse lässt jedenfalls nicht nach: Waren es im Juli 2010 noch ca. 2.000 Follower und im März 2012 schon 8.000, so beläuft sich deren Zahl momentan auf knapp 12.000.

Sex und Gewalt

TGs Tochter ist allerdings nicht darunter: Der Zugang ist ab 17 Jahre beschränkt, weil sich der Autor nicht auch noch Gedanken darüber machen will, ob das, was er schreibt, jugendfrei ist oder nicht. (Wobei „Sex-Szenen“ die Anhängerschaft regelmäßig spalten, während diese mit Gewalt kein Problem zu haben scheint.)

Doch dies sind nicht die Hauptaspekte von „Zwirbler“. Vorderhand wollte und will TG etwas schreiben, das so nur auf und mit Facebook geschrieben werden kann. Und da dies vor ihm noch niemand gemacht hat, bezeichnet er „Zwirbler“ als den „weltweit ersten Facebook-Roman“. Nachahmer hat er zwar noch keine gefunden, doch das würde er wohl begrüßen. Denn „Eine Inspiration für andere zu sein, empfinde ich nicht als das schlimmste Schicksal.“

Asterix-Latein

Diese müssten dann Facebook entweder anders nutzen oder einen Sinn für kollaboratives Schreiben haben. Und sich nach dem Satz „Hic locus est ubi mors gaudet succurrere vitae“ auf die Kommentare „Zitate zeigen den Weg!“ und „Was sagt denn der Google-Übersetzer? Ist der genauer als Asterix?“ etwas einfallen lassen wie, „Leider reicht sein Asterix-Latein nicht für dieses Zitat.“

Werner Schuster

– „Zwirbler“ auf Facebook

– „Zwirbler“-Infos

– „Zwirbler“ als Podcast

Foto © Martin Melcher

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