17/02/13: Reich an Lastern
Lyrik-Tag. – Immer noch inspiriert von einem Gespräch mit einem Freund, der keinen Zugang zur Lyrik findet, bereite ich nicht nur den eselsohren-jenseits-Lyrik-Abend am 11. März vor (indem ich AutorInnen einlade, dass sie dabei vorlesen), ich lese auch abermals Reclams Einführungen in Verslehre und Gedicht-Interpretation (zumindest teilweise).
Aber begonnen habe ich den heutigen Tag mit Gedichten: französischen, spanischen und italienischen (aus der Reclam-Reihe mit Original-Texten und Übertragung ins Deutsche). Dabei haben mich folgende zwei Zeilen (aus Ugo Focolos „Il proprio ritratto/Das eigene Porträt“) sehr angesprochen:
Di vizi ricco e di virtù, do lode
Alla ragion, ma corro ove als cor piace
so reich an Lasten wie an Tugenden, preise ich
die Vernunft und handle nach meinem Herzen
Ich lasse mir aber auch dreinreden. Eva meinte, bei dem von mir für den Lyrik-Abend ersonnenen Titel „Der Mond ist untergegangen“ oder „Der Mond ist eingefangen“ würde kaum jemand verstehen, dass sie sich auf Matthias Claudius bezögen und eben auf einen Lyrik-Abend hinweisen sollen.
Schließlich schlug sie „Wer reitet so spät …“ vor, und Flora (15 Jahre) konnte das Gedicht augenblicklich mit „… durch Nacht und Wind“ fortsetzen. Also wird der Abend wahrscheinlich so heißen.
Ich habe mir Claudius‘ Gedicht heute jedenfalls von Reiner Marx interpretieren lassen (in Band 2 der 7-bändigen „Gedichte und Interpretationen“ aus dem Hause Reclam) und habe mich zum wiederholten Male mit Hans-Dieter Gelferts Fragen und Überlegungen beschäftigt: „Wozu überhaupt Interpretation?“, „Über den Grund des Vergnügens beim Lesen eines Gedichts“, „Wozu überhaupt Verse?“ und „Hauptformen der modernen Lyrik“.
Ich möchte nämlich mit den LyrikerInnen, die am 11. März aus ihren Werken lesen, auch über diese Fragen und Überlegungen sprechen. Es soll nämlich auch ein Abend werden für diejenigen, die keine Gedichte lesen, warum auch immer.
Jetzt werde ich noch Borges‘ „Das Handwerk des Dichters“ zur Hand nehmen. Und freue mich schon auf diese Zeilen aus Robert Frosts „Stopping by Woods on a Snowy Evening“:
The woods are lovely, dark and deep,
But I have promises to keep,
And miles to go before I sleep,
And miles to go before I sleep.
Man muss das laut lesen, dann erschließt sich der Sinn und Zweck von Lyrik ganz von selbst. Oder etwa nicht?