02/03/2013von 1.048 Views – 6 Kommentare

02/03/13: One-Trick-Ponys

Seltsam. Einerseits ist „Paradies für alle“ (Knaur) wahrlich kein Gute-Laune-Buch (der 9-jährige Sohn eines Ehepaars, das sich auseinandergelebt hat, liegt nach einem Unfall im Koma), andererseits geht Antonia Michaelis nicht wirklich in die Tiefe. Die Figuren sind alle, was ich als „One-Trick-Ponys“ bezeichne, d.h. sie haben EINE Eigenschaft, die sie definiert und die ihr Verhalten bestimmt. Das findet man in Unterhaltungsromanen, das findet man aber auch bei John Irving.

Und so wollte ich gerne am vergeblichen Versuch Davids Anteil nehmen, das Paradies auf Erden zu errichten, aber die Mutter und Ich-Erzählerin Lovis ist so was von eindimensional: „Ich habe David vernachlässigt!“, raunt sie durch die ganzen 480 Seiten.

Dann hat David noch eine Art Tagebuch geführt, allerdings chiffriert, und Lovis muss von Eintrag zu Eintrag den Code knacken. Das hat was von einem Schriftsteller-Trick, der von Mal zu Mal skurriler wird.

Schließlich konnte ich Davids Welt-Errettungs-Versuch am Ende nicht nachvollziehen. Ein Neunjähriger, der bisher idealistisch, aber ziemlich vernünftig gewesen ist, kommt plötzlich auf so eine absurde Idee?

Andererseits ist das Buch gut aufgebaut und in sich stimmig (wenn man auch über manches nicht nachdenken darf). Aber insgesamt überwog für mich doch das Unbehagen an einer Geschichte, deren Autorin sich nicht zwischen Realismus und Esoterik entscheiden kann.

Ich habe das Buch jedenfalls an einem Abend durchgelesen, nicht weil es mich so gefesselt hat, sondern weil ich damit fertig werden wollte.

6 Kommentare zu "02/03/13: One-Trick-Ponys"

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  1. Nadja sagt:

    Hallo Werner,

    das ist ja auch durchaus legitim.

    So ganz real hab ich das Vernachlässigen nicht empfunden. Mehr so, dass sie sich von David und ihrem Mann entfremdet hat sich mehr und mehr in ihrer abgekapselten Welt bewegte und bestimmte nicht mehr wahrgenommen hat. Es gibt eine Szene in der dann klar wird, dass ihr Mann mehr über David wusste als sie selbst, und da ist sie dann sehr überrascht, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass David und er über solche Dinge reden, dass sie über Dinge reden von denen sie nichts wusste. Ich denke nicht, dass die Geschichte anders geendet oder gar begonnen hätte, wenn Lovis mehr Zeit mit ihm verbracht hätte. Das sind dann tatsächlich eher die Art von Vorwürfen die man sich als Eltern in solch einer Situation machen würde.

    David hat sich ähnlich wie Lovis ja auch von dem Familienleben abgekapselt und sich in eine eigene Teilwelt zurückgezogen.

    Für mich waren Lovis Verhaltensänderungen plausibel. Aber die Ursachen für ihr geändertes Verhalten waren für mich nicht esoterisch begründet sondern mehr darin, dass sie bestimmte Dinge nun einfach anders wahrgenommen hat. Durch die Augen ihres Sohnes neu wahrgenommen hat, Dinge die ihr früher entgangen sind. Sie setzt sich mit Davids Aufzeichnungen auseinander und nimmt Dinge in ihrer Umwelt wahr die sie zuvor nicht interessierten oder die sie ausgeblendet hat. Vielleicht so wie wenn ein kleines Kind sich Gedanken über den ersten frierenden Obdachlosen macht, den es sieht. Es sich Fragen stellt und ihm seine Spielsachen schenken will, damit es ihm besser geht, um ihn zu retten. Und so wie ein Erwachsener sich an die ganzen Bettler gewöhnt hat und denkt dass er nicht alle Menschen helfen kann und diese dann irgendwann nicht mehr wahrnimmt. So wie Lovis eben bestimmte Straßen in ihrem Ort nicht kennt, obwohl es ein eher kleiner Ort sein muss.

    Sie will ferner das nachholen was sie davor in ihren Augen vernachlässigt hat, sich mit David beschäftigen, ihn verstehen und wünscht sich deswegen, dass das den Lauf der Dinge ändern könnte. In meinen Augen ist das aber mehr ein Art Rettungsanker an den sie sich klammert. Für mich ist es sehr normal, dass Eltern in solchen Situationen die Schuld bei sich suchen und ebenso ist es normal, dass man sich vielleicht eher absurd angehauchte Szenarien ausdenkt, wie man den Lauf der Dinge ändern kann. Vielleicht hat das in Ansätzen etwas Esoterisches? Aber wie gesagt, das liegt dann doch mehr an der speziellen Situation.

    Esoterisch klingt für mich mehr so nach New-Age und Atemtherapie. Sie wacht durch den Unfall aus ihrer abgekapselten Welt auf. Sie will oder muss David verstehen, da sie sich immer wieder die Frage nach den Gründen stellt, und das geschieht dann über das Werkstatttagebuch.

    Davids Rettungsversuche sind natürlich kindlich, gemischt mit Idealismus. Nicht negativ besetzt, aber als Erwachsener denkt man dann: “Naja, das wäre ja schön, wenn das klappen würde, aber das bringt doch nichts.” Dazu dann der Versuch als Kind eine Vielzahl philosophischer Ansätze zu verstehen und daraus dann einen Schluss zu ziehen. Kindlich meine ich nicht negativ, aber es hat dann in der Konsequenz etwas Hilfloses. Natürlich. Das was die Philosophen in den letzten Jahrtausenden geschafft haben, werden zwei Kinder zusammen nicht in wenigen Monaten erreichen.

    David nimmt dann gegen Ende wahr, dass er nur einen winzigen Teil der Welt gesehen hat und dass es einfach zu viele Dinge gibt, die er niemals alleine wird ändern können. Sein Versuch Gott zurück zu holen, ist natürlich am Ende sehr extrem. Plausibel? Es ist eine Erklärung oder ein Versuch dessen.

    Nadja

    • Nadja sagt:

      Mist, da hätte ich unten “Antworten” drücken müssen:(

    • Werner sagt:

      o.k., esoterisch ist nicht ganz das richtige Wort. Mir fällt aber im Moment kein besseres ein.
      Aber ich würde dich gerne einladen, das Buch für die Eselsohren zu besprechen. Du hast dich so genau damit auseinandergesetzt und weißt viel besser, was dir gefallen hat, als ich, was mir nicht gefallen hat.
      Ich hab es nicht so schlecht gefunden, wie man vielleicht den Eindruck haben könnte, aber diese “Ja, aber”-Kritiken werden in der Regel negativer als beabsichtig.
      Was meinst du? – Wenn ja, bitte an redaktion@eselsohren.at schicken.
      Liebe Grüße, Werner

  2. Nadja sagt:

    Schade, mir hat das Buch sehr gut gefallen, gerade die Personen mit ihren vielfältigen Eigenschaften haben mir sehr zugesagt.
    Was meinst du denn mit “Esoterik”? David begibt sich auf eine Reise in der er sich als Kind versucht mit philosophischen Fragestellungen auseinanderzusetzen und stellt sich hierdurch Fragen in Bezug auf Religionen. Aber Esoterik, wo wie man es heute im Allgemeinen verwendet, konnte ich in dem Buch nicht entdecken.

    Nadja

    • Werner sagt:

      Liebe Nadja,
      als esoterisch habe ich das Verhalten der Mutter gesehen. Es geht für mich nicht klar hervor, ob und wie sehr sie David tatsächlich vernachlässigt hat (oder ob das “nur” dieses “Hätt-ich-doch!” angesichts des schweren Unfalls von David ist): Dass sie glaubt, sie könnte ihn aus dem Koma wecken, wenn sie nur wüsste, was er getan hat, und dass sie sich plötzlich um ihre Mitmenschen kümmert – ebenfalls wegen David.
      Und Davids Welt-Rettungsversuch hat für mich ebenfalls etwas Esoterisches.
      Aber das oben ist keine Rezension, sondern sind nur frische Leseeindrücke. Jetzt lass ich das Buch mal ein bisschen wirken.
      Liebe Grüße, Werner

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Literaturmagazin Eselsohren – 

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