07/11/2010von 939 Views – 2 Kommentare

Tätowierte Frau mit Riesenhund

Mein Büro liegt verkehrsgünstig, würde es in einem Inserat heißen. Das bedeutet natürlich mindestens so etwas wie „Standort Verkehrshölle“. Und als ich vor gut einem Jahr mit der zuständigen Maklerin hier herinnen stand, meinte sie: „Hier werden sie vielleicht allein, aber nie einsam sein.“ Schön gesagt, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass das nicht stimmt.

Denn außer, dass sich vor meinem Fenster der Berufs-, der öffentliche und der Individualverkehr ein Dauerstelldichein geben, dass ununterbrochen Menschen vorbeigehen (Kinder halten ihre Eltern immer wieder wegen der kleinen Plastikesel im Schaufenster auf und klopfen mehr oder weniger rüde gegen die Fensterscheiben) und dass Hundebesitzer ihre Tiere ständig an meine Ecke pinkeln lassen, obwohl zwei Meter entfernt ein – wenn auch kümmerlicher – Baum steht, – außer dem allen und noch mehr will auch des öfteren jemand etwas von mir ganz persönlich.

Eine kleine Spende für …

Damit meine ich gar nicht die alten Leute, die hier im Haus wohnen und mich stets für die Umbau-Fortschritte loben. Auch nicht den Geschäftsnachbarn, der gerne auf ein Schwätzchen vorbeikommt. Doch täglich bietet mir mindestens ein Fensterputzer seine Dienste an, einmal die Woche gäbe es billige Zigaretten zu kaufen (manchmal sind auch Uhren im Angebot) und für wohltätige Zwecke spenden könnte ich am laufenden Band.

Sagen wir so: Von meiner BesucherInnenfrequenz können das Stuck-Geschäft vis-à-vis und der Altwaren-Händler ein paar Häuser weiter nur träumen. Ich habe schon Wien-TouristInnen beim Parkschein-Ausfüllen geholfen, ich habe – auf Anfrage – Arztpraxen und verruchte Lokale ausfindig gemacht, ich habe Menschen Feuer gegeben, Kugelschreiber geborgt (zum Teil auf Dauer) oder ein Glas Wasser spendiert, und ich habe Rettung und Polizei verständigt, wenn sich vor meinen Augen wieder einmal ein Unfall ereignet hat.

Wenn auch in der Regel entspannt (wirkend), geriet ich vergangene Woche doch kurz in Panik, als ein Polizist angeklopft hat (– „Ich hab doch gar nichts getan!“). Meine Schuldgefühle waren ziemlich unnötig, denn der war super-nett und hat mir bloß ein Datenblatt ausgehändigt, damit die Polizei besser für meine Sicherheit sorgen kann.

Wie dieser Indianer

Dabei fühle ich mich sehr wohl hier. Gefürchtet habe ich mich noch nie, weder vor dem Riesenhund, den eine imposante und außerdem tätowierte, gepiercte und was-weiß-ich-noch-alles Frau an der Leine hielt, noch vor jenem jugendlichen Alkoholiker, der mir einmal nachts ein Bier abgeschnorrt hat (und dann lästig und nicht mehr rauszukriegen war). Der Hund hatte jedenfalls den Charakter des Indianers aus „Einer flog über das Kuckucksnest“ und die Frau hat sich als so freundliche wie eifrige Krimileserin herausgestellt, dass ich ihr bei der Suche nach neuen Büchern nicht weiterhelfen konnte.

Dafür wollen die Leute  m i r  helfen. Immer wieder muss ich mich (– „Was ist das hier eigentlich?!“) dafür rechtfertigen, dass ich hier bloß ein Büro betreibe (und kein Antiquariat zum Beispiel) oder dass ich ein Online-Büchermagazin herausgebe (– „Wer braucht denn  s o  was?“), und des öfteren bekomme ich gute Ratschläge, was ich in diesem Lokal und mit meinem Leben eigentlich machen sollte. Die meinen‘s alle so gut mit mir!

„Sie sind ja nie da!“

Doch bisher am schönsten gestört wurde ich von jener alten Dame, die mich mit dem Vorwurf „Sie sind ja nie da!“ überfiel. Als ich mich, keiner Schuld bewusst, dennoch entschuldigte, kam heraus, dass sie nur dringend wissen wollte, wo man (oben bereits erwähnte) Eseln kaufen könnte. Sie hat einen für ihre Weihnachtskrippe gebraucht und mit vor kurzem berichtet, dass sie ihn endlich erstanden hätte. Jetzt winkt sie mir stets freundlich zu, wenn sie vorbeigeht.

Oh ja, ich bin hier weder einsam noch allein, und wenn man mich nicht gerade aus einer Arbeit herausreißt, gefällt mir das ziemlich gut. Blöd nur, dass ich hier eigentlich immer arbeite.

Werner Schuster


2 Kommentare zu "Tätowierte Frau mit Riesenhund"

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  1. geri sagt:

    Grüße vom geschwätzigen Geschäftsnachbarn. Wenn er stört, muss man es ihm nur sagen.

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Literaturmagazin Eselsohren – 

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