Zoderer, Joseph: Die Farben der Grausamkeit
Kurzkritik – Was meinen Sie? – Ausführliche Besprechung – Infos
- Hardcover
- Erschienen 2011 bei Haymon
Inhalt:
Richard will sich von der Liebe seines Lebens befreien, von der Obsession einer Leidenschaft, die ihn immer noch an Ursula fesselt, seine einstige Geliebte, die ihn verlassen hat. Um sein Familienglück zu retten, kauft er ein Bauernhaus am Berg. Die Umgestaltung des neuen Heimes soll ihn ablenken, erlösen von der Sehnsucht nach Ursula, soll ihn zurückführen zu seiner Frau Selma, die er immer noch liebt, und zu ihren beiden Söhnen. (Pressetext)
Kurzkritik:
Ein fließend erzählter Roman, dessen Protagonist nicht nur jahrelang zwischen zwei Frauen, sondern auch zwischen Stadt und Natur schwankt.
Generell erscheint die Erzählung durch den hypotaktischen Stil sehr distanziert, auch die kursiv geschriebenen eingeschobenen Absätze, die Reflexionen, Gedankenfetzen Richards abbilden, bringen den Leser nicht näher an die Figur. Erst im zweiten Teil, als Richards Korrespondenzaufenthalte in unterschiedlichen europäischen Hauptstädten beginnen, kommen die langen, ineinander verwobenen Sätze zur Geltung, sie mäandern wie Richard durch die Städte, bleiben an Beobachtungen hängen.
Werner gibt (3,75 von 5 Eselsohren)
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Zwischen zwei Frauen
Bei einem Autor, der auch als Lyriker tätig ist, ist es besonders einfach, von „lyrischer Sprache“ zu sprechen. Aber was soll das bedeuten? Dass sich dieser Roman, der von dem Journalisten Richard und seinem Leben zwischen zwei Frauen erzählt, auch sehr stark um Naturbeschreibungen dreht. Dass diese Naturbeschreibungen mit reflexiven Passagen ineinander fließen.
Im ersten Teil wird achronologisch vom Hauskauf und Hausumbau in den Bergen durch Richards Familie erzählt, eingeschoben sind Passagen über seine Beziehung zu Ursula. Seine Beziehungen zu beiden Frauen werden aus großer Distanz geschildert, so heißt es etwa auf Seite 30: „In diesem ungeheizten Chalet durchlebte er mit Ursula viele Augenblicke der Lust.“ Sein Doppelleben funktioniert als perfektes Umschalten zwischen den Rollen des Familienvaters und des Geliebten, erst nach der Trennung von Ursula tritt sie immer häufiger in Richards Gedanken auf, wird zu einem Geist, der neben ihm durch Paris wandert.
Mäandern wie Richard
Generell erscheint die Erzählung durch den hypotaktischen* Stil sehr distanziert, auch die kursiv geschriebenen eingeschobenen Absätze, die Reflexionen, Gedankenfetzen Richards abbilden, bringen den Leser nicht näher an die Figur. Erst im zweiten Teil, als Richards Korrespondenzaufenthalte in unterschiedlichen europäischen Hauptstädten beginnen, kommen die langen, ineinander verwobenen Sätze zur Geltung, sie mäandern wie Richard durch die Städte, bleiben an Beobachtungen hängen: „Draußen das Zwielicht des Nachmittags, das durch die Parkfenster rieselte und im Ineinander mit dem Kaffeehauslicht die Gesichter verschwinden ließ zwischen Zeitungsseiten, während der eine und andere Kopf dann wieder hochfuhr, um sich der Schläfe einer Freundin oder eines Freundes kichernd oder flüsternd zu nähern.“ (S. 156)
Der Protagonist schwankt
Da er sich 1989 auch lange Zeit in Berlin aufhält, spielt der politische Umbruch in Deutschland eine Rolle, der für Richard die meiste Zeit über aber nur einen Hintergrund für sein unruhiges Wandern und Nachdenken bildet. Insgesamt ein fließend erzählter Roman, dessen Protagonist nicht nur jahrelang zwischen zwei Frauen, sondern auch zwischen Stadt und Natur schwankt.
Von Sabine Schönfellner
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* Hypotaxe
Joseph Zoderer, geboren 1935 in Meran, aufgewachsen in Graz, lebt heute als freier Autor in Südtirol. Internationale Literaturpreise wie Premio Catullo 1986, F. Theodor Czokor-Preis 1987, Ehrengabe der Weimarer Schillerstiftung 2001 und Hermann Lenz-Preis 2003. Zoderer ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt und 2005 den Walther von der Vogelweide-Preis.
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- von: Sabine
- was: 2011 – AutorInnen XYZ – Rezensionen – Romane & Erzählungen
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