20/11/2010von 1.504 Views – 3 Kommentare

Die Leichen des jungen Werther

Der Amerikaner Seth Grahame-Smith hat Jane Austens Klassiker „Stolz und Vorurteil“ in ein Zombie-Abenteuer umgeschrieben und damit einen Trend gesetzt.

Wer sich zur Zeit in einer Buchhandlung umsieht, wird auf einige bekannte Romane in seltsamer Aufmachung und mit veränderten Titeln stoßen: Neben „Stolz und Vorurteil und Zombies“ findet man da etwa „Winnetou unter Werwölfen“ und „Heidi und die Monster“. Das Jane-Austen-Cover mit jener Frau, deren untere Gesichtshälfte skelettiert und deren Kleid blutbefleckt ist, hat man vielleicht schon einmal gesehen. Aber warum steht neben Old Shatterhand ein Wolf in Indianerkleidung? Und warum wird Heidi von einem Untoten bedroht?

Die Sache nennt sich Mashup und hat ihren Ursprung in Philadelphia. Im April 2009 brachte der dort beheimatete kleine Verlag „Quirk Books“ den Roman „Pride and Prejudice and Zombies“ von Jane Austen  u n d  Seth Grahame-Smith heraus. Elisabeth Bennet und Fitzwilliam Darcy müssen sich darin gegen Heere von Untoten zur Wehr setzen.

„Androide Karenina“

Das Buch belegte nicht nur auf Anhieb auf Platz drei der „New York Times“-Bestsellerliste, wurde alsbald in 17 Sprachen übersetzt und wird vielleicht mit Natalie Portman verfilmt werden. – Mit „Pride and Prejudice and Zombies“ war auch gleich ein neues Genre erfunden worden, das man mittlerweile Mashup nennt.

Klar, dass „Quirk Books“ in der Folge etwa „Sense and Sensibility and Sea Monsters“ (wiederum nach Austen), „Dawn of the Dreadful“ („Pride“-Fortsetzung) und „Androide Karenina“ (nach Tolstoi) herausbrachte. Und dass andere Verlage – wie „Del Rey“ und „Harper“ – alsbald ähnliche Bücher publizierten.

„Bis(s) einer weint“

Und dass „Pride and Prejudice and Zombies“ bald auch auf Deutsch herauskam. Für den Heyne-Verlag war dieser Roman, wie Sebastian Pirling vom Lektorat Fantasy & Science Fiction sagt, „gleich aus zwei Gründen ein Glücksfall: Erstens reiht es sich nahtlos in die Zahl erfolgreicher Fantasy-Parodien ein, wie etwa ,Der kleine Hobbnix‘ und ,Bis(s) einer weint‘. Und zweitens hat Seth Grahame etwas geschafft, was heutzutage kaum noch jemandem gelingt: er hat einen ganz neuen Ansatz für einen Zombieroman gefunden. Beides hat uns außerordentlich gut gefallen. Und natürlich ist es ein saftiger Biss ins Bein der literarischen Gewohnheiten!”

Der nächste Roman von Grahame-Smith ist bei Heyne schon fest eingeplant. „Abraham Lincoln – Vampirjäger“ erscheint vorraussichtlich im Juni 2011. Pirling: „Und diesmal geht es nicht einer literarischen, sondern einer historischen Ikone an den Kragen.“

Nicht bestätigen kann Pirling die – vom Verlag scherzhaft gestreuten – Gerüchte, denen zufolge die Romane „Der Zombieberg“ und „Die Leichen des jungen Werther“ demnächst erscheinen hätten sollen: „Leider hat sich noch kein Autor an die deutschen Klassiker gewagt, sodass Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann vorraussichtlich noch ein Weilchen in Frieden ruhen können.“

Eine Neuerzählung

Nicht so Karl May und Johanna Spyri. Laut Carsten Polzin vom Piper-Verlag (Programmleitung Fantasy) haben sich auch „deutschsprachige Autoren von Mashups zu ihren eigenen Stoffen inspirieren lassen. Dabei gab und gibt es große Qualitätsunterschiede – viele Romane stellen einfach nur einfallslose Ergänzungen des Originaltexts dar, ohne dass Wert auf einen funktionierenden Plot gelegt wird. Das ist am Anfang lustig, doch nach 10, 20 Seiten stellt sich schnell Ermüdung ein.“

„Winnetou unter Werwölfen“ aber ist, so Polzin, „nicht nur Nacherzählung, sondern auch ,Neuerzählung‘“ und gewinnt so seine eigene Berechtigung: „Man kann den Roman auch dann als Werwolf-Western lesen, wenn man das Original nicht kennt. Peter Thannisch ist es gelungen, seine eigene Geschichte zu erzählen und zugleich weitgehend den Originalton Karl Mays und seine Charaktere und Handlungsfäden zu erhalten.“

Eine europäische Entwicklung

Dass der Goldmann-Verlag „Heidi und die Monster“ herausbringt, hat laut Presseleiterin Claudia Hanssen zwei Gründe: „Die Entscheidung, gerade diesen Roman zu veröffentlichen, liegt neben der Idee, die wir alle toll fanden (nämlich einen solchen Klassiker der Weltliteratur wie ,Heidi‘ als Grundlage zu nehmen), sicher auch am Autor selber. Peter H. Geißen ist – wie unschwer zu erraten – ein Pseudonym. (Dahinter verbirgt sich ein erfolgreicher deutschsprachiger Autor.) Und von daher war und ist dieses Projekt für uns eben nicht die Adaption einer amerikanischen Vorlage, sondern eine ganz eigene, nämlich europäische Entwicklung des Themas ,Mashup‘.“

Trost und Rat

Wem das alles zu despektierlich anmutet, der oder die kann sich mit der Tatsache aufrichten, dass „Stolz und Vorurteil und Zombies“ in den USA die Nachfrage nach Jane Austens Originalroman deutlich gesteigert hat. Oder bei der (Populär-)Wissenschaft Trost und Rat finden. Bei Wikipedia gibt es mittlerweile schon einen Definition von Mashups: „… is a work of fiction which combines a pre-existing text, often a classic work of fiction, with a certain popular genre such as vampire or zombie narratives.“

In der Musik ist so eine Neuabmischung (Remix) längst gang und gäbe. Und die moderne Montage haben etwa schon Max Frisch, James Joyce und insbesondere William S. Burroughs mittels des Cut-ups in die Literatur einbezogen. Die arbeiteten allerdings noch mit der Schreibmaschine.

Die Möglichkeiten der Textverarbeitung haben nicht nur den Cut-up revolutioniert. Dass die Resultate – etwa „Looppool“, „ASCII Art Ensemble“ und „plaintext.cc“ – bei weitem nicht so populär sind wie „Stolz und Vorurteil und Zombies“, steht allerdings auf einem anderen Bildschirm.

Von Werner Schuster


Infos und Quellen

Mashup bei Wikipedia.

Quirk-Classics

Heyne-Verlag

Piper-Verlag

Goldmann-Verlag

Cut-up und Digitale Poesie bei Wikipedia.

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3 Kommentare zu "Die Leichen des jungen Werther"

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  1. Heretic sagt:

    Ein Remix ist kein Mashup, und ein Mashup ist kein Remix. Wenn man von der Verwendung von Fachtermini keine Ahnung hat, bitte bleiben lassen.
    Ein Remix ist ein Neuarrangement eines Stücks, ein Mashup ist das Ineinandermixen zweier Musikstücke gleicher BPM-Zahl.

  2. Tanja sagt:

    “Winnetou unter Werwölfe” – war für mich die Überraschung des Jahres! Wohl wahr, ich bin zum Karl May Fan mutiert. Dank Peter Thannischs genialen Parodie. Ich hatte das Glück eine Auserwählte in einer Testleserunde zu sein und wahrscheinlich hätte ich mir, diesen tollen Schmöker nicht so schnell zugelegt. Was wäre mir entgangen? Ich darf nicht daran denken. Ein tolles Buch! Einfach sagenhaft!

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