17/10/2009von 290 Views – 0 Kommentare

Zum Beispiel Büchner, Teil 4

Ich besitze eine göttliche Aufnahme von „Leonce und Lena“ – mit Oskar Werner (Leonce) und Gertrud Kückelmann (Lena) – auf welcher der begnadete Werner Krauss (warum musste der nur in „Jud Süß“ mitspielen?!?) als Valerio folgendes zum Besten gibt:

Seht, Herr, ich könnte mich in eine Ecke setzen und singen vom Abend bis zum Morgen: „Hei, da sitzt e Fleig an der Wand! Fleig an der Wand! Fleig an der Wand!“ und so fort bis zum Ende meines Lebens.

Ja, und mit diesem schönen Lied kann man nicht nur seine Kinder herrlich nerven, das lässt sich auch wunderbar für Tiefenmeditationen einsetzen.

Nichts wollen, dies aber klar und deutlich

Davon abgesehen, sind Aufführungen dieses Werks selten erträglich, ich hab keinen Ahnung, warum. Wenn man Büchners Stücke liest, ist alles stimmig, aber auf den Bühnen stimmt‘s irgendwie nie. Vielleicht darf man bei denen (als RegisseurIn) nichts wollen, dies aber klar und deutlich.

Und dann gibt es da den für mich größten und besten Satz in der deutschen Literatur: „Moral, das ist, wenn man moralisch ist.“ Der ist aus dem „Woyzeck“. Sobald ich diesen Titel höre, sehe ich zu meinem Leidwesen zwar die irren Glubschaugen Klaus Kinskis vor mir, während der Mund „Immer zu! Immer zu!“ artikuliert.

Und ich bin damit nicht allein. Ein Herr Roud meinte zum Werner Herzogs „Woyzeck“-Film: „Nun ist Kinski ein außerordentlicher Schauspieler, aber das einzige was er nicht spielen kann – ist eine dumpfe Kreatur. – Kinski mag sich noch so viel Mühe geben wie er will: er kann uns unmöglich davon überzeugen, daß er nicht schlauer, mächtiger und beherrschender ist als alle anderen Figuren des Films.“

Erbsendiät

Was ich bisher allerdings nicht gewusst habe, ist, dass „Woyzeck“ ein Fragment geblieben ist. Ein in mehrfacher Hinsicht einfacher Soldat hat ein uneheliches Kind mit der lebenslustigen Marie, bessert seinen Sold als Versuchsperson eines skrupellosen Arztes auf (der ihn auf Erbsendiät setzt und von dem oben erwähnter moralische Satz ist), erwischt seine Lebensgefährtin mit einem Tambourmajor und hört plötzlich Stimmen. Diese befehlen ihm, Marie umzubringen, was er denn auch macht.

Darüber schrieb Büchner, während er in Zürich Vorlesungen hielt. Und dann war er auch schon tot.

Glauben und Ingrimm

Die vorletzten Wort lasse ich den Monographen Ernst Johann sprechen: „(Büchner) ist nicht zu früh geboren, er ist zu früh gestorben. – Die Regungen seiner Seele: Empörung (,Der Hessische Landbote‘), Entsagung (,Dantons Tod‘), Lächeln (,Leonce und Lena‘), Glauben (,Lenz‘), Ingrimm (,Woyzeck‘) hatten sich erst entfaltet. – Für die deutsche Literaturgeschichte bedeutet sein Werk Vorwegnahme. Offen bleibt, ob es nicht auch eine Vorwegnahme Büchners bedeutet.“

Meiner Phantasie nach sitzt er seit über 170 Jahren auf der sprichwörtlichen Wolke und intoniert „Hei, da sitzt e Fleig an der Wand! Fleig an der Wand! Fleig an der Wand!“ und weiter und so fort –

© Von Werner Schuster

fleig

Ende.

Erster Teil: Der Revoluzzer
Zweiter Teil: Wieder bei Muttern
Dritter Teil: Das Nervensystem der Fische und der Menschen


Infos

Foto Fliege © Janek Pfeifer

Diese Links gehen zu Wikipedia:
Oskar Werner
Gertrud Kückelmann
Werner Krauss
Klaus Kinski
Werner Herzog

„Leonce und Lena“ mit Werner und Krauss ist erschienen im Audio-Verlag
und erhältlich bei amazon.de // buecher.de // buch24.de // libri.de.

Online ist das Stück abrufbar bei Projekt Gutenberg sowie
von dtv erhältlich bei amazon.de // buecher.de // buch24.de // libri.de.

„Woyzeck“ ist online abrufbar bei Projekt Gutenberg sowie
von Suhrkamp BasisBibliothek erhältlich bei amazon.de // buecher.de // buch24.de // libri.de.

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