Bringt mir den Kopf von Thomas Pynchon
Wer verbirgt sich hinter dem Pseudonym Peter H. Geißen? Und was ist ein Phraseonym?
Ende November 2010 freute sich der „Online-Spiegel“ darüber, dass er ein Autoren-Pseudonym enttarnt hatte: Hinter John S. Cooper, Autor zweier erfolgreicher Titel („Das fünfte Flugzeug“ und „Zero“) und angeblich US-Amerikaner, stecken in Wahrheit der „taz“-Journalist Mathias Bröckers und der Roman- und Drehbuchautor Sven Böttcher.
Diese Nachricht schlug nun nicht wie die sprichwörtliche Bombe ein. Deshalb sollte man beim „Spiegel“ nicht aufgeben: Immer noch harren etliche Pseudonyme der Enttarnung.
Der Fluch
Es muss ja nicht gleich so etwas wie das ehemalige Pseudonym von Stephen King sein, der bis 1984 fünf Romane unter dem Namen Richard Bachman herausgegeben hatte. Nachdem ihm der Buchhändler Stephen Brown draufgekommen war, verkaufte sich der Roman „Der Fluch“ jedenfalls gleich zehn Mal so oft.
Doch wer zum Beispiel verbirgt sich hinter dem Namen John Twelve Hacks, eines nach eigener Aussage US-amerikanischen Schriftstellers, der die „Trawler“-Trilogie geschrieben haben will – ein Werk über eine total überwachte Gesellschaft.
Kein Indianer
Details über Hawks sind so gut wie nicht bekannt, alle öffentlichen Informationen entstammen seinen eigenen Aussagen. In einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung erläutert er, zwar gebürtiger Amerikaner zu sein, keinesfalls aber ein Indianer, was in Anbetracht seines Pseudonyms vermutet wurde. Außerdem verrät er in dem Interview: „Ich bin so alt, dass ich in den siebziger Jahren noch die DDR kennen gelernt habe, die Angst der Menschen, ständig beobachtet zu werden, hat mich stark beeindruckt.“ Er hält den Kontakt zu seinen Verlegern über ein nicht zu ortendes Satellitentelefon.
Heidi und die Monster
Und wie heißt Peter H. Geißen mit wirklichem Namen, der vor Kurzem „Heidi und die Monster“ nach Johanna Spyris berühmtem Kinderbuch veröffentlicht hat?
Oder wer war nun „Ernst Hold“, der im 18. Jahrhundert beliebte Kinder- und Jugendbücher herausgegeben hat?
Tüte mit Fragezeichen
Einen veritablen Coup könnte der Spiegel landen, wenn er uns ein aktuelles Foto von Thomas Pynchon liefern könnte. Pynchon ist zwar kein Pseudonym, aber seit dem Erscheinen seines ersten Romans „V.“ im Jahre 1963 hat sich dieser völlig von der Öffentlichkeit abgeschottet. Es kursieren nur einige über vierzig Jahre alte Fotos von ihm und das Rätsel um seine Person ist mittlerweile Bestandteil der amerikanischen Populärkultur. Unter anderem hatte Pynchon Gastauftritte in drei Episoden der Simpsons. Er spricht sich selbst, seine Figur hat allerdings eine Tüte mit einem Fragezeichen über den Kopf gestülpt. 1997 wurde er zwar von einem Reporter von CNN aufgespürt, Pynchon verbat sich allerdings die Veröffentlichung der dabei entstandenen Aufnahmen.
Pseudoandronyme
Pseudonyme wurden jedenfalls zu allen Zeiten von AutorInnen aus verschiedenen Gründen benutzt. Früher schrieben Frauen oftmals unter männlichem Namen, um als Schriftsteller ernst genommen zu werden, so etwa Charlotte Brontë alias Currer Bell. Andere Autoren hatten Angst vor politischer Verfolgung oder wollten ihre politischen Motive unterstreichen, wie Alexei Maximowitsch Peschkow alias Maxim Gorki.
Viele Schriftsteller wünschen sich originellere Namen, so etwa Hans Bötticher alias Joachim Ringelnatz, oder versuchen sich ihrem Werk entsprechend zu benennen wie Heinrich Hoffmann (alias Peter Struwwel).
O ist besser als B
Den pragmatischsten Grund für die Pseudonymwahl nannte einst George Orwell, der eigentlich Eric Blair hieß: Im Autorenalphabet der Buchhandlungen sei die Konkurrenz unter „O“ weniger stark als unter „B“.
Erich Kästner schrieb unter anderem als Berthold Bürger, Melchior Kurtz und Robert Neuner, um während der Nazizeit das Publikationsverbot zu umgehen, während der Politiker Otto Böckel zur selben Zeit unter dem Namen Dr. Capistrano antisemitische Hetzschriften pubilzierte.
Pseudo-Voltaire
Für manche Schriftsteller war ein Pseudonym nicht genug, von Voltaire und Daniel Defoe weiß man, dass sie mehr als knapp 180 respektive 200 verschiedene benutzten.
Anton Postl verwendete nur zwei: Unter Charles Sidons veröffentlichte er 1828 „Österreich, wie es ist oder: Skizzen von Fürstenhöfen des Kontinents. Von einem Augenzeugen“ eine kritische Abrechnung mit dem Regime Metternich. Seine populären Romane – wie etwa „Tokeah“ oder „Das Cajütenbuch“ – erschienen unter dem Pseudonym Charles Sealsfield, das er selbst erst in seinem Testament lüftete.
Von Werner Schuster
P. S.: Es gibt – wie auch bei Wikipedia nachzulesen ist – verschiedene Arten von Pseudonymen. Viele sind reine Phantasiegebilde, manchmal wird aus den Buchstaben des richtigen Namens ein Anagramm gebildet (zum Beispiel Paul Ancel – Paul Celan). Ähnliche Formen sind das Ananym, das den wirklichen Name rückwärts gelesen wiedergibt (Kurt W. Marek alias C. W. Ceram) und das Kryptonym, das nur einzelne Buchstaben enthält (zum Beispiel Horst Bosetzky – -ky).
Von einem Prenonym spricht man, wenn als Verfasser nur dessen Vorname angegeben wird (Jean Paul Friedrich Richter – Jean Paul).
Frauen verbergen sich hinter Männernamen mittels eines Pseudoandronyms (Prosper Mérimée hat allerdings für Clara Gazul ein Pseudogynonym verwendet).
Beim Traduktionym wird der wirkliche Name in eine andere Sprache übersetzt (Georg Bauer – Georgius Agricola). Mit einem Geonym wählt man den Namen des Geburtsortes als Pseudonym (zum Beispiel Leonardo da Vinci), mit einem Aristonym wertet man einem Namen mit einem Adelstitel auf und das Hagionym enthält den Namen eines Heiligen (Halldor Kiljan Laxness).
Ein Ironym deutet auf eine satirische oder ironische Absicht des Autors hin (Friedrich Theodor Vischer – Deutobold Symbolizetti Allegorowitsch Mystifizinski), das Allonym gibt den Namen einer bekannten Persönlichkeit vor (Pablo Neruda benannte sich nach Jan Neruda) und das Phraseonym gibt den Namen in Form einer Redewendung wieder (Farin Urlaub).
Schließlich werden auch Sammelpseudonyme oder Verlagspseudonyme verwendet: Der fingierte Name wird in diesem Falle nicht einer bestimmten real existierenden Person zugeordnet, sondern von einem Unternehmen zur einheitlichen Publikation von Werken genutzt, die in Wahrheit von verschiedenen Urhebern stammen. Gängige Praxis ist dieses Vorgehen bei Verlagen, die Trivialliteratur in Heftform herausgeben.
Mehr Infos:
Spiegel-Artikel Die zwei Gesichter des John S. Cooper
Mehr über Pseudonyme // Richard Bachman // John Twelve Hawks // Ernst Hold // Thomas Pynchon // Charlotte Brontë // Joachim Ringelnatz // Heinrich Hoffmann // George Orwell // Erich Kästner // Otto Böckel // Karl Anton Postl bei Wikipedia.
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