12/10/2012von 781 Views – 0 Kommentare

Raabe, Melanie: Die Hässlichen


Roman
E-Book
274 Seiten/420 KB
Eigenverlag, 2012

KurzkritikAusführliche BesprechungInfos
Inhalt:

Die Freundinnen Helena und Claire sind hässlich. Claire schon immer, Helena erst, seit ihr Gesicht bei einem Unfall entstellt wurde. Rumjammern? Fehlanzeige. Schönheits-OPs? Auf gar keinen Fall! Die beiden haben es satt, sich für ihr Aussehen zu schämen. Sie gründen die „Fuglies“, eine Mischung aus radikaler Selbsthilfegruppe für hässliche Menschen und Kulturguerilla. Sie drehen den Spieß um, machen das Hässlichsein exklusiv. Die Abkehr vom Schönheitswahn trifft einen Nerv: Ruckzuck werden die „Fuglies“ zu Medienstars. Doch … (Pressetext)

Kurzkritik:

Diese unkonventionelle Geschichte, die sich so leicht liest, um hinterrücks ihre Nebenwirkungen zu entfalten, hat mich sehr nachdenklich gemacht. Werden Randgruppen immer Randgruppen bleiben? Ist Hässlichkeit ein Manko, dass auch durch die Flucht nach vorne nicht nivelliert, nicht gesellschaftsfähig gemacht werden kann? Wird Skrupellosigkeit immer den Sieg davontragen?

Eva gibt  ★★★★½  (4,5 von 5 Eselsohren)

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Besprechung:

Hässliche Hipster in Haute Couture

Die schöne Helena aus reichem und kultiviertem Elternhaus ist unglücklich – trotz Model-Freund, trotz elitärem Freundeskreis, trotz Anerkennung ihrer Umwelt, schicker Wohnung, perfektem Körper und Möglichkeiten zur Entfaltung. Ihren künstlerischen Ambitionen fehlt die zündende Idee.

Zerfressen vor Eifersucht auf ihre jüngere Schwester, die ein erfolgreiches Model ist, sucht und findet sie an ihrem Äußeren die Mäkel, die es zu beheben gilt, um endlich von ihren Eltern wahrgenommen, von ihren Freunden akzeptiert und von der Gesellschaft geliebt zu werden.

Claire, hässlich

Ihre beste Freundin Claire ist auch unglücklich. Anders als Helena ist sie weder reich noch schön – sie ist hässlich. Von Kindheit an gehänselt und ausgelacht, lebt sie ein zurückgezogenes Leben, widmet sich ihrem Studium und exzessivem Jogging, um ihre Aggressionen abzubauen.

Als sich Helena verzweifelt mit der Bitte um Hilfe an sie wendet, weil dieser die Selbstwertkrise über den Kopf wächst, ist Claire bereit zu helfen: Helena möchte in die Internetgruppe der „prettypeople“ aufgenommen werden, um sich und allen anderen zu beweisen, dass sie zu den Schönsten gehört, und Claire soll sich in ihrem Namen und mit ihren Fotos anmelden.

Rache

So will Helena ihre Freundin dazu benutzen, die Enttäuschung zu mildern, sollte sie wider Erwarten abgewiesen werden: Claire darf ihr nur eine Aufnahme direkt mitteilen, eine Absage muss Claire verschweigen. Claire lässt sich zwar benutzen, kann sich aber nicht zurückhalten, sich an ihrer schönen und arroganten Freundin zu rächen, da sie glaubt, dass diese für ein traumatisches Erlebnis verantwortlich ist, das sie vor kurzem hatte. Die geschockte Helena greift zu drastischen Mitteln, um ihre Enttäuschung zu überwinden, und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Nach einem Autounfall ist Helena schwer entstellt und gehört nun ihrerseits zu den Hässlichen dieser Welt. Doch sie gibt nicht auf: Zusammen mit Claire gründet sie die Gruppe „The Fuglies“, deren Aufnahmekriterium es ist, dass das neuen Gruppenmitglied hässlich sein muss.

„Fuglies“

Helena hat durch ihren Unfall nichts von ihrer Dominanz verloren und bringt die „Fuglies“ als ihr persönliches Kunst- und Performanceprojekt in alle Medien. Nicht alle lassen sich das auf die Dauer gefallen, und so entzünden sich Kontroversen und Konflikte in einer Gruppe, die Wärme und Schutz vor der verächtlichen Welt hätte bieten sollen.

Von Entstehung, Entwicklung und Zerfall der „Fuglies“ (Fucking Uglies) handelt dieses Buch, das, gegliedert in die Teile „Körper“, „Die Hässlichen“, „Blüte“ und „Verwandlungen“, ein ewiges Thema aus sehr heutiger Sicht und mit scheinbar leichter Hand aufbereitet: Schönheit versus Hässlichkeit – und die damit verbundenen Fragen nach Daseinsberechtigung, Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Aktzeptanz.

Grausame Analyse

Was beginnt wie ein Frauenroman und mit den Klischees „schön = oberflächlich und arrogant, hässlich = sozial engagiert und reflektiv“ spielt, entwickelt sich als eine sehr tiefgründige, fast grausame Analyse unserer Gesellschaft und deren Umgang mit Randgruppen.

Was, wenn sich eine Hässliche in einen Schönling verliebt? Verrät sie dann die Idee der Gruppe? Sind hässliche Menschen sexy? Sind hässliche Menschen hip, in, en vogue? Wenn ja, wie lange? Und: Ist das erstrebenswert? Ist Hässlichsein ein Politikum?

Picasso hat die Guernica gemalt,
nicht verursacht

Sehr interessant fand ich den Blick, hier am Beispiel der Performance, den dieses Buch auf die Kunst wirft: Wie weit darf Kunst gehen, um aufzuzeigen, aufzurütteln? Rechtfertigt der Satz „Picasso hat die Guernica gemalt, nicht verursacht“ jedes Extrem?

Diese unkonventionelle Geschichte, die sich so leicht liest, um hinterrücks ihre Nebenwirkungen zu entfalten, hat mich sehr nachdenklich gemacht. Werden Randgruppen immer Randgruppen bleiben? Ist Hässlichkeit ein Manko, dass auch durch die Flucht nach vorne nicht nivelliert, nicht gesellschaftsfähig gemacht werden kann? Wird Skrupellosigkeit immer den Sieg davontragen? In unserer gegenwärtigen Gesellschaft, in der Schönheit und Jugendlichkeit so maßgeblich sind, könnte der selbstbewusste Kampf der „Fuglies“ eine Möglichkeit sein, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Aber für wie lange?

Spielen wir Event-Randgruppe

Genügt es, in den Medien präsent zu sein, bis eine andere Sensation in den Vordergrund rückt? Spielt da mehr als Voyeurismus eine Rolle, und ändern die Menschen deswegen ihre Sichtweise? Wenn „Fugly“ sein heute schick ist, ist es morgen vielleicht cool, radikal Tiere zu schützen oder fundamentaler Christ zu sein. Spielen wir Event-Randgruppe – man gönnt sich ja sonst nichts.

Von Eva Schuster

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Infos:

Interview mit Melanie Raabe bei Libromanie.

Melanie Raabe wurde in Jena geboren, hat Literatur studiert und schreibt arbeitete zunächst als Journalistin im Printbereich. Parallel widmete sie sich dem Theater, stand seit 1996 mit verschiedenen Ensembles auf der Bühne und arbeitet an eigenen dramatischen Texten.
Im Frühjahr 2010 hat ihr Theaterstück „Der Neurosenkrieg“ in Leipzig Premiere, Anfang 2011 folgte der Krimi „Mafia al dente“, der ebenfalls in Leipzig uraufgeführt wird. Beide Stücke laufen unter dem Pseudonym Melanie Vega. Mit ihrer Kurzgeschichte „Die Zahnfee“ gewann Melanie Raabe den Deutschen Kurzkrimipreis 2011. Anfang 2012 gewann sie den von der Filmakademie Baden- Württemberg ausgeschriebenen RTL Start-up-Preis im Bereich Sitcom. „Die Hässlichen“ ist ihr erster Roman.

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