25/09/2011von 392 Views – 0 Kommentare

Vor Gericht

Meinungs-Esel„Überhebliche Kasperln“ werde ich in Zukunft denken, wenn ich StrafverteidigerInnen kennenlerne, und bei RichterInnen: „arme Hunde“.

Flora und eine Freundin waren Zeuginnen eines Raubüberfalls. Was sie sahen, könnte man als klein-organisiertes Klein-Verbrechen bezeichnen, sprich: eine Jugendbande, die Leute ausraubte und zum Teil verprügelte.

Nachdem die Mädchen, beide 13 Jahre alt, auf der Polizei ihre Aussage gemacht hatten, wurden sie jetzt zum Prozess vorgeladen.
Ich (danach): Und wie war das für dich?
Flora: Traumatisch.

Unbetreut

Es beginnt damit, dass es keine Betreuung für ZeugInnen gibt. Niemand erklärt den Mädels, was sie erwartet und wie sie versuchen könnten, damit umzugehen. (Auch im Sinne der Sache; doch davon später.)

Und wahrscheinlich ist es auch ungewöhnlich, dass ZeugInnen inmitten von 18 (!) Angeklagten sitzen, also nahezu umkreist sind, mit vielleicht 1,5 Meter Abstand. Hinter den Angeklagten sitzen deren StrafverteidigerInnen (auf die wir ebenfalls noch zu sprechen kommen). Normal dürfte sein, dass vorne – ein wenig erhöht – der Richter sitzt.

Ungefährlich

Dann kommt das, was man aus dem TV kennen könnte. Auch dort werden die ZeugInnen mit Namen, Geburtsdatum und Wohnadresse (!) vorgestellt. (Der Richter meint irgendwann, er habe in 30 Jahren noch nie erlebt, dass ZeugInnen in Gefahr geraten wären. Nachsatz: Garantie könne er allerdings keine geben. Gelächter.)

Er hat in seiner langjährigen Tätigkeit vielleicht nicht bemerkt, dass allein, ZeugIn zu sein, schon eine Gefährdung bedeutet; da muss einen niemand erst auflauern, bedrohen und/oder verprügeln.

Sagen wir mal so: auch Erwachsene hätte Probleme damit, inmitten der Menschen zu sitzen, gegen die sie aussagen. Damit nicht genug, werden die Mädels von den StrafverteidigerInnen wie Erwachsene behandelt. D.h. niemand, auch der Richter nicht, nimmt Rücksicht auf deren Alter.

Fertig gemacht

Sondern: die VerteidigerInnen gehen ihrem Beruf nach und versuchen, die Zeuginnen unglaubwürdig zu machen. Die ohnedies nervösen, verängstigten Mädchen werden vorgeführt, jedes Wort wird ihnen im Mund umgedreht, sie werden so lange befragt, bis von ihren Aussagen nichts (für den Prozess Relevantes) übrig bleibt.

Schlussendlich noch lächerlich gemacht, werden sie ungnadenhaft entlassen.

So empfiehlt sich der Rechtsstaat also seiner Jugend.

Davonstehlen

Ich denke, Flora wird sich beim nächsten Mal, wenn sie Zeugin von einem Verbrechen wird, sehr darum bemühen, sich davonzustehlen, um nur ja nicht mehr vor Gericht aussagen zu müssen.

Und ich hoffe außerdem, dass sie und ich und Eva und niemand, den ich kenne, jemals mir dem Gesetz zu tun bekommen wird. Von unserem persönlichen Erlebnis abgesehen, habe ich bei dieser Verhandlung das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit verloren.

Der Wahrheitsfindung hinderlich

Ich habe bisher angenommen, bei Gericht ginge es darum, sich der Wahrheit möglichst weit anzunähern, um zu einem Urteil zu gelangen. Jetzt bin ich eher der Ansicht, unser Rechtssystem lässt dies gar nicht zu.

Es war mir schon klar, dass StrafverteidigerInnen alles Mögliche versuchen, ihren MandantInnen zu helfen, gar nicht oder nur gering bestraft zu werden. Mir war nicht bewusst, dass dies besagter Wahrheitsfindung hinderlich ist. Dass es sich schon um engagierte RichterInnen handeln muss, die versuchen, ihre Urteile trotz der StrafverteidigerInnen angemessen zu fällen.

Alles Theater

Des weiteren habe ich nicht gewusst, dass eine Gerichtsverhandlung eine Art Theater-Veranstaltung ist, in der die StrafverteidigerInnen und die RichterInnen vor Publikum glänzen wollen. Und wir waren nur bei einem „Kleiner Fisch“-Prozess anwesend: für die schauspielerischen Leistungen in einem Promi-Prozess müsste man wahrscheinlich eine eigene Oscar-Kategorie erfinden.

Sprich: es geht bei Gericht allem Anschein nach nicht um die „Wahrheit“, sondern wir haben es mit einem System zu tun, das mir nicht geeignet erscheint, diese zu finden.

Ungern

Sollte ich einem Verbrechen zum Opfer fallen, werde ich der Verhandlung nicht hoffnungsvoll entgegensehen. (Nebenbei bemerkt: dem Strafvollzug stehe ich auch noch kritisch gegenüber). Und wie Flora würde auch ich einer etwaigen ZeugInnenpflicht nur äußerst ungern nachkommen.

Werner Schuster


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Literaturmagazin Eselsohren – 

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