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Austen, Ralph A.: Sahara

Tausend Jahre Austausch von Ideen und Waren

Sachbuch
Taschenbuch, Hardcover, E-Book
272 Seiten
Erschienen 2012/2013 bei Wagenbach
Aus dem Englischen von Matthias Wolf
Originalausgabe: „Trans-Saharan Africa in World History”, 2010

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Seit dem 7. Jahrhundert wurde in der Sahara einer der wichtigsten Handelswege zwischen Nord und Süd gebahnt. Über tausend Jahre lang wurden materielle Güter, Ideen und kulturelle Neuheiten transportiert: Gold und Sklaven in den Norden, und mittelmeerische, vor allem islamische Kultur in den Süden. (Pressetext)

Kurzkritik:

„Die Geschichte dieser Verkehrsader hat uns noch immer viel zu erzählen, (…) auch, wie die Afrikaner auf beiden Seiten der Wüste und in ihrem Inneren bis heute ihre Identitäten herausbilden.“

Besprechung:

Zivilisiert in der Wüste

Die Wagenbach-Sachbücher sind, wie sich das gehört, ein Mittelding zwischen Populärwissenschaft und Wissenschaft. Das heißt, sie sind anspruchsvoll, aber verständlich. „Sahara“ ist da keine Ausnahme und wurde soeben als Taschenbuch herausgebracht. Ralph A. Austen, emeritierter Professor für Afrikanische Geschichte, widmet sich darin ausführlich einem Gebiet, das man in der Regel mit wenig mehr als mit Wüste und Beduinen verbindet.

Die Geschichte dieser Verkehrsader hat uns noch immer viel zu erzählen, (…) auch, wie die Afrikaner auf beiden Seiten der Wüste und in ihrem Inneren bis heute ihre Identitäten herausbilden.

Dies lässt sich in einer Zusammenfassung jedoch unmöglich wiedergeben. Ich beschränke mich deshalb vornehmlich auf die für Westeuropäer (also für Menschen mit wohl immer noch kolonial angehauchtem Weltbild) überraschenden Fakten.

Die Sahara und die angrenzenden Gebiete haben eine reiche Geschichte, die vornehmlich mit dem Transport materieller und geistiger Güter zusammenhängt. Anders gesagt: Durch die Sahara wurden Waren (zu denen auch Sklaven gehörten) befördert und der Islam verbreitet.

Handelspartner der Römer

Die Glaubensbringer haben ab ca. 650 keine „Wilden“ angetroffen, die Kolonialisten ab ca. 1830 schon gar nicht. Spätestens ab dem 4. Jahrhundert v. u. Z. herrschten die Garamanten im heutigen Lybien, die den Transsahara-Handel dominierten und wichtige Handelspartner der Römer waren – und von denen Felszeichnungen in der Sahara gefunden wurden.

Auch gab (und gibt) es nicht „den Islam“, sondern verschiedene Ausrichtungen und Sekten. Den Handel beherrschte etwa ab 800 die Sekte der Ibaditen. Zwischen dem 8. und dem 14. Jahrhundert existierten mehrere sudanische Reiche, ab dem 11. Jahrhundert setzten die Almoraviden in der westlichen Sahara das malikitische Recht durch (– die Mailikiten sind eine der vier traditionellen Rechtsschulen Madhahib des sunnitischen Islams). Der Islam brachte Afrika Alphabetisierung und in der Folge Bildung: Historiker haben etwa das Mali- und das Songhai-Reich und die späteren Kalifate beschrieben.

Kulturelle Identität

Ein Kapitel ist dem Karawanenhandel und der afrikanischen Wirtschaft gewidmet (– eine Karawane bestand normalerweise aus 1.000 bis 5.000 Kamelen und Hunderten von Menschen; die Durchquerung der Sahara vom Süd- bis zum Nordrand dauerte rund 70 Tage), ein weiteres dem – von Dschihads geprägten – Kampf um die Herrschaft über die Sahara, wobei die territorialen Umrissen stets vage blieben und in den Bevölkerungen schon damals keine gemeinsame kulturelle Identität bestand. (Die späteren Kolonialstaaten-Grenzen wurden schließlich willkürlich gezogen, was nicht zum friedlichen Miteinander beitragen konnte.)

Austen führt auch eine kurz in den Islam (afrikanischer Prägung) ein und zeigt auf, was der (französische und britische) Kolonialismus für die Sahara-Region bedeutet hat. Kurz und ungenau gesagt, haben beide Seiten nicht viel davon gehabt.

Als Wissenschaftler gibt Austen natürlich nichts als gesichert aus, was nicht belegt werden kann. So ist es schwierig, etwas über den Wüstenhandel vor Ankunft der arabischsprechenden Händler zu sagen, etwa weil alte „lybische“ Dokumente nicht ausreichend übersetzt werden können.

Sahelzone

Dennoch erhält man in „Sahara“ ausreichend Informationen über Geschichte, Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft eines Gebietes, das im Unterricht wohl vernachlässigt worden ist, aber immerhin der Größe der gesamten USA entspricht. Und man eignet sich nicht nur historisches Wissen an. Austen beschreibt zum Beispiel auch, dass die Umweltkatastrophe in der Sahelzone ihren Ursprung im Bau eines Staudamms am Tschadsee hat, mit dem man das Land bewässern und für Elektrizität sorgen wollte. Dies führte zwar zu einer (kurzfristigen) Zunahme an Viehbeständen, doch gleichzeitig begann der Wasserspiegel des Sees abzusinken.

Der Transsahara-Handel hat mit dem Anbruch des 20. Jahrhunderts jedenfalls ein abruptes Ende gefunden. Waren aus ganz West- und Zentralafrika erreichten die Außenwelt fortan in Güterzügen, Lastwagen und Flugzeugen. Heute werden vornehmlich illegale Migranten und Abenteuertouristen durch die Sahara transportiert.

Von Werner Schuster

Infos:

Das meinen andere [5] (Perlentaucher-Rezensionsnotizen).

Ralph A. Austen ist emeritierter Professor für Afrikanische Geschichte an der University of Chicago und Autor zahlreicher Bücher über die Geschichte und Literatur Afrikas, über Sklavenhandel und Kolonialismus. Austen lehrte an verschiedenen Universitäten in Afrika, Frankreich, Deutschland und Israel.