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Torres, Justin: Wir Tiere

Roman
Hardcover, E-Book
176 Seiten
Erschienen 2013 bei DVA
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Originalausgabe: „We, the animals”

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Drei Brüder schlagen sich durch ihre Kindheit: Sie bewerfen sich gegenseitig mit Tomaten, bauen aus Müllsäcken Drachen, verstecken sich, wenn sich die Eltern anschreien, dreschen auf Paps und Ma ein, wenn diese lachen. Die Eltern, nur wenig älter als ihre Kinder, stammen aus Brooklyn – er ist Puerto Ricaner, sie eine Weiße –, und ihre Liebe ist eine ernsthafte, gefährliche Sache, die die Familie zusammenschweißt, sie aber auch immer wieder zerreißt. Laut ist es in diesem Haushalt und leidenschaftlich, die Jungs sind immer hungrig und wollen mehr: mehr Fleisch, mehr Krach, mehr Wärme, mehr Leben. (Pressetext)

Kurzkritik:

Schade. Ich hatte im letzten Fünftel des Buches plötzlich den Eindruck, etwas Autobiografisches zu lesen, zu dem der Autor zu wenig Distanz hatte, während ich zuvor dachte, es mit einem Roman über das Heranwachsen von Männern unter nicht besonders liebevollen Umständen zu tun zu haben. Mir hätte das genügt. Ich hätte aber auch gern einen Roman über einen Buben gelesen, der in einer von Männern geprägten Welt seine Homosexualität entdeckt. Und nicht zwei Romane in einem.

Besprechung:

Spätes Coming out

Was ist das nun: Ein Roman über das Heranwachsen von Männern unter nicht besonders liebevollen Umständen oder über einen Buben, der in einer von Männern geprägten Welt seine Homosexualität entdeckt?

Der Titel „Wir Tiere“ passt gut zu Jungen, welche die Grenzen ihrer Welt aggressiv erkunden. Sie toben herum, als würden sie Filmhelden kopieren, welche ihre hilfsbedürftige oder zärtliche Seite leugnen.

Wir wollten mehr. Wir pochten mit den Stielen unserer Gabeln auf den Tisch, schlugen mit den Löffeln gegen die leeren Schüsseln; wir waren hungrif. Wir wollten mehr Krach, mehr Spaß. … Wir wollten Muskeln an unseren dürren Armen. … (Wir waren) drei kleine Könige im Kampf um mehr.

Zu junge Eltern

Der Jüngste beschreibt uns die frühen Jahre von sich und seinen Brüdern, allmählich sickert zwischen den kurzen Szenen die Familiengeschichte durch: Wir befinden uns in New York, die Eltern sind gemischtrassig und sehr jung, zu jung: Sie war 14, er 16, als sie erstmals schwanger wurde. Beide arbeiten (wenn sie Arbeit finden) und haben nie genug Geld; er verlässt seine Familie für eine Weile, kommt wieder zurück; er prügelt sie und seine Kinder; sie lässt sich gehen.

Auf einmal schlägt der Roman eine andere Richtung ein. 126 von 154 Seiten wird eine Buben- und Familiengeschichte erzählt, unangekündigt wird ein Coming out daraus. Der Jüngste geht auf Distanz zu seinen Brüdern und zu seinen Eltern, als er merkt, dass er schwul ist. Seine Familie findet sein Tagebuch mit seinen sexuellen Fantasien und rückt ihrerseits von ihm ab.

Zu wenig Distanz?

Das ist für mich dramaturgisch etwas holprig. Meiner Meinung nach hätte Torres entweder zu Beginn auf das Ende hinweisen oder der sexuellen Selbstfindung des jüngsten Bruders mehr Raum geben sollen. So aber hatte ich im letzten Fünftel plötzlich den Eindruck, etwas Autobiografisches zu lesen, zu dem der Autor zu wenig Distanz hatte, während ich zuvor dachte, es mit einem Roman über das Heranwachsen von Männern unter nicht besonders liebevollen Umständen zu tun zu haben.

Mir hätte das genügt. Ich hätte aber auch gern einen Roman über einen Buben gelesen, der in einer von Männern geprägten Welt seine Homosexualität entdeckt. Und nicht zwei Romane in einem.

Von Werner Schuster

Infos:

Justin Torres zählt zu den interessantesten jungen Stimmen der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur. Er wurde 1980 geboren und wuchs in Upstate New York auf. Er war als Landarbeiter, Hundeausführer, Buchhändler und Lehrer für kreatives Schreiben tätig und ist gegenwärtig Wallace-Stegner-Stipendiat an der Unversität Stanford. “Wir Tiere” ist sein erster Roman, der viele begeisterte Kritiker und Leser gefunden hat, weltweit in über einem Dutzend Länder erscheint und mit dem Cabell First Novelist Award ausgezeichnet wurde.