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Cortez, Rodrigo Díaz: Der mieseste aller Krieger

Roman
Hardcover, E-Book
288 Seiten
Erschienen 2013 bei Aufbau
Aus dem chilenischen Spanisch von Petra Strien
Originalausgabe: „El peor de los guerreros”, 2011

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Auf der Suche nach Inspiration für seinen neuen Roman stößt der junge Schriftsteller Benito in einer alten Zeitung auf die Notiz eines Mordes, in den offenbar sein Großvater Samu verwickelt war, den er nie kennengelernt hat. Und doch vernimmt Benito plötzlich Samus Stimme, die ihm eine große Generationensaga ins Herz diktiert: Es ist die bewegte Geschichte seiner Familie in der Kleinstadt Paitanás, am Rande der Atacamawüste im Norden Chiles, die vier dramatische Jahrzehnte umspannt. (Pressetext)

Kurzkritik:

Die Idee ist an sich großartig: Der verstorbene (!) Großvater eines jungen chilenischen Schriftstellers erzählt diesem aus seinem Leben, was nicht nur mit dem Schriftsteller, sondern auch mit Chile zu tun hat. Und so bekommt man Eindrücke von Chile auch vor Allende und Pinochet und liest Abenteuerliches über Menschen, die eher den Verlierern als den Gewinnern zuzuzählen sind. Leider berichtet der Großvater ziemlich sprunghaft, sodass man den roten Faden leicht verlieren kann.

Besprechung:

Eher Verlierer als Gewinner

Die Idee ist an sich großartig: Der verstorbene (!) Großvater eines jungen chilenischen Schriftstellers erzählt diesem aus seinem Leben, was nicht nur mit dem Schriftsteller namens Benito, sondern auch mit Chile zu tun hat. Der Großteil der Handlung spielt in Dörfern, doch auch in diesen spürt man die Auswirkungen der Historie.

Der 1977 geborene Rodrigo Díaz Cortez lässt also die Geschichte Chiles Revue passieren (– vom 1924 durch einen Militärputsch abgesetzten Präsidenten Arturo Alessandri Palma, der in Chile ein Sozialversicherungssystem eingeführt hatte, und Carlos Ibáñez del Campo, der das Land bis 1932 mit diktatorischen Mitteln regierte; über den Christdemokraten Eduardo Frei Montalva und Salvador Allende, die auf demokratischem Wege eine sozialistische Gesellschaft in Chile zu etablieren versuchten; bis hin zu General Augusto Pinochet mit seinen Geheimgefängnissen, wo Oppositionelle und deren Sympathisanten nicht selten zu Tode gefoltert oder unter anderem mit Flugzeugen hinaus aufs Meer geflogen und dort hinausgeworfen wurden).

Das Paar war schon tot

Doch „Der mieseste aller Krieger“ ist kein Geschichtsunterricht für In- und AusländerInnen, die Historie dient Cortez als Folie für Räuber- und ähnliche Geschichten.

Das Schrillen des Glockenweckers konnte das Paar nicht aus dem Schlaf reißen, denn es war schon tot.

Räuberpaar, Bordellbesitzer,
korrupter Dorfpfarrer

So setzt der Roman an, der von nicht wirklich erfolgreichen Menschen handelt: dem Räuberpaar Sofanor und Inglesa, das 1939 tot in einem Hotelzimmer aufgefunden wird; dem korrupten Dorfpfarrer Alzamora, der sich mit einem Freudenmädchen vergnügt und lange Zeit „alle Gewalttaten absegnete“, die z.B. der Offizier der Carabineros López-Cuervo II begeht.

Dieser versucht zuerst, den Tod des Räuberpaares dem Bordellbesitzer (und Großvater des Schriftstellers) Samu anzuhängen, der es nicht geschafft hat, sich am Vater von López-Cuervo II für eine Untat zu rächen. Später verdächtigt er Lorenzona, ein wildes Outlaw-Mannweib.

Rote Fäden zusammensuchen

Diese Geschichten sind alle sehr „amüsant“, wenn auch nicht leicht nachzuvollziehen. Denn Samu springt bei seinen Berichten in der Zeit hin und her (1939, 1917–1920, 1939–1948, 1920, 1946, 1940, 1953, 1974, 1939, usw.), sodass ich die roten Fäden der Geschichten oft verlor und in den verstreuten Berichten immer wieder zusammensuchen musste.

Jedenfalls entdeckt Benito schließlich das Geheimnis seiner Herkunft, das eng mit den Grausamkeiten der chilenischen Geschichte zusammenhängt. Und insgesamt bekommt man (nicht sehr weit reichende) Eindrücke von Chile auch vor Allende und Pinochet und liest Abenteuerliches über Menschen, die eher den Verlierern als den Gewinnern zuzuzählen sind.

Macht Spaß.

Von Werner Schuster

Infos:

Rodrigo Díaz Cortez wurde 1977 in Santiago de Chile geboren. Er hat bislang einen Erzählband und die Romane Tridente de plata (Mario-Vargas-Llosa-Preis der Universität Murcia) und Poeta bajo (nominiert für zwei weitere Literaturpreise) veröffentlicht. Zurzeit arbeitet er als Taxifahrer in Barcelona, leitet eine Schreibwerkstatt und ist Mitarbeiter einer Kulturzeitschrift.

Mehr über Chiles Geschichte [5] bei Wikipedia.