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Steiner, Jens: Carambole

Roman
Hardcover, E-Book
224 Seiten
Erschienen 2013 bei Dörlemann

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Im Dorf verharren die Menschen in ihrem Alltag wie gelähmt, während sich um sie herum alles verändert: Restaurants schließen, neue Wohnviertel entstehen, soziale Netze zerbrechen,Familien fallen auseinander. In zwölf Runden nähert sich Jens Steiner diesem sozialen Gefüge an, lässt die Dorfmenschen in ihrer Hilflosigkeit erstarren und öffnet ganz kleine Lücken, durch die hindurch ein Schritt in eine wenn auch unsichere Zukunft möglich wäre. (Pressetext)

Kurzkritik:

Einen trostlosen Ort mit depressiven Bewohnern beschreibt Jens Steiner in seinem Roman, der auf mich wie ein Zwitter aus Realismus und Groteske wirkt. Ich hatte weder Mitleid mit den Figuren noch konnte ich mich am Formalen erfreuen.

Besprechung:

Depressiv

Einen trostlosen Ort mit depressiven Bewohnern beschreibt Jens Steiner in seinem Roman.

Nicht einmal die Kinder erfreuen sich ihres Lebens. Sie wissen schon lange vor Beginn der Schulferien, dass auch dieses Jahr nichts geschehen wird, und hängen unfroh herum.

Ein verwahrloster Jugendlicher erzählt ihnen abenteuerliche Geschichten, von denen sie nicht wissen, ob sie sie glauben sollen. Die Buben versuchen gar nicht erst, Mädchen zu gefallen. Die interessieren sich ohnedies für den berühmten Tennisspieler, der aus dem Dorf stammt.

Verpfuscht

Die Erwachsenen? Ein Querschnittgelähmter beobachtet eine Straße von seinem Fenster aus. Unter anderem zwei Brüder, die sich wegen einer Erbschaft vor vielen Jahren zerstritten haben. Der eine sitzt fett auf seinem Balkon und betrinkt sich, der andere geht zweimal am Tag ins Gasthaus und trinkt dort stumm jeweils ein Bier, hier wie zu Hause auch sein verpfuschtes Leben bedauernd.

Ein ehemaliger Knecht hatte nach 15 Jahren seine Stelle verloren und anschließend in einem Zelt gelebt, bevor er von der Gemeinde eine Wohnung in der Türkensiedlung zugewiesen bekam, in der er sich allerdings kaum aufhält.

Die Ehepaare leben getrennt oder haben sich nichts zu sagen; die Kinder reden nicht mit ihren Eltern.

Tragisch

Drei alte Männer treffen sich regelmäßig, um Carrom zu spielen (einer nennt das Speil Carambole). Einer den ganzen Gramsci gelesen, der andere hat Epiktet ins Deutsche übersetzt. Er sagt, „die Tragik ist unser aller Hausdrache.“

Dies wird in zwölf Kapiteln jeweils aus der Perspektive einer dieser Figuren als Ich-Erzählung beschrieben. Viele Handlungsstränge werden in anderen Kapiteln wieder aufgegriffen. Eine runde Geschichte ergibt das dennoch nicht, eher haben wir es mit teils verbundenen Schlaglichtern zu tun.

Verbittert

Dramatisch ist „Carambole“ nicht, auch wenn der Tennisstar sowie der verwahrloste Jugendliche verschwinden und eine Fabrik brennt, vermutlich infolge von Brandstiftung. Diese Ereignisse sind auch keine Höhepunkte, auf welche die Handlung zustrebt, sondern geschehen nahezu beiläufig. Noch dazu sind die Figuren, wie gesagt, allesamt hoffnungslos bis verbittert.

Die auf dem Buchumschlag angekündigten „kleinen Lücken, durch die hindurch (den Dorfmenschen) ein Schritt in eine wenn auch unsichere Zukunft möglich wäre“, sind mir nicht aufgefallen. Vielmehr hatte ich den Eindruck, dass Steiner eine übertrieben depressive Gemeinschaft beschreibt, ohne dass sich diese Übertreibung auch in der Romankonstruktion oder in der Sprache wiederfinden würde.

Tranig

Und so weiß ich nicht so recht, was ich mit diesem Roman anfangen soll. Er wirkt auf mich wie ein Zwitter aus Realismus und Groteske, und ich hatte weder Mitleid mit den Figuren noch konnte ich mich am Formalen erfreuen. Dafür ist das Ganze auf die Dauer auch zu tranig.

Von Werner Schuster

Infos:

Das meinen andere [5] (Perlentaucher-Rezensionsnotizen).

Jens Steiner, geboren 1975, studierte Germanistik, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft in Zürich und Genf. Sein erster Roman »Hasenleben« (2011) wurde für die Longlist Deutscher Buchpreis 2011 nominiert. Für das Romanmanuskript »Carambole« wurde er 2012 mit dem Preis »Das zweite Buch« der Marianne und Curt Dienemann-Stiftung ausgezeichnet.

Mehr über Jens Steiner [6] bei Wikipedia.