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22/02/13: lügen um der Wahrheit willen

Ich hab mir zwar etwas anderes erwartet, aber D‘Agata/Fingals Buch „Das kurze Leben der Fakten“ (Hanser-Verlag) war dennoch sehr bereichernd. Ich glaubte, dass es darum geht, dass ein Journalist bei einer Zeitung einen Text eingereicht hat, der einem Praktikanten zum Faktencheck übergeben worden ist, und dass dieser Check sehr penibel wurde. In Summe, dachte ich, ginge es um die Frage, wie sehr Journalismus die Wirklichkeit abbilden könne.

Tatsächlich hat John D‘Agata beim Believer einen Essay über einen Selbstmord in Las Vegas eingereicht, der dem Praktikanten Jim Fingal zur Überprüfung weitergereicht wurde. Fingal sollte einen Faktencheck vornehmen, und der hat sieben oder acht Jahre (!) gedauert. Allerdings versteht D‘Agata unter einem Essay etwas, das sich, was die Fakten betrifft, Freiheiten herausnehmen kann, wenn es denn nur der Darstellung der Wahrheit dient. Und Fingal ist an den Text wie an einen rein Journalistischen herangegangen.

Tatsächlich hat er jede Aussage überprüft (ob etwa der Sturz des Selbstmörders acht oder neun Sekunden gedauert hat) und darüber mit D‘Agata und mit dem zuständigen Redakteur korrespondiert. Die Diskussion wurde schließlich um etwa 100 Seiten länger als der eigentliche Text. (Der Essay ist 22 Seiten lang.)

Die Diskussion dreht sich im Prinzip nicht um die Frage, was Journalismus zu leisten vermag, sondern ob und wie viel Ungenauigkeit oder auch Lüge der Beschreibung von Wirklichkeit dient.

Und dennoch habe ich in diesem Buch vorgefunden, was ich zu finden glaubte. Denn abgesehen davon, dass es in Österreich meines Wissens so etwas wie Faktenchecks überhaupt nicht gibt, – wenn ich ehrlich bin, fälsche ich Fakten schon einmal ein wenig, wenn das die Story (oder ihre Aussage) besser illustriert. Manche Journalisten oder Zeitungen tun dies, um eine bestimmte Botschaft zu verkünden. Ich kann nicht sagen, wo das Illustrieren aufhört und das Hintrimmen anfängt. Das hat mir dieses Buch vor Augen geführt (oder in Erinnerung gerufen).

In letzter Konsequenz geht es in „Das kurze Leben der Fakten“ um die große Frage, ob sich „die Welt“ mit Worten „wirklich“ beschreiben lässt. Eine kleinere Frage ist, ob sich die angeblich objektiven Journalisten von D‘Agata mit seinen bewussten „verdeutlichenden Lügen“ tatsächlich unterscheiden. Und ob es nützt, bewusster an Artikel (oder Essays) heranzugehen.

Spannend. Beunruhigend.