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Watkins, Claire Vaye: Geister, Cowboys

Erzählungen
Hardcover
304 Seiten
Erschienen 2012 bei Ullstein
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
Originalausgabe: „Battleborn”, 2012

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Ein alter Mann findet in der Wüste ein junges Mädchen und rettet sie vor dem sicheren Tod, ihre Anwesenheit verändert für eine kurze Zeit sein Einsiedlerleben. Ein Fremder betritt den Mikrokosmos eines Bordells und bringt die fragile Ordnung aus Emotion und Kalkül durch einander. Ein Haus in Nevada wird über Jahrzehnte hinweg Zeuge, wie seine Bewohner lieben und leiden, hoffen und scheitern, sich neu erfinden und gefunden werden. Die zehn Stories handeln von Verlassenden und Zurückgelassenen, Suchenden und Verfolgten. (Pressetext)

Kurzkritik:

Hätte ich dieses Buch nur schon letzten Jahr gelesen! Dann wäre es in der Bestenliste 2012 ganz oben gelandet. Jedenfalls denke ich, dass man sich den Namen Claire Vaye Watkins merken sollte. Und warte sehnsüchtig auf weitere Bücher der derzeit noch nicht 30-jährigen Autorin.

Besprechung:

Phänomenal gut

Hätte ich dieses Buch nur schon letzten Jahr gelesen! Dann wäre es in der Bestenliste 2012 [5] ganz oben gelandet. Jedenfalls denke ich, dass man sich den Namen Claire Vaye Watkins merken sollte.

Die schreibt nämlich phänomenal gut. Beinahe jede Story ist in einem anderen Stil verfasst, ohne dass es sich um Stilübungen handeln würde. Nein, Watkins, scheint für jede Geschichte die passende Form gesucht – und gefunden zu haben.

Charles Mansons rechte Hand

Nach der ersten, „Geister, Cowboys“, dachte ich noch, das würde so weitergehen, nämlich autobiografisch. Claire Vaye ist nämlich die Tochter von Charles Mansons [6] rechter Hand Paul Watkins und der war u.a. dafür zuständig, ihm Frauen aufzutreiben. Das schält sich erst nach und nach heraus, Claire Vaye such für das Darzustellende einen Einstieg, kunstvoll, aber nicht gekünstelt. Erst spät wird klar, dass sie es leid ist, von JournalistInnen nach ihrem Vater befragt zu werden, ohne dass ihre eigene Geschichte von Interesse wäre.

Damit hat es sich dann aber mit dem Autobiografischen. In „Das Letzte, was wir brauchen“ wird ein Mann von den Gespenstern seiner Vergangenheit eingeholt: Er hat in jungen Jahren einen Tankstellen-Räuber erschossen, der in einem Chevy Chevelle fuhr, und findet in einer verlassenen Gegend ebenso ein Auto, die Besitzer ist verschwunden, und der Mann schreibt ihm Briefe.

Das Abenteuer suchen

Im auktorial geschriebenen „Rondine al Nido“ erzählt eine Frau einer Zufallsbekanntschaft davon, wie sie als Jugendliche in Las Vegas das Abenteuer gesucht hat – und von ein paar Jungs vergewaltigt worden ist.

Das darf man eigentlich alles nicht verraten. Denn ähnlich wie bei „Geister, Cowboys“, ist zu Beginn von der Storys nie klar, worauf diese hinauslaufen werden. Man weiß, dass etwas geschehen ist (oder wird), aber man kann lange nicht sagen, was.

Watkins beschreibt anfangs oft die Auswirkungen von Geschehnissen, aber nicht immer: „Imperfekt, Perfekt, Plusquamperfekt“ setzt folgendermaßen ein:

Es passiert jeden Sommer. Ein Tourist wandert bei Las Vegas ohne genug Wasser in der Wüste herum und verläuft sich. Die meisten sterben. In diesem Sommer ist es laut dem „Nye County Register“ ein Italiener, ein Student, zwanzig Jahre alt. Manny, der Geschäftsführer der Cherry Patch Ranch, liest den Artikel Darla vor, seinem besten Mädchen, als sie am Pool in der späten Nachmittagssonne liegen.

Frauen-Perspektive

In der Folge erfahren wir so einiges über Manny, über seine Mädchen – und über den Freund des Verschollenen, der schließlich bei Manny auftaucht. Wir erfahren mehr, als es für die Story brauchen würde, aber nichts, was uns nicht interessieren könnte.

Denn Watkins bringt uns Menschen näher. So nahe, dass wir sie nach 20, 30 Seiten kennen, als hätten wir einen Roman gelesen. Etliche davon sind Männer, aus Frauen-Perspektive beschrieben, viele sind Frauen, endlich einmal nicht aus der Männer-Perspektive dargestellt. „Zielgruppe“ sind sowohl Frauen als auch Männer.

Meisterstück

Und ein Meisterstück ist Watkins mit „Graceland“ gelungen. Es geht um eine schreckliche, dominante Mutter und ihre beiden Töchter, es geht darum, wie sich die Vergangenheit in deren Gegenwart manifestiert. Und gearbeitet ist das wie ein Streichquartett-Satz, wie ein Sonatensatz. Watkins kommt mit wenigen, aber eindringlichen Motiven/Themen aus (etwa gefährdete Tiere, Walt Disneys „Dumbo“, Schwangerschaft), stellt sie vor, wandelt sie ab, lässt sie aufeinandertreffen, harmonisieren (oder nicht), – um am Ende in eine „Coda“ münden, die für mich so etwas wie einen möglichen Neubeginn (der Familiengeschichte) darstellt.

Ich empfehle Ihnen diese Storys eindringlich. Und warte selbst sehnsüchtig auf weitere Bücher der derzeit noch nicht 30-jährigen Autorin.

Von Werner Schuster

Infos:

Das meinen andere [7] (Perlentaucher-Rezensionsnotizen).

Claire Waye Watkins wurde 1984 im Death Valley geboren und ist in Nevada aufgewachsen. „Geister, Cowboys“ ist ihr Debüt. Sie unterrichtet an der Bucknell University in Lewisburg, Pennsylvania.