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Verbannte Bücher

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Der Kinderbuchklassiker „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler wird künftig ohne diskriminierende Begriffe wie Negerlein und Neger erscheinen. – Aus diesem Anlass bringen wir eine Story über gegenwärtig bereinigte, angefochtene und verbannte Bücher.


Der Kinderbuchklassiker „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler wird künftig ohne diskriminierende Begriffe wie Negerlein und Neger erscheinen. „Wir werden alle unsere Klassiker durchforsten“, kündigte Klaus Willberg vom Thienemann-Verlag in der Berliner „tageszeitung“ vom 5. Januar an. „Es ist notwendig, Bücher an den sprachlichen und politischen Wandel anzupassen“, begründete Willberg den Schritt: „Nur so bleiben sie zeitlos.“

Thienemann folgt damit dem Beispiel von Oetinger. Dieser Verlag hat bereits Worte wie „Neger“ und „Zigeuner“ aus seinen aktuellen Ausgaben von „Pippi Langstrumpf“ und anderen Kinderbuchklassikern von Astrid Lindgren gestrichen.

Paul Maar hat nichts dagegen

Paul Maar hat nichts dagegen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk [1] meinte er: „Ich finde, dass der Oetinger-Verlag Recht daran getan hat, schon vor vier oder fünf Jahren bei einer Neuübersetzung von Pippi Langstrumpf zum Beispiel den Begriff Negerkönig durch Südseekönig zu ersetzen. Denn das Wort Neger ist ja bei uns wirklich negativ belastet und außerdem ist es viel korrekter, von einem Südseekönig zu sprechen, denn in der Südsee, die Bewohner dort (…) sind Polynesier.“

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) wird das freuen: Sie hatte im Dezember Aufsehen erregt, als sie erklärte, diskriminierende Begriffe auszulassen, wenn sie ihrer Tochter vorliest.

Maar dazu: „Manchmal geht mir die Political Correctness wirklich sehr viel zu weit. Auch wie Frau Schröder jetzt bei allen Märchen versucht, die zu ändern. Die Märchen haben eine tiefe symbolische Bedeutung, und die würde ich nicht ändern, indem ich jetzt plötzlich alles ändere.“

Grimms Märchen als „Erziehungsbuch“

Die Sache ist nur, dass wir etwa Grimms Märchen nur in einer zensierten Fassung kennen. Die Texte wurden von Auflage zu Auflage überarbeitet, teilweise „verniedlicht“ und mit christlicher Moral unterfüttert. Die Grimms reagierten damit auch auf Kritik, die Märchen seien nicht „kindgerecht“. Um dem zeitgemäßen Geschmack des vorwiegend bürgerlichen Publikums entgegenzukommen, wurden auch wichtige Details geändert. In ihrer Vorrede zu der Ausgabe von 1815 erwähnen sie explizit, es handle sich bei ihrer Sammlung von Märchen um ein „Erziehungsbuch“.

Gestrichen wurde zum Beispiel das Märchen „Wie Kinder Schlachtens miteinander gespieit haben“

Zeige den Märchen-Text

In einer Stadt, Franecker genannt, gelegen in Westfriesland, da ist es geschehen, daß junge Kinder, fünf- und sechsjährige, Mägdlein und Knaben, miteinander spielten. Und sie ordneten ein Büblein an, das solle der Metzger sein, ein anderes Büblein, das solle Koch sein, und ein drittes Büblein, das solle eine Sau sein. Ein Mägdlein, ordneten sie, solle Köchin sein, wieder ein anderes, das solle Unterköchin sein, und die Unterköchin solle in einem Geschirrlein das Blut von der Sau empfahen, daß man Würste könne machen.

Der Metzger geriet nun verabredetermaßen an das Büblein, das die Sau sollte sein, riß es nieder und schnitt ihm mit einem Messerlein die Gurgel auf, und die Unterköchin empfing das Blut in ihrem Geschirrlein. Ein Ratsherr, der von ungefähr vorübergeht, sieht dies Elend: er nimmt von Stund an den Metzger mit sich und führt ihn in des Obersten Haus, welcher sogleich den ganzen Rat versammeln ließ. Sie saßen all über diesen Handel und wußten nicht, wie sie ihm tun sollten, denn sie sahen wohl, daß es kindlicherweise geschehen war.

Einer unter ihnen, ein alter weiser Mann, gab den Rat, der oberste Richter solle einen schönen roten Apfel in eine Hand nehmen, in die andere einen rheinischen Gulden, solle das Kind zu sich rufen und beide Hände gleich gegen dasselbe ausstrecken: nehme es den Apfel, so soll’ es ledig erkannt werden, nehme es aber den Gulden, so solle man es töten.Dem wird gefolgt, das Kind aber ergreift den Apfel lachend, wird also aller Strafe ledig erkannt.

Einstmals hat ein Hausvater ein Schwein geschlachtet, das haben seine Kinder gesehen, als sie nun nachmittag miteinander spielen wollen, hat das eine Kind zum andern gesagt: “Du sollst das Schweinchen und ich der Metzger sein”; hat darauf ein bloß Messer genommen und es seinem Brüderchen in den Hals gestoßen.

Die Mutter, welche oben in der Stube saß und ihr jüngstes Kindlein in einem Zuber badete, hörte das Schreien ihres anderen Kindes, lief alsbald hinunter, und als sie sah, was vorgegangen, zog sie das Messer dem Kind aus dem Hals und stieß es im Zorn dem andern Kind, welches der Metzger gewesen, ins Herz.

Darauf lief sie alsbald nach der Stube und wollte sehen, was ihr Kind in dem Badezuber mache, aber es war unterdessen in dem Bad ertrunken; deswegen dann die Frau so voller Angst ward, daB sie in Verzweifelung geriet, sich von ihrem Gesinde nicht wollte trösten lassen, sondern sich selbst erhängte. Der Mann kam vom Felde, und als er dies alles gesehen, hat er sich so betrübt, daß er kurz darauf gestorben ist.

Und dann gabs keines mehr

Preußler und Lindgren stehen jedenfalls nicht am Anfang der aktuellen deutschen Bücherbereinigung. Joseph Conrads „Nigger von der Narzissus“ findet man nur noch im Antiquariat, Agatha Christies Krimi „Zehn kleine Negerlein“ wurde in „Und dann gabs keines mehr“ umgetauft.

Doch besonders bunte Blüten treibt die Political Correctness „selbstverständlich“ in den USA. Der Spiegel hat dazu bereits 2006 den Artikel „Was US-Schüler nicht lesen sollen“ [2] veröffentlicht. Hier Auszüge daraus:

Seit 25 Jahren schlagen Amerikas Autoren, Verleger, Buchhändler und Bibliothekare stets im September Literatur-Alarm und kämpfen mit einer „Woche der verbannten Bücher“ gegen die Zensur: Autoren lesen aus verbotenen Büchern, Bibliothekare machen mit knallgelben Polizei-Absprerrungen auf beanstandete Titel aufmerksam.

Da türmen sich Klassiker von Shakespeare, Hemingway, Virginia Wolf oder Joseph Conrad neben Madonnas „Sex“, der Bibel, Stephen King und dem „Guinnessbuch der Rekorde“. Ebenfalls auf den Index gehören für manche Kritiker internationale Bestseller wie „Der Herr der Ringe“, „Per Anhalter durch die Galaxis“ und „Garp und wie er die Welt sah“.

„Harry Potter“ ist böse

Der amerikanische Bibliotheksverband (ALA) unterscheidet zwischen Büchern, die „angefochten“ wurden, deren Verbannung also beantragt wurde, und solchen, die Schulen oder Bibliotheken dann tatsächlich hinauswerfen. Seit 1990 wurden demnach 8700 Bücher „verbannt“, darunter „Harry Potter” ebenso wie die Klassiker „Der Fänger im Roggen“ und „Die Farbe Lila“.

Rund 500 neue Anträge werden dem ALA jährlich gemeldet. Hauptopfer all dieser Beschwerden sind Schulen und Schulbibliotheken (70 Prozent) sowie öffentliche Bibliotheken (25 Prozent). Haupttäter sind mit zwei Dritteln aller Anträge die Eltern, gefolgt von Bibliotheksbenutzern und Special-Interest-Gruppen.

Sex, Drogen und Okkultismus

Hauptgründe für die Ablehnung eines Buchs sind die Darstellung von Sex, Homosexualität, Drogen oder Gewalt, der Gebrauch angeblich vulgärer oder rassisch diskrimierender Sprache. Hinzu kommen religiöse Inhalte oder gerade das Fehlen eines religiösen Weltbilds – oder auch schlicht die „Negation des Begriffs Familie“ und Okkultismus.

Auch „Fahrenheit 451“ wurde seit seinem Erscheinen 1953 mehrfach zensiert. Autor Ray Bradbury schildert darin eine Gesellschaft, die Bücher nicht liest, sondern verbrennt. Alles fängt damit an, dass verschiedene Interessengruppen einzelne Bücher beanstanden …

Werner Schuster