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Aira, César: Der Literaturkongress

Roman
Hardcover
112 Seiten
Erschienen 2012 bei Ullstein
Aus dem Spanischen von Klaus Laabs
Originalausgabe: „El Congreso de Literatura”, 1997

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

César ist Schriftsteller, doch die Zeiten sind schlecht. Wie gut, dass er auch ein genialischer Wissenschaftler ist. Erst kürzlich konnte er ein uraltes Rätsel lösen und einen wertvollen Piratenschatz heben. Reich geworden, verfolgt César sein eigentliches Ziel: die Erlangung der Weltherrschaft. Und welcher Ort wäre zur Umsetzung dieser Idee besser geeignet als ein Literaturkongress? (Pressetext)

Kurzkritik:

César Aira ist definitiv ein „kinky boy“. Ich kennen keinen Autor, der so aberwitzig, klug und kunstfertig zugleich schreibt und seine Kunst dabei gewissermaßen bloß zur Verfügung stellt.

Besprechung:

Aberwitzig

César Aira ist definitiv ein „kinky boy“. Ich kennen keinen Autor, der so aberwitzig, klug und kunstfertig zugleich schreibt und seine Kunst dabei gewissermaßen bloß zur Verfügung stellt.

Nehmen wir den „Literaturkongress“. Darin geht es einmal überhaupt nicht um einen Literaturkongress. D.h., es findet zwar einer statt und der Ich-Erzähler ist ein dazu eingeladener Schriftsteller. Aber der Roman fängt schon einmal damit an, dass eben dieser Schriftsteller (der auch noch César heißt) ein „altes Rätsel der Menschheit“ gelöst hat.

Piratenschatz!

Ein Pirat – behaupten die Césars – hat einen immensen Schatz im Meer versenkt und diesen mit einem Seil gesichtert, das seither aus dem Wasser geragt ist. Jahrhunderte hat niemand den Mechanismus durchschaut und ist so zu dem Piratenschatz gelangt. Dem Erzähler gelingt dies selbstverständlich. Er erklärt auch, wie. Es klingt einleuchtend. (Ich hab’s nicht verstanden. Das macht überhaupt nichts.)

Nun ist unser Erzähler zwar anerkannt, aber arm gewesen. Dieses Problem hat er nun gelöst. Er begibt sich an den Ort des Literaturkongresses, verbringt seine Tage jedoch am Hotelpool. Er wartet.

Weltherrschaft!

Er wartet darauf, dass sein Klon-Experiment funktioniert. Er ist nämlich auch Wissenschaftler und ist sich sicher, dass er an Intelligenz so ziemlich alle anderen überragt. Und was macht man in so einem Fall? – Man strebt natürlich die Weltherrschaft an.

Eine Idee wird weder durch Ausdehnung noch Vervielfachung (Klonierung) bereichert, sondern durch die Übertragung auf ein weiteres Gehirn. Was also tun? Die naheliegende Lösung bestand darin, einen höherstehenden Menschen zu klönen. aber es war nicht so leicht, einen auszuwählen.

Staatschefs, Konzernbosse und Generäle kommen nicht in Frage.

Denn er war alt genug, um zu wissen, dass die wahre Macht (…) bei einer ganz anderen Klasse von Leuten liegt. (…) Ihr zentrales Definitionsinstrument war die Hochkultur: Philosophie, Geschichte, Literatur, Klassiker.

Ein Genie klonen!

Das ist natürlich gleichermaßen falsch wie richtig. „César“ verwirft jedenfalls auch den Gedanken, auf einen großen Verbrecher zurückzugreifen, und entscheidet sich schließlich für eine Berühmtheit.

Ein Genie klonen! Das war der entscheidende Schritt. Von da an war es nicht mehr weit bis zur Weltherrschaft. (Unter anderem, weil die Hälfte des Weges schon zurückgelegt war.)

Fuentes!

Er wählt den weltberühmten mexikanischen Schriftsteller Carlos Fuentes für seinen Coup aus, holt sich von diesem mit Hilfe einer gentechnisch manipulierten Wespe eine Zelle und steckt sie in seinen Mini-Klonator, den er auf einem Berg versteckt.

Natürlich geht das Experiment schief, selbstverständlich löst „César“ damit eher den Untergang der Welt aus (ich sage nur: Riesenraupen), als dass er diese in Besitz nehmen würde, aber immerhin rettet er sie und uns. Doch darauf kommt‘s gar nicht an.

Höchst aktuellen Fragen!

Worauf kommt‘s dann an? – Schwer zu sagen. Der Verlag meint, dass der echte César Aira in diesem Buch „seine Rolle als Autor aufs Korn nimmt und sich der höchst aktuellen Frage nach Originalität und Kopie widmet.“ Das stimmt meiner Meinung nach schon, aber nur zum Teil.

Denn das Ganze besteht für mich hier in der Summe der LeserInnen-Beteiligung. Auf einer unteren Stufe treibt Aira Schabernack. Er nimmt ein paar Zutaten aus der Trivialliteratur und kombiniert sie gekonnt mit (Pseudo-)Wissenschaft.

Den Rest besorgen wir

Daraus wird aber nicht bloß der amüsant zu lesende Zeitvertreib eines Intellektuellen. Das verweist mittelbar auf wahrscheinlich mehr, als der Autor beabsichtigt hat. Aira reißt Themen wie Piraten(-schätze), Literaturbetrieb, Politik, Klonen, Wirtschaft, (Hoch-)Kultur etc. an und braucht sie nicht auszuführen. Er braucht bloß eine absurde Geschichte zu erzählen (und uns im Unklaren darüber zu belassen, ob seine Behauptungen stimmen) – den Rest besorgen wir.

Mehr oder weniger verunsichert schaffen wir uns so ein (mit Neuem, Überraschenden angereichertes) Abbild unserer Welt – und haben doch bloß einen ziemlich kurzen, vergnüglichen Roman gelesen. Go for it.

Von Werner Schuster

Infos:

César Aira, geboren 1949 in Coronel Pringles, hat neben Erzählungen, Essays und Dramen um die dreißig Romane veröffentlicht und gilt als einer der wichtigsten Autoren Argentiniens. César Aira lebt heute in Buenos Aires. Im Herbst 2012 ist der Stipendiat des DAAD in Berlin.

Mehr über César Aira [5] bei Wikipedia.