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Serbes, Emrah: Behzat C. 1


jede berührung hinterlässt ihre spur

Krimi
Broschiert
320 Seiten
Erschienen 2012 bei binooki
Aus dem Türkischen von Oliver Kontny
Originalausgabe: „her temas iz birakir”, 2006

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]
Inhalt:

Behzat Ç., Hauptkommissar bei der Mordkommission in Ankara, ist ein mürrischer Kettenraucher, der gern flucht und lieber zuschlägt als diskutiert. In seinem Job als gilt er als Experte für Straftaten gegen das Leben. Nach Dienstschluss hört er leidenschaftlich gern Polizeifunk und interessiert sich auch sonst mehr für Verbrechen als für seine Familie. Und so scheitert zuerst seine Ehe und dann die Beziehung zu seiner Tochter. Als in der Nacht zu Neujahr eine junge Frau von der Terrasse einer Bar stürzt, glaubt er nicht an Selbstmord. Der Fall führt ihn und seine skurrilen Kollegen quer durch Ankara und in die dunklen Machenschaften des Geheimdienstes. (Pressetext)

Kurzkritik:

Kotzbrocken. Ich mag diesen Kotzbrocken von einem Bullen. Und ich weiß nicht, wie Emrah Serbes das geschafft hat.

Besprechung:

I love Behzat Ç.

Kotzbrocken. Ich mag diesen Kotzbrocken. Und ich weiß nicht, wie Emrah Serbes das geschafft hat.

Behzat Ç. ist einer vom alten Schlag. Und das in mindestens zweierlei Hinsicht. Zum einen sitzt ihm bei Verhören die Hand locker. Nicht nur deswegen scheint er aus einer Zeit zu stammen, als „political correctness“ noch nicht einmal in Ansätzen erfunden gewesen ist. (Man könnte ihn auch als undiplomatisch bezeichnen, aber dabei klänge „diplomatisch“ an, und das ist er zu 100 Prozent nicht.)

Bulle

Sagen wir so: Wäre er kein so überaus fähiger Polizist, man hätte ihn schon längst entlassen. (Und „Polizist“ passt auch nicht zu ihm; einigen wir uns auf „Bulle“.) Er ist mürrisch und ungehobelt, er nimmt auf nichts (etwa seine Karriere, seinen Chef) und niemanden (etwa seine MitarbeiterInnen) Rücksicht. Auf sich schon gar nicht.

Man kann nicht behaupten, dass Behzat Ç. seinen Beruf liebt. Aber er lebt ihn. In seiner Freizeit hört er Polizeifunk. Logisch, dass seine Frau ihn verlassen hat. Und seine Tochter hat sich auch von ihm zurückgezogen.

Knochenarbeit

Er löst seine Fälle nicht mit Intuition, sondern mit Knochenarbeit. Er analysiert nicht (denn das würde Systematik implizieren), er schaut sich Schauplätze, Opfer, Zeugen, Verdächtige immer und immer wieder an, bis er einen von etlichen fehlenden Puzzleteilen findet. Dann sucht er den nächsten.

In „jede berührung hinterlässt ihre spur“ hat er es mit dem vermeintlichen Selbstmord einer jungen Frau zu tun. Dass der Geheimdienst am Tatort auftaucht, bestätigt ihn in seiner Vermutung, dass es keiner war.

War doch klar

Nun würde einer, der Karriere machen will, die Sache auf sich beruhen und den Geheimdienst die Arbeit machen lassen. Einer, der schon längst Karriere gemacht hätte, würde auch mit dem Ermitteln aufhören, wenn man ihm den Fall von höchster Stelle aus entzieht.

Nicht so Behzat Ç., war doch klar. Und er löst den komplizierten Fall; auch das war klar.

Tragisch

Zwischendurch versucht er, seine Tochter – nunja, nicht wieder für sich einzunehmen, aber doch den Kontakt mit ihr aufrecht zu erhalten. Blöd nur, dass ihm dauernd seine Lebensaufgabe dazwischen kommt. Tragisch, wie das endet.

Authentisch

Aber es ist nicht dieser eine mitmenschliche Zug, durch den Behzat Ç. mich für sich eingenommen hat. Und ich muss gestehen, ich weiß nicht, weshalb ich diesen Kotzbrocken mag. Vielleicht weil er authentisch ist? Weil er anderen niemals etwas vormacht? – Könnte er das überhaupt? Ich glaube nicht.

Von Werner Schuster

Infos:

Emrah Serbes, 1981 in Yalova geboren, studierte Theaterwissenschaften in Ankara und schrieb Kritiken für das türkische Feuilleton. 2006 wurden unter dem Titel „Fröhliche Wissenschaftler oder die Untreue zur Metapher“ seine Gespräche mit bekannten Geisteswissenschaftlern veröffentlicht. Der erste Roman des Hauptkommissars Behzat Ç. „jede berührung hinterlässt eine spur“ erschien 2006, der zweite Behzat Ç. „verschütt gegangen“ folgte 2008. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte Serbes erstmals seine Kurzgeschichten „Erken Kaybedenler“. Die beiden Behzat-Ç.-Romane sind Grundlage für die gleichnamige, 2010 erstmals ausgestrahlte TV-Serie, die sich rasend schnell zu einer der beliebtesten Sendungen der Türkei entwickelte. Das Drehbuch zur Serie schreibt Serbes gemeinsam mit Ercan Mehmet Erdem, wofür beide 2010 den türkischen Fernsehpreis für das beste Drehbuch erhielten. 2011 wurde das zweite Abenteuer von Behzat Ç. „verschütt gegangen“ mit dem Titel „Seni Kalbime Gömdüm“ für das Kino verfilmt und feierte im Oktober 2011 seine Premiere beim 48. Golden Orange Filmfestival in Antalya; zeitgleich startete der Film in den deutschen Kinos. Mit seiner Interpretation des Hauptkommissars Behzat Ç. gewann der Schauspieler Erdal Beşikçioğlu den Preis als bester männlicher Hauptdarsteller.