- Literaturmagazin Eselsohren –  - https://www.eselsohren.at -

Beethoven, langweilig

Meinungs-Esel
Endlich wieder mal was Neues von „Werners Kulturstammtisch“: Heute geht‘s um die Kunst des Übersetzens und um Borges, (musikalische) „fixe“ Werke, die im wahren Sinn des Wortes sittsame Hochkultur und Mozart-Musicals.

Sobald ich bemerke, dass ich abgehoben oder „originell“ zu schreiben beginne, nehme ich Borges‘ „Das Handwerk des Dichters“ zur Hand, um meine Rezensionen gewissermaßen zu erden.

Auch einem beherzten Kritiker wie mir tut es einfach gut, Sätze wie folgend zu lesen:

Beim Blättern in Büchern über Ästhetik hatte ich immer das unbehagliche Gefühl, ich läse Werke von Astronomen, die niemals die Sterne betrachtet haben. Ich meine, sie haben über Dichtung geschrieben, als sei Dichtung eine Aufgabe und nicht das, was sie wirklich ist: eine Leidenschaft und eine Freude.

Seltsames und Schönes

Gestern am Morgen las ich wieder die vierte von Borges‘ sechs Havard-Vorlesungen in den Jahren 1967/68, „Wortmusik und Übersetzung“. Ich tue mir schwer, den Vortrag wiederzugeben, besonders die Erfahrung und die Weisheit, die hinter Borges‘ simpel anmutenden Aussagen stehen (– auch wenn er selbst feststellte, „den größten Teil meines Lebens habe ich auf die Literatur verwendet, und ich kann Ihnen nur Zweifel anbieten“).

In „Wortmusik und Übersetzung“ dachte Borges über den „weitverbreiteten Aberglauben“ nach, dass „jede Übersetzung Verrat am unerreichbaren Original übt“. – Er sagte sinngemäß, dass uns viele Übersetzungen besser gefallen würden, wenn wir nicht wüssten, dass sie Übersetzungen sind. Auf der anderen Seite brächten, so Borges, wörtliche Übersetzungen auch „Seltsames und Schönes“ hervor.

Wenn Gott schreibt

Borges meinte, dass das wörtliche Übersetzen mit den Bibelübersetzungen begonnen habe, da man der Ansicht gewesen sei, die Bibel wäre von Gott geschrieben, und „wenn Gott sich zur Literatur herablässt, dann muss jedes Wort, jedes Zeichen (…) wohlerwogen sein“.

Ich maße mir an, diese Gedanken mit meinen eigenen zu ergänzen. Ich war eine Zeit lang Musikkritiker und fand den Großteil der klassischen Konzerte langweilig. Musiker spielen das nach, was ein Komponist vor hunderten von Jahren – wahrscheinlich – so aufgeschrieben hat. Diese Werktreue begann nicht erst mit den so genannten Originalklang-Aposteln zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sondern die Idee eines „fixen Werkes“ hat sich schon gegen Ende der Wiener Klassik herausgebildet, also etwa zwischen 1780 und 1830. Bis dahin wurden vor allem zeitgemäße Bearbeitungen gespielt (also Bach à la Mendelssohn Bartholdy usw.).

Jazz von Beethoven

Und zumindest für Solisten war es lange (d.i. bis in die Zeit Ludwig van Beethovens) üblich, bei den Konzertkadenzen oder auch über ein Thema live zu improvisieren. Salopp gesagt: das war Jazz.

Ich habe auch Bilder von historischen Aufführungen (Musik oder Theater) im Kopf, in die man anscheinend vor allem ging, um sich mit anderen aus dem Publikum zu unterhalten, und dann erst der künstlerischen Darbietungen wegen. Nur wenn die wirklich gut waren, hörte oder sah man zu.

Volksschulartiges Still-Sitzen

Ich würde nicht so weit gehen, dies den jetzt lebenden Künstlern zu wünschen (am Hochkultur-Sektor, anderswo verhält sich das Publikum meistens ohnedies wie in der „guten alten Zeit“), ich finde dies jedoch auf jeden Fall unverkrampfter als dieses volksschulartige Still-Sitzen in Konzertsälen und Theatern.

Und um jetzt endlich auf Borges zurückzukommen: Ich denke, die Geringschätzung des Übersetzens mag vielleicht zeitlich mit dem Aufkommen der Idee eine fixen Werkes zusammenfallen (oder sich verstärkt haben). Plötzlich war nur mehr wichtig, was ein Genie – angeblich – geschaffen hatte. Hat Mozart (Homer) tatsächlich jede seiner Noten (Zeilen) ganz bewusst gesetzt? Und kam dies nicht einer Degradierung der dann nicht einmal mehr nachschöpfenden, sondern nur noch nachspielenden (möglichst wörtlich übersetzenden) Künstler gleich?

Borges selbst „träumte“ am Ende seiner Vorlesung:

Ich vermute, in einer künftigen Zeit (…) wird den Menschen an Schönheit liegen, nicht an den Umständen von Schönheit. Dann werden wir Übersetzungen haben, die nicht nur so gut, sondern so berühmt sind wie Chapmans Homer, wie Urquharts Rabelais, wie Popes Odyssee.

Mozarts Musical

Und Musiker, die z.B. Mozarts „Hochzeit des Figaro“ so aufführen, wie es Mozart selbst heute vielleicht tun würde: als Musical. Ich habe einmal so eine Aufführung erlebt und mit mir waren auch viele, vor allem junge Leute im Publikum begeistert.

Es ging damals vielleicht nicht so pseudo-andächtig zu wie in der Staatsoper (wo man in der Regel Kunstfertigkeiten bewundert), dafür aber viel herzlicher: Ich glaube, man liebte die (Schönheit der) Kunst.

Werner Schuster


„Lesen lernen mit Borges“ [1] (Zur Eselsohren-Besprechung von Borges‘ „Das Handwerk des Dichters“)