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Hewicker, Christine: Die Aussteigerin

Autobiografie einer ehemaligen Rechtsextremistin

Broschiert
220 Seiten
Erschienen 2012 bei Acabus (2., überarbeitete Ausgabe)

Kurzkritik [1]Ausführliche Besprechung [2]Infos [3]
Inhalt:

Mit 14 Jahren gerät Christine in die Fänge nationalsozialistischer Kreise. Zuerst macht sie bei unpolitischen Freizeitaktivitäten mit, dann plötzlich ist sie mittendrin in der rechtsextremen Szene, die sich den bewaffneten Kampf gegen die Bundesrepublik zum Ziel gesetzt hat. Sie tritt der NPD bei, verteilt verfassungsfeindliches Propagandamaterial und nimmt an rechtsradikalen Aktionen teil bis sie im Alter von 23 Jahren nach einem bewaffneten Banküberfall festgenommen wird. Sechs Jahre Gefängnis, lautet das Urteil. Während ihrer Haftzeit gelingt Christine der seelische Kraftakt, über vertraute Denkmuster hinweg zu kommen und sich selbst eine neue Identität zu schaffen. (Pressetext)

Kurzkritik:

Dieses Buch wurde zwar schon vor über zehn Jahren geschrieben, Christine Hewickers „Autobiografie einer ehemaligen Rechtsextremistin“ hat dennoch nichts von ihrer Gültigkeit verloren; besonders nicht angesichts der Neonazi-Mordserie zwischen 2000 und 2006.

Ihre Buch gibt auch über die Neonazi-Thematik hinaus zu denken, zum Beispiel: Wie geht man (Eltern, Bildungseinrichtungen, Kommunen, Staat) mit Jugendlichen um, die auf eine schiefe Bahn abzurutschen drohen?

Werner gibt  ★★★★☆  (4 von 5 Eselsohren)
 

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Besprechung:

Wie du ein Neonazi wirst

Dieses Buch wurde zwar schon vor über zehn Jahren geschrieben, Christine Hewickers „Autobiografie einer ehemaligen Rechtsextremistin“ hat dennoch nichts von ihrer Gültigkeit verloren; besonders nicht angesichts der Neonazi-Mordserie [8] zwischen 2000 und 2006.
[three-fifths]Sie berichtet kurz über ihre Verhaftung, bevor sie chronologisch vorgeht und mit ihrer Kindheit beginnt. Die verbrachte sie in einer deutschen Kleinstadt, und es hätte schon vor zehn Jahren zu denken geben können, dass das „attraktivste“ Freizeitangebot dort von den Neonazis gekommen ist.

Ihr Ventil

Herwicker ist keine unpolitischer Mensch und – wie man später sehen wird – hätte aus ihr vielleicht auch eine ganz normal mit den Zuständen unzufriedene Jugendliche werden können. Ihre pubertäre Suche nach einem Ventil wurde jedenfalls von einer einschlägigen Organisation für ihre Zwecke benutzt.

Es ist schwer zu beantworten, ob Herwicker grundsätzlich gewaltbereit war oder ob die späteren Umstände dazu beigetragen haben, dass sie es wurde. Ich tendiere zu Zweiterem. Denn natürlich stößt man – wenn auch nicht überall – mit einer bald rechtsextremen Gesinnung auf Widerstand. Und in einem gewissen Alter kann dies nur zur Verhärtung der Fronten führen.

Banküberfall

Herwicker bricht ihre Lehre ab und widmet sich voll und ganz den Zielen ihrer Gruppe. Bald taucht sie mit ihrem – gleichgesinnten – Mann unter, schließlich überfällt sie eine Bank und wird – wir wissen es schon – verhaftet.

Zu diesem Zeitpunkt ist sie aber schon längst nicht mehr die überzeugte Neonazi-Frau. Doch das glaubt ihr niemand so wirklich, auch wenn sich ihr Oberstaatsanwalt und ihr Richter sehr um sie bemühen (– was sie „natürlich“ nicht annehmen kann).

Im Gefängnis

Dennoch macht Herwicker im Gefängnis heimlich eine Wandlung durch: Nach außen hin gibt sie sich kämpferisch, während sie sich immer mehr eingestehen muss, dass die Ziele der Neonazis nur zu einem kleinen Teil ihre eigenen waren. Würde man nichts von ihrer Vergangenheit wissen, könnte man sie zum Ende ihrer Haft als politisch eher links ansehen.

Dann beginnt für sie das Eingewöhnen ins bürgerliche Leben. Das ist für jemanden mit ihrer Vergangenheit ebenfalls nicht leicht, doch auch das schafft sie. – Heute ist sie ein sozial engagierter, kritischer Mensch.

Gibt zu denken

Ihre Autobiografie gibt auch über die Neonazi-Thematik hinaus zu denken, zum Beispiel: Wie geht man (Eltern, Bildungseinrichtungen, Kommunen, Staat) mit Jugendlichen um, die auf eine schiefe Bahn abzurutschen drohen?

Und wer außerdem wissen will, wie es ist, im Gefängnis zu sitzen, der erfährt das von Herwicker auch.

Von Werner Schuster

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Infos:

Christine Hewicker wurde 1959 in Lüneburg geboren und geriet in den 70ern mit gerade einmal 14 Jahren in die Fänge westdeutscher neonazistischer Kreise. Es folgten Verurteilungen wegen Volksverhetzung und Sachbeschädigung. Christine Hewicker rutschte immer mehr in den Rechtsextremismus ab, der den bewaffneten Kampf gegen die BRD zum Ziel hatte. Dann kam es zur Eskalation. Von Frankreich aus wurde eine Bank überfallen. Bei einem zweiten Versuch, dieselbe Bank auszurauben, kam es zum Schusswechsel mit der Polizei, bei dem zwei Terroristen ums Leben kamen und ein Polizist lebensgefährlich verletzt wurde. Nachdem Hewicker – 23-jährig – 1981 zusammen mit anderen von einer Antiterroreinheit in Belgien gefasst und nach Deutschland ausgeliefert wurde, folgten strenge Isolierhaft, Prozess und sechsjährige Gefängnisstrafe. In den Jahren danach machte die Autorin einen grundlegenden Gesinnungswandel durch und distanzierte sich komplett vom Rechtsextremismus.

Mehr über Neonazis [9] bei Wikipedia.