23/09/2012von 1.436 Views – 2 Kommentare

„Sonnenstrahlen“ von Veronika A. Grager

 
Start der Serie: Eselsohren exklusiv. – Neue Texte von bekannten und unbekannten AutorInnen.

Den Beginn macht Veronika A. Grager mit einem Kurz-Krimi.


Sonnenstrahlen kitzelten meine geschlossenen Augen. Ich drehte mich wohlig im warmen Bett zur anderen Seite. Wollte noch ein wenig dösen. Doch ich war schon zu wach. Ich streckte mich genüsslich und schlug die Decke zurück.

Ich liebte diese Morgenstunden. Wenn Kimmie, meine Freundin, schon zur Arbeit gefahren war und die Wohnung mir alleine gehörte.

Wie immer, wenn ich allein zu Hause war, pinkelte ich im Stehen und freute mich über jedes Tröpfchen, das neben die Muschel fiel. Wenn Kimmie da ist, bin ich Sitzpinkler. Sonst spielt sie wieder Zickenkrieg. Sie hat sogar schon mal Mehl rund ums Klo geschüttet, nur um mir zu demonstrieren, was man im Stehen anrichtet. Unglaublich, diese Frau.

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Ich trabte in die Küche. Stellte Kaffee auf, das Radio an und warf schwungvoll zwei Brötchen in den Toaster.

Plötzlich durchbrach das hektische Geklingel des Telefons meine morgendliche Idylle.

„Ja?“ Ich meldete mich nie mit Namen. Dann konnte kein Telefonverkaufsfritze mir irgendetwas andrehen.

„Morgen Jan. Was ist mit Kim?“ Kimmies Chefin Marlies.

„Hi Marlies. Was soll mit ihr sein?“

„Sie ist heute nicht zur Arbeit erschienen.“

„Na und? Was geht das mich an?“

„Jan, was ist los mit ihr?“

„Keinen Tau. Kim hat mich verlassen. Woher soll ich wissen, was sie treibt?“

Daran wollte ich vor dem Frühstück unter keinen Umständen denken.

„Ihr habt euch getrennt?“

„Nicht wir uns. Kim ist weg.“

„Hat sie was gesagt, wohin sie will?“

„Natürlich nicht. Würdest du deinem Ex erzählen, wohin du mit dem Neuen gehst?“

„Tut mir leid, Jan. Sollte sich Kim melden, sag ihr bitte, sie soll mich anrufen. Es ist dringend.“

Ich nuschelte eine unverständliche Antwort und drückte das Gespräch weg. Was da wohl schon dringend sein konnte! Marlies führte einen Schönheitssalon oder so was Ähnliches. Jede Menge hippe Tussis ließen sich dort regelmäßig Beine und Oberlippe enthaaren, Gurkenscheiben mit Honig ins Gesicht klatschen und Strähnchen ins Haar färben. Trotz Wirtschaftskrise war der Salon mit den drei Mädels, die mit Marlies dort werkten, immer auf Wochen ausgebucht. Soviel zu den dringenden Bedürfnissen des Lebens.

Ich kehrte zurück zu meinen mittlerweile kalten Toasts. Nur mehr das halbe Vergnügen! Ich verdrängte alle Gedanken an Marlies und Kim und griff mir ein Buch vom Bord, wo normalerweise die Tassen für den Kaffee ihren Platz hatten. Doch die versammelten sich derzeit in der Spüle, wo sie hoffnungsvoll darauf warteten, dass ich sie irgendwann reinigte. Oder Kimmie zurückkam und sie wieder auf Hochglanz brachte.

Sie fragen sich, wieso ein junger Mann wie ich an einem ganz normalen Arbeitstag erst um halb elf aufstehen und dann noch gemütlich frühstücken kann? Ganz einfach. Ich habe meinen Job geschmissen. In der Bude wurde ich ohnehin nur gemobbt. Ich hatte in einem kleinen Regionalbüro einer Versicherung die Kunden am Telefon betreut. Das hört sich nicht nach einer besonders verantwortungsvollen Tätigkeit an. Aber dazu musste man über alle möglichen und unmöglichen Arten von Schadensupergaus Bescheid wissen. Und wie man die Zahlung an die Versicherten möglichst abwimmeln konnte. Oder, wenn sie sich nicht vermeiden ließen, sie zumindest um Monate bis Jahre verschleppen. Auf diese Weise sparte unser Unternehmen jede Menge Kohle, das in der Zeit für uns arbeitete. Im Abwimmeln von Ansprüchen und Verschleppen von Auszahlungen war ich einsame Spitze. Was mich wirklich nervte, war der Arbeitsbeginn Punkt acht Uhr. Ich bin nun mal kein Morgenmensch. Klar habe ich öfter mal verschlafen. Ja, es ist schon richtig, dass ich gelegentlich erst um zehn auftauchte. Na und? In der verbleibenden Zeit habe ich meiner Versicherung wesentlich mehr Geld eingebracht als alle anderen Mitarbeiter dieser Filiale zusammen. Zum Dank dafür haben mich die Arschlöcher auf die Straße gesetzt.

Ich hatte es nicht eilig, einen neuen Job zu finden. Erst mal wollte ich meine Stütze abfeiern. Wozu zahlte ich denn jahrelang Steuern? Das musste man ausnützen. Genauso wie die zwei Wochen Krankenstand, die jedem Arbeitnehmer pro Jahr zustehen. Pech, wenn man dann außerhalb der Zusatzferien krank wurde. Das haute den Versicherern glatt ihre Statistik zusammen!

Kimmie hatte Verständnis, dass ich mich erst von den Strapazen des Versicherungsdings erholen musste. Immerhin verdiente sie mit ihren gelegentlichen Überstunden und den Kundinnen, die sie schwarz auf Vorderfrau brachte, jede Menge Kohle. Weniger Verständnis brachte sie dafür auf, dass ich in meiner Rehabilitationszeit nicht die Wohnung putzte, Einkäufe erledigte und dringend notwenige Reparaturen durchführte. Als ob man sich dabei erholen könnte!

Eines Tages stellte sie mir ein Ultimatum: Entweder ich suchte mir schleunigst einen Job oder sie würde mich verlassen.

Ich habe mich ehrlich bemüht. Aber Sie wissen ja, mittlerweile haben wir die Wirtschaftskrise. Die habe ich ganz sicher nicht verursacht! Es gab keine Beschäftigung. Nicht einmal zu einem Schandlohn. Doch ich schrieb Bewerbung auf Bewerbung. Dass ich sie nicht abschickte, war unerheblich. Auf die, die ich früher versandt hatte, waren auch in den seltensten Fällen Antworten gekommen. Und bei den zwei Firmen, wo ich mich vorstellen sollte, waren immer schon alle Jobs besetzt, wenn ich gegen Mittag dort aufkreuzte.

Kimmie verschärfte die Gangart. Wenn ich schon keiner Arbeit nachging, so erwartete sie von mir, dass die Wohnung picobello war, die Einkäufe erledigt, und ein warmes Essen auf dem Tisch stand, wenn sie nach Hause kam. Ich engagierte also eine Putzfrau, holte am Abend Essen vom thailändischen Restaurant um die Ecke und gab es sogar aus den Plastikschüsseln auf Teller. Das Geld dafür musste ich mir natürlich von Kimmie leihen. Da sie es ablehnte, meine Faulheit weiter zu unterstützen, wie sie das formulierte, nahm ich es heimlich aus ihrer Spardose in der Küche. Als sie draufkam, war sie fuchsteufelswild. Ich erklärte ihr, dass ich alles zurückzahlen würde, sobald ich wieder Arbeit hätte. Doch Kimmie hörte mir gar nicht zu. Seit diesem Abend hatten wir keinen Sex mehr miteinander. Ihr Problem.

Im Haus gegenüber wohnte eine knackige Oberschülerin, die ich schon öfter mal vom Fenster aus beobachtet hatte. Gute Figur, langes dunkles Haar, zart, mit den Rundungen an den richtigen Stellen. Erst hatte ich sie verstohlen von hinter der Gardine beobachtet, wenn sie sich auszog. Dann merkte ich, dass sie wusste, wann ich sie betrachtete. Daraufhin zog ich die Stores zur Seite und zeigte ihr, welche Wirkung es auf mich hatte, wenn sie ihre Brüste streichelte.

Am nächsten Tag stand sie nach der Schule vor meiner Tür. Wir redeten nicht viel. Die Kleider fielen vom Vorraum bis ins Schlafzimmer. Nach ein paar Wochen fragte sie mich, ob sie eine Freundin mitbringen könnte. Von mir aus die ganze Klasse! Ich nickte nur. Es folgten sehr erfüllte Tage, Wochen, Monate. Die Mädels hatten echt was drauf. Sie wussten meine bedingungslose Zärtlichkeit zu schätzen. Belohnten sie mit ausdauerndem Sex, waren anschmiegsam und anspruchslos. Natürlich hatte ich jetzt noch weniger Zeit, Bewerbungen zu schreiben, Hausputz zu betreiben und andere absonderliche Wünsche Kimmis zu erfüllen.

Kimmie veränderte sich. Sie wurde mürrisch. Gab einsilbige Antworten. Ging früh zu Bett und drehte mir den Rücken zu. Tat, als ob sie schliefe, wenn ich unter die Decke kroch. Als hätte ich noch Kraft für irgendwas gehabt, nach den zärtlichen Nachmittagsstunden.

Der nächste Krach war programmiert. Kimmie fand ein langes dunkles Haar auf ihrem Kissen.

„Du Scheißkerl, was treibst du, während ich arbeite“, kreischte sie und schlug mit geballten Fäusten auf mich ein.

„Schatz beruhige dich. Die Putzfrau war da. Wahrscheinlich ist das Haar von ihr.“

„Ach ja? Und was hat sie getan? Geputzt nämlich nicht. Die Küche ist voll mit schmutzigem Geschirr, das Bad starrt vor Dreck, der Schmutzwäschekorb ist so voll, dass der Deckel nicht mehr aufliegt. Und überhaupt. Wovon willst du die denn bezahlen?“

„Ich gebe Nachhilfestunden.“

Die Idee war mir eben gekommen. Falls irgendein aufmerksamer Hausbewohner Kimmie stecken sollte, dass bei mir junge Mädchen ein- und ausgingen.

„Ach ja? In ich-scheiß-mich-nix oder die-faulste-Sau?“

Eine Auseinandersetzung mit Kimmie zerrte an den Nerven. Die Frau war immer so unsachlich. Doch diesmal ging sie eindeutig zu weit. Sie rannte ins Bad und packte ihre Tiegel und Tuben in einen Beutel. Stürmte an mir vorbei ins Schlafzimmer, riss ihre Kleider aus dem Schrank und häufte sie auf das Bett. Schlug alles in ihre Decke ein und öffnete das Fenster. Warf den ganzen Packen runter auf den Gehsteig. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es da unten aussah. Wir wohnen im zweiten Stock.

Kimmie sauste weiter wie eine Furie durch die Wohnung. Raste die Treppe hinunter und schleppte ihre aus dem Fenster geworfenen Kleider ins Auto. Packte die gefüllte Reisetasche und etliche Plastiktüten obenauf.

Ich stand hilflos dabei und hatte keine Ahnung, wie ich sie beruhigen sollte.

„Kimmie, findest du nicht, dass du überreagierst?“

Sie warf mir einen hasserfüllten Blick zu.

„Ich habe mir das alles schon viel zu lange gefallen lassen. Jetzt ist Schluss mit lustig. Ich ziehe zu Bernd.“

Wer war Bernd? Kimmie hatte wohl auch ihre Geheimnisse.

„Deine Miete kannst du dir jetzt selbst berappen. Und das Essen. Und die Mietkaution, die ich ausgelegt habe, will ich auch zurück. Meine Kontonummer kennst du ja.“

Damit wollte sie an mir vorbei. Ich packte Kimmies Arm.

„Kimmie! Krieg dich wieder ein! Du weißt doch, dass ich dich liebe.“

Sie lachte, bis ihr die Tränen über die Backen liefen. Das kränkte mich, wirklich. Ich hatte ihr nie einen Grund gegeben, an meiner Liebe zu zweifeln. Ich zog sie in meine Arme.

„Lass mich los!“

Ihr Gesicht, dicht vor meinem, wechselte von Lachen zu ängstlicher Sorge.

Ich drückte sie noch fester an mich. „Sag, dass du mich liebst“, verlangte ich von ihr. Sie schüttelte den Kopf. Doch in ihren Augen glomm ein Hauch von Panik auf. Ich hatte sie zwischen mir und der Wand des Vorzimmers eingeklemmt. Mit beiden Händen umfasste ich ihr Gesicht.

„Kimmie, es ist ganz einfach. Du sagst nur ich liebe dich. Dann lass ich dich los.“

Kimmie würgte und schwieg. Ich gebe zu, das Sprechen wäre ihr schwergefallen. Meine Finger lagen nicht mehr auf ihrem Gesicht. Sie drückten ihre Kehle zu. Solange, bis sie wie ein nasser Sack zu Boden glitt.

Ach Kimmie. Was sollte ich denn jetzt tun? Mit einer Leiche in der Wohnung!

Immerhin hatte sie schon alle ihre Sachen gepackt und Im Wagen verstaut. Ich wartete, bis sich die Straßen leerten und die Menschen schliefen. Dann packte ich Kimmie in ihr Auto. Fuhr mit ihr zum Fluss runter. Dort platzierte ich sie hinter dem Steuer und drückte ihren Fuß aufs Gaspedal. Das Auto machte einen großen Satz, ich schob nach und Kimmie versank samt ihrem Zeug langsam in den Fluten.

An all das hatte mich Marlies’ Anruf nun erinnert. Der Appetit auf Frühstück war mir gründlich vergangen. Danke Marlies!

Doch in drei Stunden würden die Mädels anrücken. Sie würden mich ganz schnell auf andere Gedanken bringen. Sonnenstrahlen in der Finsternis.

© Veronika A. Grager

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Mehr über die Autorin

www.grager.at

Bei den Eselsohren besprochen: „Nanobots – gefährliche Teilchen“

Demnächst erscheint ihr Thriller „Gnadenlos“ bei Resistenz.

Inhalt: In der Hinterbrühl wird in einem Haus eine männliche Leiche gefunden. Bei der Besichtigung des Tatortes treten seltsame Dinge zutage. Die lassen eigentlich nur einen Schluss zu: Dieser Mann hat zumindest zwei Mädchen in den letzten zehn Jahren entführt! Die Polizei steht vor einer Menge Rätsel. Wer waren die Mädchen? Leben sie noch? Haben sie ihren Peiniger getötet? Hat er die Filme, die er mit den Kindern gedreht hat, an einen Kinderpornoring verkauft? Selbst als die Kripo eines der traumatisierten Opfer, Carmen Illes, mittlerweile großjährig, findet, ergeben sich durch die Vernehmung eher noch mehr Fragen als Antworten. Hat sie Florian Müller getötet? Und wo ist Lilo Breitenbach, das letzte Opfer, gerade mal zehn Jahre alt, abgeblieben? Was ist in dem Mordhaus wirklich geschehen?

Leseprobe (PDF) – Hörprobe (auf Soundcloud)

Zu bestellen bei Amazon.

Biografie

Porträt Veronika GragerGeboren in Wien, Matura Realgymnasium Neulandschule. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Wien, danach wohnte ich in Baden bei Wien, Mayerling, Berndorf, Mödling.

Beruflicher Werdegang: Chemische Analytikerin, EDV, langjährige Assistentin der Geschäftsleitung, Betriebsratsvorsitzende, 7 Jahre im Aufsichtsrat der österreichischen Tochter eines amerikanischen Konzerns. In meinen vielfältigen und interessanten Jobs erhielt ich Einblick in recht unterschiedliche Lebenswelten. Als Betriebsrat lernte ich zudem viele Facetten der zutiefst menschlichen Gefühlswelt kennen, die ich aus eigener Erfahrung noch nicht kannte. Von den Problemen unheilbar kranker Partner und Kinder oder behandlungsresistenter Alkoholiker in der Familie. Und dem Versagen von Institutionen wie Krankenkasse und Exekutive, die Betroffene oft völlig allein mit ihren Problemen und Ängsten lässt. Schicksale von Immigranten, von der nicht verlängerten Arbeitsbewilligung bis zur Abschiebung der Partner. Sowie die große Angst von Kollegen, die freigesetzt wurden und befürchten mussten, keine Anstellung mehr zu finden, sei es weil sie nicht genug qualifiziert waren oder überqualifiziert, oder ganz einfach zu alt für einen neuen Job, jedoch zu jung für den Ruhestand. Das ist für einen Schriftsteller ein unschätzbarer Erfahrungsschatz. Denn sehr oft erweist sich das Leben selbst als wesentlich grausamer als die wildesten Fantasien.

Mit dem Schreiben begonnen habe ich mit dreizehn Jahren. Mit seiner unerwünschten und vernichtenden Kritik hat mein Vater meine schriftstellerischen Ambitionen auf viele Jahre abgewürgt. Mitte zwanzig begann ich wieder mit Gedichten und Kurzgeschichten. Doch für Romane fehlte einfach die Zeit. Es entstanden nur einige Projekte und ein paar Notizen dazu. Die letzten neun Jahre im Beruf gab ich eine periodische Firmenzeitung heraus. Seit 2006 habe ich die wichtigsten schriftstellerischen Fertigkeiten erlernt, bzw. intensiviert und widme ich mich nun mit ganzer Kraft dem Schreiben. Ich habe einige Romane fertiggestellt, weitere sind in Arbeit. Dazwischen schreibe ich immer wieder mal ein paar Kurzgeschichten.

Ich lebe mit meinem Mann und unseren Tieren in einem kleinen Dorf in der Nähe von Hernstein in Niederösterreich.

2 Kommentare zu "„Sonnenstrahlen“ von Veronika A. Grager"

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  1. kunststoff tür | 13/11/2019
  1. oldwexi sagt:

    Einfach köstlich und überraschend!

    Gerald

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