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Sommer, Tobias: Dritte Haut

Kurzkritik [1]Ihre Meinung [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover

Inhalt:

Die Zeit vergessen, ein komischer Ausdruck für das, was ich getan habe. Warum glaubt das Jugendamt, ich könne kein Hotel führen, nur weil die Ärzte behaupten, ich sei ein komplexer Fall? Warum glauben meine Betreuer, ich würde den Überblick verlieren, nur weil ich ab und zu die Zeit vergesse? Warum glaubt mein Vormund, ich könnte mich nicht um meine Gäste kümmern, nur weil ich ein Jagdgewehr besitze? (Pressetext)

Kurzkritik:

Ein anspruchsvoller Roman, der nicht schwierig zu lesen ist, aufregend, verwirrend und sehr empfehlenswert. Selten hat jemand eine Persönlichkeitsspaltung so eindringlich beschrieben.

Besprechung:

Stilvoll beunruhigend

Dieses Buch handelt von einem komplexen Fall und ist selbst einer.

Warum glaubt das Jugendamt, ich könne kein Hotel führen, nur weil die Ärzte behaupten, ich sei ein komplexer Fall? Warum glauben meine Betreuer, ich würde den Überblick verlieren, nur weil ich ab und zu die Zeit vergesse?

Geistig behindert

Der Ich-Erzähler Louis ist geistig behindert und hat während eines Integrationsprojektes ein Hotel an der polnischen Grenze übernommen. Wenige verlangen nach einem Zimmer und von denen bekommen nur diejenigen eines, von denen er glaubt, dass sie ihm bei der Suche nach den Ursachen seiner Krankheit helfen können.

Die Hure, die Familie, die Terroristen – sind sie echt oder entspringen sie bloß Louis‘ Phantasie? Streift er tatsächlich mit einem Jagdgewehr durch die Umgebung? Gibt es dieses Hotel wirklich?

Rätselhaft

Man glaubt es kaum, allerdings sind da noch diese im Buch abgedruckten Zeitungsartikel, die Bezug zu den von Louis beschriebenen Geschehnissen haben. Stimmt‘s also doch?

Es ist jedenfalls nicht der rätselhafte Plot allein, der eine/n in diesen Roman hineinzieht, es ist auch Tobias Sommers Art zu schreiben. Wir haben es hier mit einem Autor zu tun, der all die Tipps und Tricks, die sich jede/r in einem Creative-Writing-Workshop aneignen kann, nicht nötig hat.

Kein Formular-Roman

Anders gesagt: wir haben es doch heutzutage mit vielen Büchern zu tun, die rein von der Handlungsführung her überzeugen, auch wenn sie nicht gut geschrieben sind. Ich nenne das Formular-Romane.

Sommer braucht keine Formulare und kein Schema F, um seine Story zu erzählen. Er hat jene Form gesucht und gefunden, die zum Inhalt passt, und die sitzt gewissermaßen zwischen vielen Stühlen: zwischen (Montage-)Roman, Thriller, Tagebuch, etc.

Aufregend, verwirrend, empfehlenswert

Und Sommer hat Stil. Eine Mischung aus nüchterner Prosa und Poesie, die den Geisteszustand des Protagonisten wunderbar – und beunruhigend – einfängt.

Ein anspruchsvoller Roman, der nicht schwierig zu lesen ist, aufregend, verwirrend und sehr empfehlenswert.

Von Werner Schuster
Infos:

Tobias Sommer wurde 1978 in Schleswig-Holstein geboren. Er veröffentlichte zahlreiche Erzählungen und Gedichte in Anthologien und Einzelpublikationen. Seine Lyrik und Prosa wurde mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet.