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Buzzati, Dino: Aus Richtung der unsichtbaren Urwälder

Kurzkritik [1]Ihre Meinung [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
  • Erzählungen
  • Gebunden
  • 144 Seiten
  • Erschienen 2011 bei Wagenbach
  • Mehrere ÜbersetzerInnen

Inhalt:

Das Bürgertum weiß nicht weiter: Es kann nicht mit Drachen umgehen, lässt sich von jedem Maulhelden vom Platz verdrängen, von jedem Kind mit Spielzeug erpressen. Es gerät in der Scala in Panik, statt die Nacht zu genießen und irrt sich sogar beim Anfassen. So wird das nichts. (Pressetext)

Kurzkritik:

Sollte irgendjemand bezweifeln, dass es so etwas wie das Bürgertum noch gibt, – in den mehr als 50 Jahre alten Erzählungen von Dino Buzzati wird man heutige Menschen erkennen. Menschen, die sich, so Herausgeber Klaus Wagenbach, „für vornehm halten, Klugheit aus ungelesenen Büchern vortäuschen und das Leben an Verkehrsformen delegieren“.

Man schmunzelt oder lacht über diese satirischen bis grotesken Miniaturen, auch wenn oder gerade weil man sich selbst in ihnen wieder findet.

Besprechung:

Die Urwälder unter dem Opernhaus

Sollte irgendjemand bezweifeln, dass es so etwas wie das Bürgertum noch gibt, – in den mehr als 50 Jahre alten Erzählungen von Dino Buzzati wird man heutige Menschen erkennen. Menschen, die sich, so Herausgeber Klaus Wagenbach, „für vornehm halten, Klugheit aus ungelesenen Büchern vortäuschen und das Leben an Verkehrsformen delegieren“.

Menschen, ergänze ich, die sich krampfhaft der Sicherheit verschrieben haben und die durch die kleinste Ungewöhnlichkeit aus der Ruhe und aus dem Konzept gebracht werden. Wie jener Hotelgast in „Der Korridor im großen Hotel“, dem es peinlich ist, die Gang-Toilette vor den Augen eines anderen zu betreten und schließlich – wie viele andere – die Nacht in der Nische ihrer Zimmertür verbringen.

Ängstliche Veteranen

Menschen wie jener Oberst im Ruhestand, der in „Das despotische Kind“ ein Spielzeug seines Enkels beschädigt und sich, ein Kriegsveteran, so vor der Reaktion des verhätschelten Kleinen fürchtet, dass er seine Tat verheimlicht.

Man schmunzelt oder lacht über diese satirischen bis grotesken Miniaturen, auch wenn oder gerade weil man sich selbst in ihnen wieder findet. Etwa in der Angst, nach einem Autounfall in einer unbekannten Gegend von den Ansässigen (im Fall der Erzählung „Dunkel“ sind es LandbewohnerInnen) verspottet, verachtet, wenn nicht gar umgebracht zu werden.

„So einfach wie möglich“

Dies alles beschrieb Buzzati in einer nüchternen, aufs Wesentliche konzentrierten Sprache. „Erzählen?“, meinte er einmal, „So einfach wie möglich, so dramatisch oder poetisch wie möglich.“

Dass er nicht nur Miniaturen meisterlich beherrschte, beweist die gut 40 Seiten lange Erzählung „Angst in der Scala“. In diesem Opernhaus verschanzen sich die BesucherInnen einer Uraufführung, als sie hören, dass die Linken einen Umsturz planen. Alle bangen um ihre Besitztümer und einige versuchen, sich bei den Revolutionären anzubiedern, obwohl man noch gar keinen gesehen hat …

Die traurigen Rhinozerosse der Nacht

Buzzati entlarvt in seiner Prosa nicht nur „das Bürgertum“, sondern unser aller Ängste. Und er setzt sich mit der Fragwürdigkeit oder Instabilität von Macht auseinander: in „Der Fall Asis Maio“ erkennt ein Prinz in einer Art Überwachungsstaat, dass er nicht alles beherrschen kann; in „Der kranke Tyrann“ zahlen es Hunde einem Bluthund heim (im Gegensatz zu Menschen lassen sie allerdings von ihm ab, als sie sehen, dass er totkrank ist).

Während sein Herz in heftigen strömen schlug, schaute er, bleich geworden (…) dorthin, wo fern aus der Richtung der unsichtbaren Urwälder die Rhinozerosse der Nacht traurig auf ihn zustapften.

Von Werner Schuster
Infos:

Dino Buzzati (1906-1972) arbeitete nach seinem Jurastudium als Journalist und später Chefredakteur für den Mailänder „Corriere della Serra“ und trat außerdem als Maler, Bühnenbildner und Schriftsteller in Erscheinung. Als sein literarisches Hauptwerk gilt der existenzialistisch geprägte Roman „Die Tatarenwüste“.

Mehr über Dino Buzzati [5] bei Wikipedia.