- Literaturmagazin Eselsohren –  - https://www.eselsohren.at -

Lindner, Erik: Coachingwahn

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover Lindner Coachingwahn [5]


Inhalt:

In unserer Leistungsgesellschaft wird maximaler Einsatz gefordert – bei minimaler Jobgarantie. Nicht nur im Beruf, auch im Privatleben fühlen sich immer mehr Menschen unter Druck. Hier verspricht eine florierende Branche Hilfe: die Coaching-Industrie. Doch wer sind diese Coaches? Was sind ihre Methoden, um Klienten zu mehr Erfolg, Kreativität und Glück zu verhelfen? (Pressetext)

Kurzkritik:

Im Gegensatz zu Titel und Untertitel ist dies kein reißerisches Buch. Und man erfährt buchstäblich alles über Coaching.

Besprechung:

Ernährungs-Coaching, Sexuality-Coaching, Knigge-Coaching, Aufräum-Coaching, Lama-Coaching …

Im Gegensatz zu Titel und Untertitel ist dies kein reißerisches Buch. Erik Lindner hat sehr gründlich recherchiert, und manche Passagen sind fast zu ausführlich geraten. Man erfährt buchstäblich alles über Coaching, etwa, dass es auf die Frage „Was ist Coaching?“ keine bündige Antwort gibt, dass im Sommer 2010 über 1.300 Bücher über Coaching zu kaufen gab und dass im deutschsprachigen Raum derzeit etwa 50.000 Menschen Coachings anbieten.

Und es gibt, so Lindner, mittlerweile „längst nicht mehr nur Management Coaching, Business Coaching, Coaching für berufliche Neuorientierung, Existenz- und Unternehmensgründung, Unternehmensdarstellung, Kundengewinnung, Personalentwicklung, Zeit- und Projektmanagement, Leistungsentwicklung, Coaching zwecks Burnout-Prävention, sondern auch Coaching für gesundheitliches Gleichgewicht, für Persönlichkeitsentfaltung, zur Partnerfindung, gegen Prüfungsblackout, Education Coaching, Lehr-Coaching, Ernährungs-Coaching, Life Coaching, Familien-Coaching, Partner & Sexuality-Coaching, Psychosoziales Coaching, Crash-Coaching, Knigge-Coaching, Art-Coaching, Aufräum-Coaching, Lama-Coaching, Coaching wegen Erfolgsboykott und Mobbing …“

Alleskönner und Abzocker

Lindner beschreibt die „Idealtypen“: Business Coach, Diplom-Psychologe, Psychotherapeur, abgewickelter Personaler, Firmeninterne, Autodidakten, Novizen, Geistliche, esoterisch-spirituelle Life Coaches, Grobe, Diven und Narzisse, Alleskönner und Abzocker. Schon anhand dieser Liste ist leicht zu sehen, wie groß das Coaching-Feld (geworden) ist.

Am anschaulichsten ist das Kapitel „Die Coachees“ geraten: hier berichten Menschen, warum sie ein Coaching in Anspruch genommen haben, wie es ihnen dabei ergangen ist und was es ihnen gebracht hat.

Nur ein ganz kleiner Teil verdient wirklich gut

Interessant ist auch das Kapitel über die Branche, in welchem Leute, die daran denken, ebenfalls Coach zu werden, erfahren, dass sie davon wahrscheinlich nicht leben können werden. Vom geschätzten Umsatzvolumen von etwa 300 Millionen Euro in Deutschland fällt mehr als ein Zehntel auf das, was für Ausbildungen gezahlt wird. Anders gesagt: Der Großteil der Coaches muss Nebenbeschäftigungen nachgehen, während nur ein ganz kleiner Teil wirklich gut verdient.

Ich lasse mich coachen, also bin ich!

Schließlich fragt Lindner: Ist Coaching „vielleicht doch mehr ein hübsches Accessoire zahlungswilliger Kunden, ein Placebo, das dem Gecoachten kurzfristig ein besseres Gefühl gibt, aber eben doch nicht imstande ist, seine Gewohnheiten und Verhaltensweisen nachhaltig zu modifizieren? Aus einer kritischen Perspektive heraus betrachtet gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass Coaching vielen Nutzern der egozentrischen Vergewisserung und Statusaufwertung dient. Überspitzt gesagt: ,Ich lasse mich coachen, also bin ich!‘ Eine freundliche Betrachtung kommt dagegen zu dem Schluss, dass dank Coaching jedes Jahr Zehntausende ihre Blockaden überwinden, Selbstvertrauen und neue Kraft gewinnen oder Wege entdecken, die es zuvor für sie nicht gab.“

Nachsatz: „Allerdings gehen auch Leute ins Coaching, die eher zum Therapeuten gehören, und es coachen Anbieter, die ihre fachliche Kompetenz maßlos überschätzen.“

Von Werner Schuster
Infos:

Erik Lindner ist Experte für Unternehmensgeschichte. Er leitete das Unternehmensarchiv der Axel-Springer-AG und ist heute als Schriftsteller tätig. Lindner ist u. a. Autor einer hoch gelobten Biographie der Familie Reemtsma.