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Dobretsberger, Christine: Geschichten, die die Schule schreibt

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Cover Schulgeschichten


Inhalt:

Lehrerinnen und Lehrer bringen ihre Sorgen und Nöte, ihre Probleme und Herausforderungen auf den Punkt: Wie erleben sie ihren Berufsalltag? Was bedeutet es für sie, in zunehmendem Maße der Kritik der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein? Das vorliegende Buch gibt dieser Berufsgruppe ein Forum, offen über den täglichen Schulstress zu berichten. (Pressetext)

Kurzkritik:

Ich wollte mit meinen Vorurteilen gegenüber LehrerInnen aufräumen. Es ist mir nicht gelungen.

Das liegt für mich zum einen daran, dass man den LehrerInnen keine Fragen gestellt hat, sondern sie reden (eigentlich: schreiben) lassen hat, worüber sie wollten. Es gibt ergreifende Beiträge. Es gibt fragwürdige. Es gibt wenige, die sich mit den oben erwähnten Vorurteilen konkret auseinandersetzen.

Mein grober Eindruck ist der, dass es zwei Sorten von LehrerInnen gibt. Zufriedene, die ihre SchülerInnen mögen, und Unzufriedene, die sich über ihre viele Arbeit aufregen. Mischformen sind mir (in diesem Buch) nicht aufgefallen.

Besprechung:

Wenn Lehrer aus der Schule plaudern

LehrerInnen bekommen in Österreich keine allzu guten Noten ausgestellt. Es halten sich die Vorurteile, LehrerInnen seien privilegiert, weil sie „nur“ 20 Stunden pro Woche in den Klassen unterrichten (und hätten in den restlichen 18,5 genug Zeit, um Hefte zu korrigieren und dergleichen) und zu viel Ferien hätten (– in Österreich sind es 13,5 Wochen pro Jahr, in Deutschland je nach Bundesland um die 11,5 und in der Schweiz je nach Kanton um die acht).

Auch ich bin nicht frei von dieser Vorurteilen. Ich habe einmal mit einem LehrerInnen-Ehepaar zusammengewohnt und sie um ihre viele freie Zeit beneidet. Während ich aus meinem Arbeitszimmer nicht herauskam, saßen die plaudernd auf ihrer Terasse oder pflegten genüsslich den Garten. Was war das für ein Gejammere, wenn die ab und zu einmal was zuhause zu korrigieren hatten! Und dass sie ihre unterrichtsfreie Zeit (was Ferien für LehrerInnen eigentlich sind oder sein sollten) zur Fortbildung genutzt hätten, ist mir nicht aufgefallen.

Erinnerungen

Dann kann ich mich auch noch an meine Schulzeit erinnern und ich hatte vom Großteil der LehrerInnen nicht den Eindruck, dass die sich in ihrem Beruf sonderlich aufgerieben hätten. Die meisten trugen aus seit langem vorgefertigten Skripten vor und hielten lieber Prüfungen ab als schriftliche Tests.

Natürlich kenne ich die Gegenargumente. Dass sich die Zeiten geändert hätten. Dass die SchülerInnen „schlimmer“ wären als früher. Dass viele LehrerInnen an Dauerstress und Burnout leiden würden (– es sind allerdings nicht mehr als bei der übrigen Bevölkerung).

Interesse

Deshalb hat mich dieses Buch interessiert. Ich wollte mit meinen Vorurteilen aufräumen. Es ist mir mit den „Geschichten, die die Schule schreibt“ nicht gelungen.

Das liegt für mich zum einen daran, dass man den LehrerInnen keine Fragen gestellt hat, sondern sie reden (eigentlich: schreiben) lassen hat, worüber sie wollten. Ab Mai 2010 waren sie dazu eingeladen, ihre Erlebnisse und Eindrücke zu Papier zu bringen.

Nicht einfach

„Aus dem Pool der Einsendungen eine Auswahl zu treffen“, schreibt Christine Dobretsberger im Vorwort, „war alles andere als einfach“. Sie hat sich für 39 davon entschieden. Das System, nach welchem die Beiträge im Buch geordnet wurden, hat sich mir nicht erschlossen. Es gibt keine Einteilung nach Themen und auch sonst sind die verschiedenen Schultypen – von Volksschulen über Mittelschulen und allgemeinbildende höhere Schulen bis hin zu sonderpädagogischen Zentren (wie das in Österreich heißt) – bunt durcheinander gemischt.

Ergreifend

Es gibt ergreifende Beiträge. Etwa den eines Lehrers, von dem sich seine SchülerInnen nach vier Jahren verabschieden, indem sie sich – wie im Film „Der Club der toten Dichter“ auf die Tische stellen und „Ich danke dir, Captain, mein Captain“ rufen.

Es gibt fragwürdige. Eine Lehrerin beklagt sich über ihren Dauerstress – und erzählt, dass sie vor und nach der Schule den Haushalt alleine macht, die Kinder alleine betreut und dem Mann auch noch das Gewand herrichtet, bevor sie nächtens Hefte korrigiert.

Gschichterln

Es gibt wenige Beiträge, die sich mit den oben erwähnten Vorurteilen konkret auseinandersetzen.

Die LehrerInnen erzählen, wie ja auch dem Titel zu entnehmen ist, Geschichten, eigentlich Gschichterln über ihren Alltag, der für mich nicht stressiger zu sein scheint als der anderer Werktätiger. „Jeder Beitrag“, schreibt Dobretsberger, „ist ein Mosaikstein im Gesamtbild ,Schulalltag‘“. Man bekommt also Bilder serviert und keine Argumente geliefert.

Zwei Sorten

Argumente regen zum Nachdenken an, Bilder eher zum kontemplativen Betrachten. Mein grober Eindruck von diesen 39 Bildern ist der, dass es zwei Sorten von LehrerInnen gibt. Zufriedene, die ihre SchülerInnen mögen, und Unzufriedene, die sich über ihre viele Arbeit aufregen. Mischformen sind mir (in diesem Buch) nicht aufgefallen. Dafür glaube ich festgestellt zu haben, dass die LehrerInnen in Volksschulen und sonderpädagogischen Zentren in der Regel zufrieden sind (obwohl oder weil die SchülerInnen dort mehr Aufmerksamkeit benötigen als in den anderen Schulformen).

Praktikum

Und so bin ich zwar nach wie vor der Überzeugung, dass LehrerInnen, bevor sie zu unterrichten beginnen, ein Praktikum in der Privatwirtschaft machen sollten, denke aber nicht mehr, dass dies für alle gilt. Doch jene LehrerInnen, denen ihr Job zu beschwerlich ist, sollten wissen, wie es in der Arbeitswelt außerhalb von Schulen und Unis zugeht. Vielleicht relativiert das ihre Ansicht dessen, was Stress ist.

Von Werner Schuster
Infos:

Christine Dobretsberger, Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie Philosophie. Langjährige Kulturredakteurin in der „Wiener Zeitung“. Seit Juli 2004 freie Journalistin, Autorin und Ghostwriterin. Seit Mai 2005 Geschäftsführerin einer Text- und Grafikagentur.