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Antunes, António Lobo: Mein Name ist Legion

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover Antunes Legion


Inhalt:

In einem Elendsviertel von Lissabon treffen sie aufeinander: eine Jugendgang, die hauptsächlich aus Schwarzen, Farbigen und Osteuropäern besteht, die Polizei, die der kriminellen Jugendlichen nicht mehr Herr wird, die Bewohner des Slums. In seinem neuen Roman fängt Lobo Antunes die sozialen Verwerfungen einer globalisierten Moderne ein und verleiht den Menschen am Rande der Gesellschaft starke, unverwechselbare Stimmen. (Pressetext)

Kurzkritik:

Nichts hatte mich auf das doch eher Experimentelle von ,Mein Name ist Legion‘ vorbereitet. Ich glaube allerdings nicht, dass ich mit dem Roman anderenfalls mehr hätte anfangen können.

Besprechung:

Gehirnsausen

Vier Anläufe habe ich gebraucht, um dieses Buch dann doch zu lesen. Lobo Antunes macht es einem mit „Mein Name ist Legion“ wahrlich nicht leicht.

Die ersten Seiten „gehen ja noch“. Und der erste Absatz geht so:

Die Verdächtigen, 8 (acht) an der Zahl und im Alter zwischen 12 (zwölf) und 19 (neunzehn) Jahren, verließen um 22.00 (zweiundzwanzig Uhr und null Minuten) den im Nordosten der Hauptstadt liegenden und leider wegen seiner heruntergekommenen Bausubstanz und den damit verbundenen sozialen Problemen bekannten Stadtteil Bairro 1° de Maia in Richtung Amadorra, wo sie angenommenermaßen gegen 22.30 (zweiundzwanzig Uhr und dreißig Minuten), was allerdings noch der Bestätigung durch die Verhöre, sei es der Verdächtigen, sei es möglicher, bislang noch nicht festgestellter Zeugen bedarf, mit einer Hauptschlüssel genannten Methode

Die Verdächtigen stehlen zwei Mittelklassewagen, überfallen eine Tankstelle, erschießen dabei einen Angestellten, plündern anschließend einen Handyladen und überfallen dann ein Pärchen in einem Auto, vergewaltigen die Frau und verprügeln den Mann.

Zerfahren

Auf 23 Seiten werden diese Taten von einem Polizisten nur kurz beschrieben, während sich in den Bericht immer mehr seine Anmerkungen und Erinnerungen schleichen. Dieser Bericht wird zunehmend zerfahrener, es mischen sich auch die Stimmen von BewohnerInnen des Elendsviertels sowie der Verdächtigen selbst darunter.

Lobo Antunes‘ Text ist zwar in Absätze gegliedert, diese haben jedoch (außer, wenn ein Kapitel beendet wird) keine Punkte. Damit wird wohl auch formal auf den unablässigen Gedankenstrom hingewiesen, mit dem man es zu tun hat.

Das liest sich zum Beispiel folgendermaßen:

Senhora
das gelbe Hündchen, das fehlt mir, glaube ich
(das braune, das vom Ofen, es schüttelte einmal den Schwanz, um zu sagen
Ich bin hier
und man spürte die Freundschaft, das Bemühen, es schaute den Veterinär an und war nicht böse auf ihn , es schaute uns an, und dann ja, das, was mir Schrecken einjagt, das, was ich nicht akzeptiere, das Entsetzen)
die Gartenpforte, die man mit einem Haken schloss, der in einen Nagel griff, und das ist alles, ein Hündchen und eine Gartenporte reichen, und um diese Zeit meine Kolleginnen am Platz
Die Alte?
nein, um diese Zeit meine Kolleginnen am Platz
Was für eine Alte?
genauso wie ich die Rotblonde vergessen habe, die sich in Zimmer elf erhängt hat, sie hat fröhlich die Rechnung bezahlt und erklärt
Der Kunde möchte nicht mit mir zusammen gesehen werden

Es verhält sich nun nicht so, dass ich solche Gedankenstrom-Literatur nicht mag, ich möchte nur etwas damit anfangen können. Und das habe ich bei diesem Buch nicht. Der Text hat in mir eine Art Gehirnsausen hervorgerufen und ich habe verzweifelt versucht mitzubekommen, wovon hier konkret die Rede ist.

Hilflos

Auch der Klappentext hat mir nicht geholfen: „Kurz vor der Pensionierung verfasst ein Polizist einen Bericht über die kriminellen Taten einer Jugendgang, die in einem heruntergekommenen Viertel am Rande von Lissabon ihr Unwesen treibt. Zugleich erinnert er sich an seine Kindheit in der Provinz, seine gescheiterte Ehe, seine entfernt lebende Tochter.“ – Das taugte nicht als Raster oder als Halteleine für das viele „Unzusammenhängende” (– es hängt schon zusammen, aber auf eine sehr disparate Art und Weise.)

Ratlos

Ich wurde immer ratloser – und auch ärgerlicher. Schließlich hatte der Klappentext versprochen, dass der Roman die sozialen Probleme der Moderne einfängt und zeigt, „was Migration, Entfremdung und der Zusammenprall verschiedener Kulturen für den Einzelnen bedeuten“.

Das habe ich aus „Mein Name ist Legion“ nicht herausgelesen. Und nichts hatte mich auf diese doch eher experimentelle Art von Literatur vorbereitet. Ich glaube allerdings nicht, dass ich mit dem Roman mehr hätte anfangen können, wenn auf dem Umschlag oder dem Klappentext etwa „anspruchsvoll“ stünde.

Von Werner Schuster
Infos:

António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkrieges 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. In seinem Werk, das mittlerweile zwanzig Titel umfasst und in über dreißig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander.

Mehr über António Lobo Antunes [5] bei Wikipedia.