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Doderer, Heimito von: Die Strudlhofstiege (Lesehilfe)

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Buchcover Strudlhofstiege [5]


Inhalt:

Wien in den Jahren 1910/11 und 1923-25. Im MIttelpunkt des Geschehens steht der Amtsrat und Major a. D. Melzer, dessen Leben irgendwie immer an ihm vorbeiläuft, bis er endlich doch zu sich selbst findet. Ein Großstadtroman mit der Aura des Lebens, „so, wie es ist“. (Pressetext)

Kurzinfo:

Vielleicht hilft diese grobe Struktur, die ,Strudlhofstiege‘ zugänglicher zu machen.

Lesehilfe:

Vom „Denkschlaf“ zum „Zivilverstand“

„Der 900-seitige Roman ,Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre‘ gilt als das Meisterwerk von Heimito von Doderer, in dem er formale Ambitionen, souveränes, humorvolles Fabulieren, Einfangen der Wiener Atmosphäre, Gesellschafts- und Zeitanalyse sowie das Erforschen der Kräfte, die ein Leben bestimmen, zu harmonischer Balance brachte“, schreibt der Harenberg Verlag in „Das Buch der 1000 Bücher“.

Es ist der beliebteste Roman des Autors, doch wahrscheinlich mehr gekauft als (zu Ende) gelesen. Denn die „Strudlhofstiege“ gilt nicht nur als schwierig und anspruchsvoll, sie ist es auch und dies weniger in stilistischer denn in formaler und inhaltlicher Hinsicht.

Den Überblick verlieren

Anders gesagt: Was Doderer geschrieben hat, ist im Einzelnen nicht schwer zu verstehen, doch man kann leicht den Überblick verlieren. Denn dieses Buch scheint – wie der Wiener Germanist Wendelin Schmidt-Dengler ausgeführt hat – „unerhört reich an Inhalten zu sein, an Histörchen und Anekdoten, an tragischen wie grotesken Episoden, an Intrigen und Gegenintrigen, an Berichten von Lebensläufen, an Zustandsschilderungen und hochdramatischen Ereignissen, die sich aber (…) nur schwer in ihrem Zusammenhang begreifen lassen“.

Der 21. September 1925

Und so sollte man vielleicht wissen, dass – zumindest für den Inhalt – das Wichtigste im ersten Satz innerhalb der Klammer steht: „Als Mary K.s Gatte noch lebte, Oskar hieß er, und sie selbst noch auf zwei sehr schönen Beinen ging (das rechte hat ihr, unweit ihrer Wohnung, am 21. September 1925 die Straßenbahn über dem Knie abgefahren) tauchte ein gewisser Doktor Negria auf, ein junger rumänischer Arzt, der hier zu Wien an der berühmten Fakultät sich fortbildete und im Allgemeinen Krankenhaus seine Jahre machte.“

Mary K.

Mary K. und jener Melzer, der so prominent im zweiten Titel des Buches steht, hätten 1910 ein Paar werden können, Melzer bekam von ihr schlussendlich einen Korb – und sieht sie am Ende des Romans wieder, nachdem ihr die Straßenbahn das Bein über dem Knie abgefahren hat.

Schmidt-Dengler: „Melzers Trennung von Mary und die Wiederbegegnung mit ihr (…) – das sind die beiden Pfeiler, die die riskante Brückenkonstruktion des Romans zu tragen haben. Melzer selbst (er wurde 1925 als Major aus der Armee verabschiedet und arbeitet nun als Amtsrat in der staatlichen Tabakregie; Anm.) fungiert als Bindeglied der verschiedenen Gesellschaftsschichten“.

Editha und Thea

Diese sind: der großbürgerliche Kreis rund um die Familie Stangeler mit dem jungen Historiker René und seinen Schwestern Asta und Etelka (welche sich 1925 umbringt). Und die „Kleinbürger” rund um Melzer, etwa die Schwestern Editha und Mimi Pastré. Editha benutzt den in sie verliebten Tabakregie-Amtsrat Melzer, um einen Zigarettenschmuggel durchzuführen, Paula Pichler (einst mit René befreundet) befreit ihn aus den Fängen von Editha und führt ihn Thea Rokitzer zu (die bei dem Straßenbahnunfall dabei ist).

Zeitsprünge

Erst aus den Schlussabschnitten geht hervor, dass die Handlungsfülle des Romans auf den 21. September (Straßenbahnunfall) ausgerichtet ist. Diese Fülle ist in (kapitellose) vier Abschnitte aufgeteilt: Der erste Teil des Romans (Seiten 9–164) führt vom Nachsommer 1923 zurück ins Jahr 1910 (Begegnung Melzer mit Mary), dann ins Jahr 1911 (ein Tag im Leben des Gymnasiasten René) und kurz in die Jahre 1923 und 1925 (Melzer).

Das Jahr 1925

Der zweite Teil (165–355) geht mit Melzers Erinnerungen weiter, bevor wir in die Gegenwart (d.i. das Jahr 1925) zurückkehren, welcher der dritte und vierte Teil (356–558 resp. 559–909) gewidmet sind. Nach dem 21. September 1925 folgt ein kleiner Epilog mit der Verlobung Melzers mit Thea.

Spagat

Es ist nicht ausgemacht, dass Melzer tatsächlich die Hauptfigur des Romans ist (Doderer: „das käme mir so vor, wie man an einem Pakete den Spagat, womit es zusammengebunden ist, für das Wesentliche hielte“). Ein Hauptstrang des Romans ist jedenfalls seine Entwicklung von einem „Denkschlaf“ zu einem „Zivilverstand“ hin.

Vielleicht hilft diese grobe Struktur, die „Strudlhofstiege“ zugänglicher zu machen.

Von Werner Schuster

Druckversion [6]

Infos:

Heimito von Doderer, 1896 – 1966. Ab 1915 Militärdienst, 1916-20 russische Kriegsgefangenschaft in Sibirien; Studium der Geschichte und Philosophie in Wien. 1933 Mitglied der NSDAP, von der er sich bald wieder abwandte (Konversion zum Katholizismus 1940); ab 1937 Verlagslektor in München, 1940 abermals Militärdienst, bis 1946 in britischer Kriegsgefangenschaft. 1951 erschien der Roman „Die Strudlhofstiege“, der seinen Erfolg als Schriftsteller begründete.

Mehr über Heimito von Doderer [7] und mehr über „Die Strudlhofstiege“ [8] bei Wikipedia.

Die Zitate von Wendelin Schmidt-Dengler stammen aus den Reclam-Interpretationen „Romane des 20. Jahrhunderts, Band 2“ (erhältlich bei Amazon [9].).