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Sciascia, Leonardo: Der Zusammenhang

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Leonardo Sciascia Der Zusammenhang [5]


Inhalt:

„Der Zusammenhang“, ursprünglich auf Deutsch unter dem Titel „Tote Richter reden nicht“ veröffentlicht, trägt den Untertitel „Eine Parodie“. Aber wie der Leser sofort ahnt, geht es alles andere als lustig zu. Ob Staatsanwalt Varga ermordet wurde, weil er besonders unerbittlich die öffentliche Anklage im Prozess Reis vertreten hatte? Der Polizeiminister setzt den scharfsinnigsten Ermittlungsbeamten, Inspektor Rogas, ein um der Öffentlichkeit das Vertrauen in die Polizei wiederzugeben oder sie von der Unlösbarkeit des Falls zu überzeugen? Kaum hat Rogas seine Ermittlungen aufgenommen, als Richter Sanza ebenfalls mit einer Kugel im Herzen aufgefunden wird. Mit genauer Kenntnis beschreibt Sciascia das Netz von Intrigen, Ablenkung und Schweigen, mit dem Rogas auf Seiten der Mächtigen zu kämpfen hat. (Pressetext)

Kurzkritik:

Ein Vergleich von Leonardo Sciascia mit Donna Leon drängt sich vielleicht nicht unmittelbar auf, scheint mir aber dennoch lohnend.

Ähnlich wie Brunetti steht auch Inspektor Rogas über den Dingen und intellektuell über seinen Chefs. Nur dient das bei Sciascia nicht zu unserer Belustigung. Und während Donna Leon eher zu unserer Beruhigung schreibt {– es gibt sie ja doch, die (in diesem Fall: gemütlichen) Superhelden!}, ist Sciascias Roman sehr beunruhigend und ein realistischer Blick auf unsere Welt.

Am Schluss wird, anders als beim Großteil der Krimiliteratur, die Ordnung nicht wiederhergestellt – was wir erlebt haben, war gewissermaßen die Ordnung: Machtspiele und Korruption.

Besprechung:

Donna Leon für Fortgeschrittene

Ein Vergleich von Leonardo Sciascia mit Donna Leon drängt sich vielleicht nicht unmittelbar auf, scheint mir aber dennoch lohnend.

Auch Sciascias „Der Zusammenhang“ spielt in Italien, genauer gesagt: in Sizilien. Allerdings haben wir es – anders als bei Leon – nicht mit einem Italien für Touristen zu tun, sondern mit einem Schauplatz, der sinnbildlich für mafiöse Zustände und Korruption steht.

Ähnlich wie Brunetti steht auch Inspektor Rogas über den Dingen und intellektuell über seinen Chefs. Nur dient das bei Sciascia nicht zu unserer Belustigung: Rogas geht nicht als Sieger hervor, nachdem er erkannt hat, dass die Verantwortlichen für die Morde an Staatsanwälten und Richtern an den Schalthebeln der Macht sitzen.

Unterhaltsam

Wiewohl es, bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls, schon unterhaltsam zugeht, etwa bei der Beschreibung der politischen Abteilung der Polizei, in der man sich Verbrechen eher von der theoretischen Seite nähert und der der praktisch veranlagte Rogas zugeteilt wird. Oder als jener Mann, den Rogas der Taten verdächtigt, der Polizei trotz Überwachung entwischt (– dieser hat angeblich versucht, seine Frau zu vergiften, wurde daraufhin zu fünf Jahren verurteilt und könnte sich jetzt an der Justiz rächen wollen).

Doch der Präsident des Obersten Gerichtes teilt Rogas Meinung nicht und sieht die Urheberschaft für die Attentate in der Nähe der Partei „Partito Rivoluzionario Internazionale“.

Ungestraft

Beide haben recht. Doch am Schluss wird, anders als beim Großteil der Krimiliteratur, die Ordnung nicht wiederhergestellt – was wir erlebt haben, war gewissermaßen die Ordnung: Machtspiele und Korruption.

Bei Sciascia kommen, ähnlich wie bei Donna Leon, die Oberschurken ungestraft davon. Nur sitzt Rogas dann nicht wieder bei gutem Essen und Trinken mit Frau und Kindern daheim und ist höchstens betrübt, dass er „denen da oben“ nicht noch besser am Zeug geflickt hat – Rogas hat gar keine Familie (und auch keine Zeit, dauernd Kaffee zu trinken).

Ungemütlich

Und während Donna Leon eher zu unserer Beruhigung schreibt {– es gibt sie ja doch, die (in diesem Fall: gemütlichen) Superhelden!}, ist Sciascias Roman sehr beunruhigend und ein realistischer Blick auf unsere Welt. Und Sciascias Sizilien ist nicht Kulisse, sondern eben ein – gar nicht detailliert beschriebener – Schauplatz.

Sciascia hat ja auch gemeint, der Roman könnte „in Italien, aber ebenso gut in der ganzen Welt beheimatet sein“. Brunettis Venedig aber gibt es gar nicht, höchstens ins Donna Leons und unserer naiven Hoffnung.

Von Werner Schuster
Infos:

Der Roman von Sciascia wurde 1976 unter der Regie von Francesco Rosi unter dem Titel „Die Macht und ihr Preis“ [6] („Cadaveri eccellenti“) verfilmt. Hauptdarsteller waren Alain Cuny, Fernando Rey, Max von Sydow, Charles Vanel und Lino Ventura.

Leonardo Sciascia wurde 1921 in Racalmuto auf Sizilien geboren. Schon während seiner langjährigen Tätigkeit als Volksschullehrer arbeitete er nebenbei als Schriftsteller und Journalist. Ab 1957 widmete er sich ausschließlich dem Schreiben. Sciascia verfasste zahlreiche Kriminalromane, Erzählungen, Essays und auch Gedichte. Er starb 1989 in Palermo.

Mehr über Leonardo Sciascia [7] bei Wikipedia.