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Nizon, Paul: Am Schreiben gehen #2

Kurzinfo [1]Was meinen Sie? [2]Zusammenfassung [3]Infos [4]

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Inhalt:

Paul Nizon hat, als Gastdozent für Poetik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt im Sommer 1984, seine Vorlesungen unter den Titel gestellt: „Am Schreiben gehen“. Mit dieser Formulierung bezieht er sich auf seine Art „Schreibfanatismus“, seinen „Krückstock“. „Weder Lebens- noch Schreibthema, bloß Matiere, die ich schreibend befestigen muß, damit etwas stehe, auf dem ich stehen kann.“ Er versteht sich als einen „vorbeistationierenden Autobiographie-Fiktionär“. Das Passantische im Wort „vorbeistationieren“ meint ein „vorübergehendes Ansässigsein“. (Pressetext)

Kurzinfo:

Die zweite Vorlesung trägt den Titel „Am Schreiben gehen. Über Leben und Schreiben, Schreiben und Leben in ihrer Wechselwirkung“

Zusammenfassung:

Über die zweite Vorlesung

Die zweite Vorlesung trägt den Titel „Am Schreiben gehen. Über Leben und Schreiben, Schreiben und Leben in ihrer Wechselwirkung“. Nizon sprach über sich, sein anfängliches „themenloses Allesschreiben, Hinternachschreiben“ – „Der Verfasser war vergleichbar einem vollen Orchester beim unaufhörlichen Stimmen der Instrumente.“

Er berichtete von seinem Kunstgeschichtsstudium, seiner Zeit als Museumsassistent, seiner Tätigkeit als Kunstkritiker, dem – in „Canto“ (1963) eingeflossenen – Stipendiatenjahr in Rom, seiner kurzen Tätigkeit als Kunstkritik-Ressortleiter, seiner – in „Untertauchen“ verarbeiteten – Dienstreise nach Barcelona, nach der er den Dienst bei der Zeitung quittierte, um freier Schriftsteller (und vorerst freier Kunstkritiker) zu werden.

Aktionsprosa

Er versuchte sich in – dem action painting nachvollzogenen – „Aktionsprosa“. – „Ich hatte lediglich ein Instrument gewonnen, mit welchem ich eine bestimmte Seelenverfassung auszudrücken vermochte, aber es blieb die Verfassung einer tiefsitzenden Ungewissheit, eine Fremdlingsverfassung, wenn auch eine formulierte.“ – Des weiteren zerbrach beim Schreiben seine Ehe.

Für „Im Hause enden die Geschichten“ (1971) brauchte er sieben Jahre – „im Unterschied zum berauschten Schreiben des Canto ein behutsames Heben von Inseln, ein Vorgehen vergleichbar der meditativen Kontemplation“. „Untertauchen“ (1972) war „meine erste vorsichtige Annäherung an lineares Erzählen.“

Die Stolzsche Krankheit

Danach – und und das ist die Keimzelle das „Jahr der Liebe“ – dachte er „an ein weiträumiges Prosageflecht, das in den geliebten großen Städten spielen sollte“. – „Dieses Stadium dauerte ein Jahr und zeitigte einen Haufen Notizen, aber kein brauchbares Konzept.“ Er beschloss, „das Projekt vorerst fallenzulassen und die so hartnäckig gescheute konventionelle Erzählweise erst einmal auszuprobieren“.

Daraus entstand „Stolz“ (1975), sein – was die Resonanz und den Verkauf anbelangt – erfolgreichstes Buch. Persönlich litt er nach der Niederschrift jedoch selbst an der „Stolzschen Krankheit“. Weiters zog er sich im Rahmen einer Lesung in England eine – auch im „Jahr der Liebe“ erwähnte – „Liebesvergiftung“ zu.

Leibesübungen

1977 übersiedelte er von der Schweiz nach Paris – in eine winzig kleine Wohnung, die ihm seine Tante vererbt hatte. „Diese Zelle war ein Ort der Einsamkeit und bisweilen einer ans Bedrohliche grenzenden Depression. sie war aber auch ein Ort der Hoffnung. (…) Die Hoffnung war auf die Auslöserin meiner ,Liebesvergiftung‘ gerichtet, (…); sie war aber auch auf das Schreiben gerichtet, (…). Indessen klammerte ich mich an meine täglichen Aufschreibungen, die ich für mich Warmschreiben nannte, etwas wie Leibesübungen.“

Als er zu einem Vorlesen eingeladen wird, stellt er aus seinem Material einen Text zusammen, das er schließlich auch an den Verlag schickt, „der die Sendung wie eine Romanprobe quittierte. (…) „wir gaben dem Projekt den Arbeitstitel Alleinsein in Paris. Es war im Herbst 1979. (…) schrieb ich einen ersten Teil in kürzester Zeit hin, es geschah sturzgeburtartig. Ich nannte ihn ,Der Taubenmann‘ (…).“

Die erlösende Eingebung

„Nach meinem ersten Losschreiben verstummte ich nun aber zu meiner Verblüffung. (…) Nach Jahresfrist (…) – das bereits angekündigte Buch war mittlerweile wieder aus dem Programm gefallen – hatte ich die erlösende Eingebung, wie es mit dem Buch weitergehen sollte. Die Eingebung ging mit einem formalen Einfall einher, ich sah ein, dass ich mich an eine Methode und nicht an inhaltliche Vorstellungen zu halten hatte. Mit der Methode, die sich bewährte, hatte ich das nötige Abfuhrsystem und konnte den Roman mühelos niederschreiben. Er trug den Arbeitstitel Die Taube, erschien im Herbst 1981 aber unter dem Titel Das Jahr der Liebe.“

Von Werner Schuster

Infos:

Paul Nizon ist der Sohn eines russischen Chemikers, seine Mutter stammte aus Bern. Nach der Reifeprüfung studierte er Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Germanistik an den Universitäten in Bern und München. 1957 wurde er mit einer Arbeit über Vincent van Gogh (Der frühe Zeichnungsstil. Untersuchung über die künstlerische Form und ihre Beziehung zur Psychologie und Weltanschauung des Künstlers) zum Dr. phil. promoviert. Anschliessend war er bis 1959 als wissenschaftlicher Assistent am Historischen Museum in Bern beschäftigt. 1960 hielt er sich als Stipendiat am Schweizer Institut in Rom auf. 1961 war er leitender Kunstkritiker der Neuen Zürcher Zeitung. Er gab den prestigeträchtigen Posten für ein unsicheres Leben in der Literatur auf. Der dazugehörige Entscheidungsprozess findet sich literarisch gespiegelt in Untertauchen. Protokoll einer Reise (1972).
Seit 1962 ist Nizon, der seit 1977 in Paris lebt, als freier Schriftsteller tätig. Er hatte verschiedene Gastdozenturen inne, etwa 1984 an der Universität Frankfurt am Main und 1987 an der Washington University in St. Louis.
Paul Nizon gehört seit 1971 dem Autorenverband Autorinnen und Autoren der Schweiz und seit 1980 dem Deutschschweizer P.E.N.-Zentrum an. Nizons Archiv befindet sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern.

Mehr über Paul Nizon: bei Wikipedia [10] und beim Suhrkamp-Verlag [11].