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Danticat, Edwidge: Der verlorene Vater

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

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Inhalt:

Ein multiperspektivisches Porträt eines Mannes, der von Haiti in die Vereinigten Staaten ausgewandert ist – angeblich auf der Flucht vor dem Duvalier-Regime. Seine Vergangenheit birgt ein Geheimnis. Und immer geht es um die Frage, ob Vergebung für unmenschliche Taten möglich ist. (Pressetext)

Kurzkritik:

Die meisten Kapitel handeln von unterschiedlichen Menschen, die allerdings eine Sache eint: Sie haben alle unter dem Terror des Duvalier-Regimes in Haiti gelitten. Niemand kommt davon los, auch nicht die Kinder der Opfer (und der Täter).

Durch dieses Buch glaubt man, sich vorstellen zu können, wie man in einer Diktatur (über)lebt.

Besprechung:

Folterknechte

Es beginnt relativ harmlos: Eine junge Bildhauerin fährt mit ihrem Vater nach Florida, um einer berühmten Fernseh-Moderatorin eine Skulptur zu verkaufen. Doch dann verschwindet der Vater aus dem Hotelzimmer – mit der Skulptur. Noch ehe sich die Polizei auf die Suche nach ihm gemacht hat, taucht er wieder auf – ohne der Skulptur.

Er erklärt seiner Tochter, warum er ihr Werk ins Meer geworfen hat. Er stammt aus Haiti. Die Skulptur hat ihn als Opfer des Terrors des Duvalier-Regimes dargestellt, wie er es seiner Tochter bisher immer erzählt hat, – er aber war ein Täter. Er hat Menschen gefoltert und getötet. Die Mutter hat es gewusst.

Die Kinder der Opfer und der Täter

Schnitt. Im nächsten Kapitel erleben wir diesen Mann, wie er auf die Ankunft seiner Frau wartet. Seit sieben Jahren lebt er in New York, jetzt darf sie ihm endlich nachreisen. Sie findet sich nicht zurecht in der großen Stadt. – Ein ImmigrantInnenschicksal.

Es ist (mir) nicht ganz klar, ob es sich um dasselbe Ehepaar wie in Kapitel eins handelt. Aber im Großen und Ganzen ist das gleichgültig. Die meisten der folgenden Kapitel handeln von unterschiedlichen Menschen, die allerdings eine Sache eint: Sie haben alle unter dem Terror des Duvalier-Regimes gelitten. Niemand kommt davon los, auch nicht die Kinder der Opfer (und der Täter).

Wie er zu seiner Narbe im Gesicht gekommen ist

Danticat beschreibt uns diese Menschen lakonisch und lyrisch zugleich. Ob die Schicksale alle mit dem Täter aus Kapitel eins zusammenhängen, habe ich nicht herausgefunden. Im letzten Kapitel – in dem man erfährt, wie der Skulpturen-Vater zu seiner Narbe im Gesicht gekommen ist – werden ein paar davon erwähnt, vielleicht auch alle, ich kann‘s nicht sagen.

Es ist auch egal (– vielleicht haben wir es mit einer dramaturgischen Schwäche zu tun; wahrscheinlich liegt es an mir). Man ist erschüttert, man hat Mitleid. Durch dieses Buch glaubt man, sich vorstellen zu können, wie man in einer Diktatur (über)lebt.

Ein Buch für Fekter

Wahrscheinlich bildet man sich das nur ein. Auch das macht nichts. Außer allen anderen sollten es Menschen lesen, die beruflich über das weitere Schicksal von Flüchtlingen entscheiden. Die österreichische Innenministerin zum Beispiel und die Werktätigen im Bundesasylamt.

Von Werner Schuster
Infos:

Edwidge Danticat, 1969 in Port-au-Prince, Haiti, geboren, folgte ihren Eltern mit zwölf Jahren in die USA. Seit ihrem beeindruckenden Erstling „Breath Eyes Memory“, der unter dem Titel „Atem, Augen, Erinnerungen“ 1996 erschien, gilt sie als eine der bedeutendsten Stimmen der karibischamerikanischen Literatur, die nicht nur die Geschichte ihres Herkunftslandes thematisiert, sondern auch die Erlebnisse in der Diaspora. Mit „The Dew Breaker“ gelangte sie auf die Shortlist des National Book Critics Circle Award. Danticat erhielt zahlreiche Auszeichnungen, z.B. den American Book Award und den LiBeraturpreis. Sie lebt in New York.

Mehr über Edwidge Danticat [6] bei Wikipedia.