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Price, Richard: Cash

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover


Inhalt:
„Drei Männer werden nachts in der Lower East Side von zwei dunkelhäutigen Jugendlichen überfallen. Einer der drei wird erschossen, die Täter fliehen. Der Hauptzeuge Eric verstrickt sich bei der Polizei immer tiefer in Widersprüche. Detective Matty Clark kommen jedoch bald Zweifel an seiner Schuld.“ (Pressetext)

Kurzkritik:

Ich weiß jetzt nicht: Wäre ich von „Cash“ auch enttäuscht gewesen, wenn dieser Roman nicht dermaßen in den Himmel gelobt worden wäre? Ist das Buch tatsächlich „im ersten Anlauf ein amerikanischer Klassiker“ (Süddeutsche Zeitung)? Ist es gar „ein emotional intensives Herzschlagporträt New Yorks und seiner Bewohner, die durch diesen umwerfenden, geradezu filmischen Roman unsterblich werden“ (New York Times)?

„Cash“ ist für mich ein Zwitter aus Thriller und Sozialstudie, wobei der Thriller nicht besonders spannend ist, und das Dokudrama „Zufallsfamilie“ hat mir eindeutig mehr über New York (im Besonderen die Bronx) vermittelt.

Besprechung:

Das Buch zum Film

Ich weiß jetzt nicht: Wäre ich von „Cash“ auch enttäuscht gewesen, wenn dieser Roman nicht dermaßen in den Himmel gelobt worden wäre? Ist das Buch tatsächlich „im ersten Anlauf ein amerikanischer Klassiker“ (Süddeutsche Zeitung)? Ist es gar „ein emotional intensives Herzschlagporträt New Yorks und seiner Bewohner, die durch diesen umwerfenden, geradezu filmischen Roman unsterblich werden“ (New York Times)?

„Cash“ ist für mich ein Zwitter aus Thriller und Sozialstudie, wobei der Thriller nicht besonders spannend ist, und das Dokudrama „Zufallsfamilie“ hat mir eindeutig mehr über New York (im Besonderen die Bronx) vermittelt.

Dabei war ich vom Prolog „Nachtfischen auf der Delancey“ schwer angetan gewesen:

Vier Sweatshirts in einem Pseudotaxi Ecke Clinton Street an der Abfahrt der Williamsburg Bridge beim Abschöpfen der kleinen Fische. Die Task Force Lbensqualität. Ihr Mantra: Dope, Kanonen, Überstunden; ihr Motto: Jeder hat etwas zu verlieren.

Man braucht ein bisschen, bis einem klar wird, dass hier vier Undercover-Polizisten beschrieben werden. Schön witzig dann der Schluss der Einleitung (Dialog Polizist – Verhafteter): „Schon mal gesessen?“ – „Hm-hm.“ – „Wie lang her?“ – „Heiligabend.“ – „Das ist krass. Wer macht denn so ‘ne Schei–?“ – „Sie.“

Dass dann im ersten Kapitel eine Marien-Erscheinung auf einem Kühlschrank einen Ansturm an wundergläubigen Lower-East-Side-BewohnerInnen hervorruft, hat mich nach diesem obercoolen Intro ziemlich verwundert. Zumal mir bis zum Ende des Buches nicht klar wurde, was das darin zu suchen hat und worauf Price mit dieser Szene hinaus wollte.

Nicht von innen.

Ja, und dann werden, wie oben schon erwähnt, drei Männer nachts von zwei dunkelhäutigen Jugendlichen überfallen. Einer der drei wird erschossen. Wir wissen, wer der Täter ist, und folgen der Polizei auf ihren falschen Fährten. Was wir nicht wissen, ist, wie die Beteiligten und Zeugen den Mord erlebt haben, und das erfahren wir auf über 500 Seiten nach und nach, weil Menschen halt weder im Polizeiverhör noch in Gesprächen immer die Wahrheit sagen. Und Price beschreibt sie nicht von innen.

Großartig fand ich, wie wenig Worte er braucht, um seine Personen einzuführen, vorzustellen und vor allem: wiedererkennbar zu machen. Denn der Roman besteht aus vielen kurzen Szenen, die wie für Insider (New Yorks, der Polizeiarbeit, etc.) geschrieben scheinen und in denen man dennoch glaubt oder hofft, sich auszukennen.

Alle gleich wichtig

Schön auch, wie viel Platz Price den Eltern des Opfers und ihrem Umgang mit dem Verlust einräumt. Und wie bei ihm alles und alle die gleiche Wichtigkeit zu haben scheint: Die PolizistInnen, ihre Arbeit und ihr bisschen Privatleben, die Verdächtigen, die Freunde der Verdächtigen und die Bekannten des Opfers.

Durch diese Gleichbehandlung tritt allerdings das Thriller- oder Krimihafte in den Hintergrund, aber das scheint ohnedies in Price‘s Absicht gestanden zu haben. Und leider ergeben die vielen Personen insgesamt kein überzeugendes Bild der Lower East Side. Zwar stammen sie aus möglichst vielen Schichten, werden aber so geschildert, als hätte Price ursprünglich ein Drehbuch geschrieben, das er dann rasch zu einem Roman umgearbeitet hat.

Zu Drehbuch-artig

Die Dialoge sind prägnant und präzise, aber ich habe die Sprechenden nicht vor mir gesehen. Die Settings sind gerade mal angedeutet, sodass sich mir auch die Schauplätze nicht vermittelt haben. Und in die Szenen wird möglichst spät ein- und möglichst früh wieder ausgestiegen, sodass mir das Verbindende, Erklärende gefehlt hat. – Man könnte dieses Buch im Prinzip leicht (wieder?) in Drehbuch-Form bringen.

{Vielleicht hat Price mit seinem Roman auch gleich das Filmscript dazu liefern wollen. Er hat bisher 16 produzierte Drehbücher geschrieben (davon fünf für die TV-Serie „The Wire“), und von seinen (je nach Quelle) sechs oder acht Romanen sind drei verfilmt worden.}

Zu gleichförmig

Dies alles trägt dazu bei, dass ich „Cash“ weder als Thriller noch als Sozialstudie viel abgewinnen konnte. Und ein „literarisches Ereignis“ (Guardian) war es für mich auch nicht. Dafür war mir das Buch inhaltlich zu zersplittert und auch nicht wirklich raffiniert aufgebaut sowie stilistisch zu gleichförmig.

Nein, ich glaube nicht, dass mein Eindruck ein anderer gewesen wäre, wäre der Roman weniger bejubelt worden.

Von Werner Schuster
Infos:

Leseprobe [5] (PDF)

Video-Trailer [6]

Über Richard Price [7] bei Wikipedia,

Über „Zufallsfamilie“ [8] bei den Eselsohren.