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Der eindimensionale Fußballer

Ich darf ja gar nicht mitreden. Hab ja (bis einschließlich Di, 6. 7.) erst 2,3 WM-Spiele gesehen. Das liegt vielleicht daran, dass man mich in der Schule nur mitspielen ließ, wenn man musste. Und dann war ich immer unter den Letzten, die in eine Mannschaft gewählt wurden.

Bei entsprechenden Anlagen wird man da zwangsläufig zum Intellektuellen. Die anderen haben Spaß, und man selbst analysiert, warum das eigentlich nicht richtig sein kann.

G‘scheiterl

Allerdings müsste einem G‘scheiterl der moderne Fußball ja zusagen. Wie ich in jener viel, aber immer noch zu wenig beachteten Glosse „Prophet Böll“ [1] erläutert habe, spielen die ja heute alle rational: „Taktik, nicht Stil. Man lässt die Angriffe des Gegners ins Leere laufen, und der Gegner macht das auch. Wir sehen also ständig Angriffe, die irgendwie erfolglos sind. Bis einer nicht mehr erfolglos ist, und das ist dann ein Tor.“

Das ist auch langweilig anzusehen.

Gestern, nach den letzten 30 Minuten von Uruguay:Niederlande, habe ich meine Stuhl-Theorie verfeinert und behaupte nun: Fußballer müssen heute wie alle anderen Menschen auch ihren Spieltrieb verleugnen. Das sah ich deutlich an den Uruguayern, die sich, relativ hoffnungslos im Rückstand, nichts mehr geschissen und guten alten Fußball gespielt haben.

Hoffnung

Dass sie auf diese Art und Weise ein Tor geschossen haben, erfüllt mich mit Hoffnung. Vielleicht ist dieser Technokraten-Fußball bloß eine vorübergehende Phase. So wie beim Profi-Tennis vor 20 Jahren, als es nur noch Mörder-Aufschläge mit läppischen Returns und abschließenden Volleys zu sehen gab. In der Zwischenzeit hat man Kindheiten zerstört, nur damit besagte Mörder-Aufschläge kraftvoll beantwortet werden können. (Und mittlerweile spielen die eigentlich eine Art Tischtennis, bei dem sie selbst auf dem Tisch stehen. Unglaublich.)

Vielleicht wird also auch Fußball irgendwann wieder persönlich und kreativ.

Ich berufe mich da auf die Homo-ludens-Theorie [2], der zufolge (laut Wikipedia) „der Mensch über das Spiel seine Fähigkeiten entwickelt“ und sich dadurch selbst entwickelt. „Das Spielen ist der Handlungsfreiheit gleichgesetzt und setzt (allerdings; zynische Anm. das Fußballer-Klischee betreffend) eigenes Denken voraus.“

Marcuse

Darauf aufbauend, lasse ich den modernen Fußball diesmal von Herbert Marcuse beschreiben, der in seinem 1967 erschienenen Werk „Der eindimensionale Mensch“ [3] (wiederum laut Wikipedia) eine Kritik an der Reduzierung der Lebensweise übte. „Er kritisierte die mit der Vorherrschaft der ,instrumentellen Vernunft‘ in den Industriegesellschaften einhergehende Beschränkung der Lebensweise und Kultur, die keinen Platz mehr für Ganzheit, Persönlichkeitsentfaltung und autonome Selbstwerdung lässt.“

Genau wie ich hält (resp. hielt) Marcuse „eine Rückbesinnung auf das Ästhetische und Spielerische für erstrebenswert, um entgegen den allgegenwärtigen Zwängen einen Freiraum für eine menschliche Betätigung nach selbst gewählten Regeln und um ihrer selbst willen zu schaffen.“

Heutzutage muss man da allerdings nicht nur, was Fußball anbelangt, ergänzen: Naja, wenn man damit Geld verdienen kann –

Werner Schuster