18/04/2010von 776 Views – 2 Kommentare

Kommentiere dich selbst

Unter dem Titel „Netrebko auf Deutsch“ habe ich kürzlich auf www.k2centrope.com folgendes geschrieben:

Der Regisseur Martin Fried hat einmal gemeint, wenn du in einer Berghütte eingeschneit bist und dort nur Theaterstücke und alte Zeitschriften herumliegen, wirst du die Zeitschriften lesen. Opernlibretti wird man selbst dann nicht zur Hand nehmen, wenn es sonst nichts gibt.

Seit geraumer Zeit jedenfalls kann man in der Staatsoper die übersetzten Texte mitlaufen lassen, und als ich am 5. April so schlechte Karten für „La Boheme“ mit der Netrebko hatte, dass ich den rechten Bühnenzipfel nur erspähen konnte, wenn ich der Vorderfrau in den Nacken atmete, (und dort, also am Zipfel, spielt sich überhaupt nichts ab!) las ich diese dann tatsächlich.

Es war schrecklich. Also nicht die Netrebko. Ich meine, es genügt, den Inhalt einer Oper zu kennen und sich dann vorzustellen, dass die zu ihrem meist einfallslosen Spiel (wahrscheinlich nicht die Netrebko, aber die hab ich ja nicht gesehen) wenigstens anregende Sätze singen.

So wie man glaubt, dass Menschen, deren Sprache man nicht versteht, interessante Gespräche führen. Dabei sagen die wahrscheinlich auch bloß „Was gibt‘s denn heute im Fernsehen?“ und „Ich möchte aber lieber den Krimi sehen“.

Oder: „Man nennt mich Mimi, warum, weiss ich nicht. Allein für mich koch ich mein Essen. Ich gehe nicht immer in die Messe, doch bete ich oft zu Gott. Ich lebe allein, ganz allein hier in einem weißen Kämmerchen; schau über die Dächer und in den Himmel, doch fängt es an zu tauen, mein ist die erste Sonne; der erste Kuss des Aprils ist mein. Die erste Sonne ist mein! In einer Vase spriesst eine Rose; Blatt um Blatt seh ich erblühn. So hold ist der Duft der Blumen! Doch die Blumen, die ich sticke, ach…. die Blumen, die ich sticke, ach! die haben keinen Duft! Sonst weiss ich von mir nichts zu berichten; ich bin Ihre Nachbarin, die eben hier eintrat, um Sie zu belästigen.“

Was soll man dazu sagen? Vielleicht: Manche Dinge bleiben besser geheimnisvoll.

Aber die Netrebko hat das ganz wunderbar gesungen.

Nachdem mir niemand schreibt, dass das zumindest polemisch, wenn nicht blöd ist, muss ich das selbst tun. Denn einerseits gehorcht ein Libretto natürlich anderen Gesetzen als ein Theaterstück, weil es ja eben gesungen werden muss. Andererseits wurden und werden fremdsprachige Opern oftmals auch in deutschsprachiger Übersetzung aufgeführt. Ich bin mir nicht sicher, vermute aber einmal stark, dass dies in der sog. goldenen Zeit der Wiener Staatsoper (nach dem Zweiten Weltkrieg) der Fall gewesen ist.

Jetzt könnte man auch noch über die Gattung Oper an sich nachdenken. Ob die meist langweiligen schauspielerischen Leistungen mit den erbärmlichen Texten zusammenhängen. Wie RegisseurInnen damit umgehen, wenn sie einer Mimi-Sängerin erklären, wie diese z. B. „mein ist die erste Sonne; der erste Kuss des Aprils ist mein. Die erste Sonne ist mein!“ interpretieren soll. Ob es angesichts solcher Textbücher überhaupt Sinn macht, an Opern mit den Mitteln des sog. Regietheaters heranzugehen. Ob das überhaupt sinnvoll ist, wenn das Publikum eh nur nach Stars und hohen C‘s giert oder ohnedies nur wegen der Musik kommt.

Das ist es wahrscheinlich. In Opern geht es vor allem um Musik. Wer sich mehr erwartet, ist selbst schuld. Allein, warum brauchen wir dann die Übertitelung?


2 Kommentare zu "Kommentiere dich selbst"

Trackback | Kommentar RSS Feed

  1. schwester sagt:

    @Übertitel – meine Gedanken dazu:

    *MAN hat ein Opern-Abo, weil MAN kann das erzählen und erntet gesellschaftliche Anerkennung
    *MANN/FRAU) interessiert sich aber nicht die Bohne für Oper
    *damit die Zeit “irgendwie” vergeht – liest man die Übertitel mit, weil – Schlafen hätte MANN/FRAU daheim billiger können

    deshalb braucht MANN/FRAU Übertitel 😀

Schreiben Sie doch einen Kommentar

You must be logged in to post a comment.

Literaturmagazin Eselsohren – 

Literaturmagazin Eselsohren –