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Tsokos, Michael: Dem Tod auf der Spur

Kurzkritik [1]Was meinen Sie? [2]Ausführliche Besprechung [3]Infos [4]

Buchcover
Zwölf spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin

Taschenbuch: Ullstein, 2009
Inhalt:

Ein verkohltes Skelett auf der Rückbank eines ausgebrannten Wagens. Eine Wasserleiche, gekleidet im Stil des 19. Jahrhunderts. Ein halbnackter Mann, der bei eisiger Kälte tot aufgefunden wird. Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner, erzählt von zwölf mysteriösen Todesfällen, die er allesamt selbst untersucht hat. Zugleich liefert er eine verständliche Einführung in die Arbeitsweise der Forensik: Welche Untersuchungsmethoden gibt es? Was ist ein Polytrauma? Und wie erkennt man, ob jemand Suizid begangen hat oder ermordet wurde? Hochinformativ und spannend wie ein Krimi. (Pressetext)

Kurzkritik:

Gegen die weitverbreiteten Klischees der schicken hochtechnisierten Untersuchungsverfahren, der schummrigen, einsam gelegenen Sezier-Keller, der seltsamen Menschen, die da diesen seltsamen Beruf ausüben und dabei so was von genial aufgrund minimalistischer Spuren die komplexesten Verbrechen aufklären – allein und unverstanden natürlich – wendet sich der Rechtsmediziner Michael Tsokos mit seinem Buch.

Das Buch ist aber nicht nur lehrreich, es ist auch sehr spannend und mit einem persönlichen Touch geschrieben. „Genauer hinsehen aus Liebe zum Leben“, rät Tsokos seinen LeserInnen. Damit wir schon von den Lebenden lernen können, bevor es zu spät ist.

Besprechung:

Mortui vivos docent

Die Gerichtsmedizin ist in: Sowohl in Krimi- als auch Fernsehserienserien spielen die HeldInnen am Seziertisch oft die Hauptrolle. Ja, es ist spannend und lässt einen (wohlig?) erschauern, wenn man diese schrulligen Einzelgänger bei ihrem grausigen Tagwerk beobachten kann. Vielleicht hören sie dabei Hardrock oder Mozart, vielleicht legen sie ihre Wurstsemmel zwischendurch auf der Organwaage ab; auf jeden Fall können das nur Sonderlinge sein.

Gegen die weitverbreiteten Klischees der schicken hochtechnisierten Untersuchungsverfahren, der schummrigen, einsam gelegenen Sezier-Keller, der seltsamen Menschen, die da diesen seltsamen Beruf ausüben und dabei so was von genial aufgrund minimalistischer Spuren die komplexesten Verbrechen aufklären – allein und unverstanden natürlich – wendet sich der Rechtsmediziner Michael Tsokos mit seinem Buch.

Gerichtsfest

Zwölf ausgesuchte Fälle aus Tsokos‘ Berufsalltag illustrieren die Vorgehen und Methoden der Rechtsmedizin. Es sind die nicht-natürlichen Todesfälle, die hier untersucht werden, also Unfälle, Selbstmorde und Gewaltverbrechen. Kein anderer Arzt schaut so tief in menschliche Abgründe wie der Rechtsmediziner, meint Tsokos, und nach der Lektüre dieses Buches kann ich mir kaum vorstellen, dass sich Tsokos, wie er sagt, nach seiner Arbeit vielleicht im Kino entspannt oder gesellig mit Freunden zusammensitzt wie so viele andere auch.

Die Toten lehren die Lebenden (Mortui vivos docent), meint Tsokos, und die Arbeit der Rechtsmediziner dient auch in erster Linie den Lebenden: Sie liefert so genannte gerichtsfeste, harte Daten, die die Justiz als Beweismaterial in Strafprozessen verwenden kann. Sie hilft, Verbrechen aufzuklären und zukünftige Verbrechen zu vermeiden. Sie ist eine wichtige Qualitätskontrolle für die Humanmedizin. Und nicht zuletzt kann sie Angehörigen vermisster Menschen oft die quälende Ungewissheit nehmen.

Suizidales Höhlenverhalten

Das Buch ist aber nicht nur lehrreich, es ist auch sehr spannend und mit einem persönlichen Touch geschrieben, und mich als alte True-Crime-Leserin hat natürlich sehr interessiert, was Leichendumping oder suizidales Höhlenverhalten ist, wie ein Mensch aussieht, der 10 km von einem Auto mitgeschleift wurde, wie es zu der Bildung von Leichenwachs kommt und vieles mehr.

Jeder unnatürliche Todesfall sei ein Warnsignal, dass in unserer Gesellschaft etwas schief laufe, meint Tsokos. Vielleicht ist es der grantige Jugendliche von nebenan, der sich umbringen, oder die freundliche Dame an der Supermarktkasse, die einem Raubüberfall zum Opfer fallen wird.

„Genauer hinsehen aus Liebe zum Leben“, rät Tsokos seinen LeserInnen. Damit wir schon von den Lebenden lernen können, bevor es zu spät ist.

Von Eva Schuster
Infos:

Prof. Dr. Michael Tsokos ist Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner. Er leitet das Institut für Rechtsmedizin der Charité und das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin. Als Mitglied der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamtes war er an zahlreichen rechtsmedizinischen Projekten im In- und Ausland beteiligt. Für seinen Einsatz bei der Identifizierung deutscher Tsunami-Opfer in Thailand erhielten er und das deutsche Team 2005 den Medienpreis Bambi. Michael Tsokos wurde für seine wissenschaftlichen Leistungen mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet.

Über Michael Tsokos [5] bei Wikipedia.